Assad habe praktisch die Macht an Russland und den Iran abgegeben, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Norbert Röttgen, im Deutschlandfunk. Deshalb müsse man mit diesen Staaten ebenso wie mit Saudi-Arabien reden. Röttgen betonte, er könne sich nicht vorstellen, dass ein westlicher Regierungschef sich mit Assad an einen Tisch setzen werde.
Es gebe aber einen Verwaltungsapparat, der Assad stütze. Vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkriegs und der Flüchtlingskrise in Europa schließt Bundeskanzlerin Merkel direkte Gespräche mit Präsident Assad nicht mehr aus.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Norbert Röttgen:
Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Armbruster!
Armbrüster: Herr Röttgen, muss der Westen mit Assad reden?
Röttgen: Der Westen redet und sollte mit allen Beteiligten dort reden, das hat auch die Bundeskanzlerin gesagt. Nach meiner Einschätzung hat sie Assad, glaube ich, auch als Vertreter, vor allen Dingen, des Machtapparates dort der alevitischen Minderheiten verstanden oder auch verstanden wissen wollen. Russland unterstützt Assad und das Regime übrigens schon seit Jahren, nicht erst seit Wochen. Ich glaube, dass Assad persönlich im Moment so wenig Macht hatte wie noch nie, seine Macht ist dahingeschwunden. Er hat sie vor allen Dingen an Russland und an Iran verkauft, abgegeben, und das ist auch mit das Entscheidende, dass wir die Länder, Staaten und Mächte drum herum, also Russland, Iran, mit eigenen unmittelbaren Stellvertreterinteressen in dieser Region, aber auch Saudi Arabien und die Türkei, mit einbeziehen. Dann bleibt natürlich noch der ganze große andere Bereich - eine Vielzahl von dschihadistischen Terrorgruppen. Es sind ja hunderttausende von Toten, in diesem Krieg entstanden über Jahre, wir haben jetzt hunderttausende von Flüchtlingen, Allein durch unsere Betroffenheit hat sich die Lage noch nicht wirklich grundlegend geändert, aber der Wille, auch durch Diplomatie etwas zu verändern, ist wieder stärker geworden. Das ist gut und notwendig.
Armbrüster: Wenn ich Sie da jetzt richtig verstanden habe, Sie plädieren auch für diese Gespräche mit Assad. Wie soll das denn gehen?
Röttgen: Nein, also ich habe versucht, meine Einschätzung zu geben, dass es aus meiner Sicht nicht, ich glaube auch nicht in der Einschätzung der Bundeskanzlerin, um Assad am meisten geht, sondern ich habe gesagt, Assad hat praktisch keine Macht mehr. Er ist also nicht die Schlüsselfigur, das ist, glaube ich, klar, Assad ist nicht Schlüsselfigur in diesem Machtkrieg dort unten, aber es gibt einen Machtapparat unter Assad, und es gibt vor allen Dingen die Stellvertretermächte, die unmittelbare, eigene machtpolitische Interessen dadurch ausüben, dass sie Assad unterstützen - die habe ich eben genannt -, und mit denen muss man versuchen, ob es gelingen kann, zu einer Deeskalation des unmittelbaren Kriegsgeschehens dort zu kommen, weil wiederum auch alle durch den dschihadistischen, islamistischen Terrorismus betroffen sind. Diese gemeinsame Bedrohung durch diesen Terrorismus ist vielleicht ein Ansatzpunkt, um einen kleinen Schritt zu erreichen.
Armbrüster: Herr Röttgen, ich habe Sie da jetzt immer noch nicht ganz verstanden mit dem, was Sie meinen mit Assad und dem Machtzirkel - heißt das, es will sich kein Regierungschef mit Assad an einen Verhandlungstisch sehen lassen und stattdessen sollte man mit Vertretern sprechen, die er benennt?
Röttgen: Ich sehe das nicht, dass wir, dass irgendein Regierungschef der westlichen Welt mit Assad an einem Tisch sitzt, das kann ich mir nicht vorstellen. Assad wirft Fassbomben auf seine Bevölkerung ab seit Jahr und Tag, auf ihn geht die größte Zahl, von sechsstelligen Zahlen von Toten zurück, da kann man sich nicht an einen Tisch setzen und so tun - ich glaube, darüber besteht sowieso völliger Konsens -, dass Assad nicht Teil der Zukunft Syriens ist. Die Frage ist, mit wem man jetzt auch aus dem Regime reden muss, das findet ja auch auf diplomatischer Ebene schon die ganze Zeit statt, aber Assad ist ganz sicher ein erheblicher, der größte Teil des Problems und ganz sicher kein Teil der Lösung der Probleme in Syrien, schon gar nicht ein Teil der Zukunft.
Armbrüster: Aber führt denn ein Weg an ihm vorbei bei einer Lösung dieses Konfliktes?
Assad nicht überschätzen
Röttgen: Noch mal, ich habe ja gesagt, Assad darf jetzt und soll nicht überschätzt werden. Er hat faktisch keine Macht mehr, er ist kein realer Machthaber mehr, sondern die Macht ist abgetreten worden an Russland, an Iran. Wenn Russland nicht weiterhin das Regime in Damaskus militärisch unterstützen würde, wäre es schon lange zusammengebrochen. Das gleiche gilt für die Unterstützung durch den Iran. Es ist aber alles wahnsinnig kompliziert, denn inzwischen werden auch Iran und Russland wiederum Konkurrenten in ihrem Einfluss dort in der Region. Dann haben wir die Saudis, die wiederum gegen Assad und das Regime kämpfen, und auch Türkei ist ein Gegner davon. Das macht die Kompliziertheit aus, die besteht ja seit Jahren. Wir waren doch mal vor zwei Jahren , als Obama eine rote Linie gezeichnet hatte, fast vor einem Krieg dort, wovor der Westen und vor allen Dingen die USA dann auch zurückgeschreckt sind. Seither haben wir uns mit einer gewissen Ausweglosigkeit abgefunden oder Hilflosigkeit auch uns eingestanden. Jetzt sind wir selber betroffen, auch durch die große Flüchtlingszahlen, und wir sagen, wir können die Situation nicht einfach so vor sich hin geschehen lassen, die hunderttausende - um es noch mal zu sagen - Tote, Millionen von Flüchtlingen in der Region erzeugt hat, das ist jetzt unser Impetus, zu sagen, wir wollen es wieder versuchen, aber es bleibt wahnsinnig kompliziert. Wenn ich einen Gesichtspunkt nennen darf: Ich glaube, dass wir versuchen sollten, auch die Zustimmung, das Einvernehmen von Stellvertretermächten, also wie Russland vor allen Dingen, zu erreichen, um in der Region zur türkischen Grenze hin, im türkisch-syrischen Grenzgebiet eine humanitäre Zone, eine Pufferzone einzurichten, in der nicht gekämpft wird, in der humanitär stabilisiert wird, die aber natürlich auch militärisch gesichert wird. Wenn man etwa einen solchen humanitären Ausnahmeort in Syrien etablieren könnte, dann wäre es schon sehr viel. Ich glaube, das müsste ein Ziel auch diplomatischer Bemühungen sein.
Armbrüster: Herr Röttgen, Sie haben es schon angesprochen, ein Player, der hier immer wieder genannt wird, ist natürlich Russland. Wir haben jetzt in den vergangenen Tagen mehrfach gehört, dass man wieder mit Russland reden sollte. Gestern hat das auch der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel angesprochen, er hat angeregt, wieder mit Russland zu sprechen. Wir können uns das mal kurz anhören.
Herr Röttgen, hat Gabriel da Recht? Müssen wir wieder Russland zurück an den Gesprächstisch holen, damit möglicherweise die Ukraine verprellen, aber das ganze tun, um den Krieg in Syrien zu beenden?
Gabriel "stellt und dreht alles auf den Kopf"
Röttgen: Nein, ich muss leider sagen, dass da der Wirtschaftsminister erstens völlig anders spricht als der Außenminister der eigenen Partei, und der Wirtschaftsminister liegt auch völlig daneben, er stellt die Dinge vollkommen auf den Kopf. Sollen wir jetzt sagen, die Ukraine und das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, das interessiert uns auf einmal - was ist eigentlich der Grund dafür - nicht mehr, die europäische Friedensordnung, die berührt, verletzt wird, auch durch russisches militärisches Vorgehen in Europa, das nehmen wir jetzt nicht mehr als Thema wahr, und wir machen irgendwelche Handelsgeschäft zwischen der Situation in der Ukraine, wo ein Volk um Selbstbestimmungsrecht und Syrien, wo auch das Volk gegen einen Diktator kämpft oder ein Diktator gegen das Volk kämpft, der wiederum von Russland militärisch unterstützt wird - er stellt und dreht alles auf den Kopf, und so wird das ganz sicher keine Lösung geben. Er sollte sich wirklich an der Linie des Außenministers orientieren, der das sehr, sehr gut, auch natürlich im Einvernehmen mit der Bundeskanzlerin macht, für die Bundesregierung.
Armbrüster: Aber muss man nicht gerade in der Außenpolitik manchmal abwägen und dann in diesem Fall sagen, der Krieg in Syrien wiegt sehr viel schwerer und verursacht sehr viel größere Probleme, als die Spannungen im Osten der Ukraine?
Röttgen: Solche Handel zwischen Ländern, Bevölkerungen und Menschen kann man nicht machen. Wie will man denn die Toten in der Ukraine - das ist doch ein Zynismus, der nicht nur an sich abzulehnen ist, sondern in eine absolute politische, diplomatische Sackgasse führt. Wenn man die Toten in der Ostukraine mit den Toten zahlenmäßig in Syrien anfängt abzuwägen, also das ist völlig abwegig. Der andere Punkt ist ja auch, wir reden doch mit Russland, es ist doch nicht so, dass der Westen sagt, wir drängen Russland irgendwo hin, sondern wir sagen doch, wir wollen doch ein konstruktives Verhältnis, es ist doch nicht der Westen, der es verändert hat, sondern es sind die russischen Aktivitäten, die dazu geführt haben.
Armbrüster: Aber in der Syrienfrage können ja beide Seiten nicht zueinander finden. Da verfolgen beide - der Westen und Russland - ja zwei völlig unterschiedliche Wege.
Röttgen: Das stimmt, aber wir werden müssen und reden natürlich alle auch mit Russland. Russland hat ganz klare eigene machtpolitische Interessen in Syrien. Russland ist auch erneut in Syrien ein Teil des Problems, nämlich ohne die jahrelange politische und militärische Unterstützung Assads würde es diesen Krieg, im Übrigen auch nicht diese Dimension von IS in Syrien geben. Und jetzt weitet Russland sein militärisches Engagement in Syrien aus, wird also zu einem noch größeren Teil des Problems und gewinnt dadurch, zynischerweise, noch mehr Verhandlungsmacht in der Region. Das muss man auch realpolitisch zur Kenntnis nehmen, wir reden auch mit Russland. Ich sagte eben, wenn es gelingen sollte, was schwierig genug sein wird, eine Pufferzone auch auf syrischem Gebiet zu erstrecken, dann muss man darüber auch mit Russland reden. Es ist schwer, sich vorzustellen, das mit Russland zu tun. Das findet alles statt. Obama und Putin treffen sich in New York ohne den hilfreichen Hinweis von Herrn Gabriel, aber dass man jetzt sagt, all das tun wir, aber dafür dürfen wir jetzt uns nicht mehr um die Situation in der Ukraine und in Europa kümmern, das ist das, was wirklich nur in jeder Hinsicht moralisch, politisch, strategisch ein Holzweg ist.
Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das Norbert Röttgen, CDU, der Vorsitzende um Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags. Vielen Dank, Herr Röttgen, für das Gespräch heute morgen!
Röttgen: Ich danke Ihnen, Herr Armbruster!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.