Benedikt Schulz: Der Konflikt in Syrien hält an. Seit über drei Jahren mittlerweile. Und er ist mehr und mehr aus der medialen Wahrnehmung verschwunden, auch verdrängt durch andere Konflikte. Professorinnen und Professoren aus Deutschland lenken in diesen Tagen den Blick wieder nach Syrien – auf die Situation derjenigen, die studieren wollen, aber es nicht mehr können. Sie haben einen Aufruf gestartet, ihre Forderung an den DAAD, das Auswärtige Amt und an die Hochschulen in Deutschland: ein breit angelegtes Stipendienprogramm einrichten, damit Flüchtlinge ihr Studium in einer sicheren Umgebung fortsetzen können. Unterzeichnet haben den Appell bis jetzt rund 3.500 Menschen.
- Eine der Erstunterzeichnerinnen ist Ulrike Freitag, Historikerin an der FU Berlin und Leiterin des Zentrums Moderner Orient. Ich grüße Sie!
Ulrike Freitag: Guten Morgen!
Schulz: Vielleicht erst mal eine ganz naive Frage. Ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge, warum gibt es das nicht schon längst?
Freitag: Nun, es gibt ja durchaus gewisse Stipendien für syrische genauso wie für andere arabische Studierende, das ist allerdings mit Syrien massiv eingeschränkt worden, weil die deutschen Organisationen einschließlich des DAAD natürlich vor Ort keinerlei Angebote mehr aufrechterhalten konnten, ihre Mitarbeiter teilweise haben abziehen müssen. Sodass allein schon die Kontaktaufnahme ausgesprochen schwierig geworden ist. Und Syrer, die sich ihrerseits im Ausland befinden, haben ja gar nicht unmittelbar Ansprechpartner und haben natürlich auch große Schwierigkeiten, wenn sie Visa nach Deutschland beantragen. Es gab schon im letzten Jahr Hinweise für syrische Studierende mit dem Versuch, ihnen den Aufenthalt in Deutschland zu erleichtern. Bedenken nur, dass das nicht ausreicht, weil es natürlich auch sehr viele syrische junge Menschen, die normalerweise jetzt studieren würden, gibt, die entweder in Syrien selber als Inlandflüchtlinge oder in den Flüchtlingslagern in Jordanien, in der Türkei, irgendwie untergekommen im Libanon und anderswo sitzen, die jetzt gewissermaßen gar nichts machen können.
Schulz: Und wie wollen Sie die erreichen?
Freitag: Ich denke, es braucht zwei Maßnahmen: Es braucht einerseits tatsächlich ein Angebot, in Deutschland zu studieren, das kann natürlich längst nicht alle erreichen. Meines Erachtens sollte man auch überlegen, ob man für diejenigen, die im Libanon, also vor allem in arabischsprachigen Ländern Zuflucht gefunden haben, ob man für die unter Umständen auch Stipendien zum Studium dort anbietet. Das hätte den Vorteil, dass es in ihrer Muttersprache stattfindet, und natürlich auch den Vorteil, dass sie sehr viel dichter an ihren Familien bleiben und auch eine Rückkehr möglicherweise einfacher wäre. Das wären aber zwei gewissermaßen getrennte Alternativen, unsere gemeinsame zielt jetzt zunächst einmal darauf, dass man, wenn man ohnehin schon überlegt, Flüchtlinge aufzunehmen, sich vielleicht auch gezielt an diese jungen Menschen, die ja dringend eine Bildung benötigen und auch suchen, wendet und ihnen hier Möglichkeiten bietet.
Schulz: Aber erwarten Sie da vonseiten der Politik denn eine ernsthafte Unterstützung, wenn jetzt der Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien, ich sag jetzt mal, eher schon verhalten ist?
Freitag: Na ja, aber auch da ist ja jetzt doch wieder etwas Bewegung in die Sache gekommen. Es wird ja gerade im Zusammenhang mit Waffenlieferungen in den Irak auch über die Aufnahme von Flüchtlingen und eben nicht nur aus dem Irak, sondern auch aus Syrien diskutiert die Frage, wie kann man humanitäre Hilfe gestalten. Und ich glaube eben, eine solche Initiative würde ja auch über humanitäre Hilfe weit hinausgehen. Sie bietet ja auch die Ausbildung einer Gruppe, die später einmal als ein ganz wichtiger Verständigungspartner auch für uns zur Verfügung steht, im Land. Hier also auch Perspektiven, die für deutsche Politik sehr interessant sein können.
Schulz: Sie schreiben ja auf Ihrer Homepage auch von einer drohenden Lost Generation, aber lässt sich das angesichts solcher Zahlen – neun Millionen Flüchtlinge und davon knapp drei Millionen in Richtung Ausland -, lässt sich eine Lost Generation überhaupt jetzt noch verhindern?
Freitag: Na ja, sie lässt sich natürlich nicht komplett verhindern. Das gilt ja generell für Flüchtlinge und die Frage, wie geht man mit Flüchtlingen um. Und ich meine, Länder wie Kanada haben schon sehr lange den Zugang, dass sie sagen, gut, wir suchen uns eigentlich relativ gezielt aus, auch wen wir aufnehmen möchten. Und ich glaube, anstatt zu sagen, wir nehmen jetzt hier Christen auf, könnte man genauso gut sagen, wir nehmen bildungswillige, bildungsbereite und auch vorbereitete junge Menschen auf, bilden die hier aus. Und ich denke, natürlich ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es ist immerhin etwas, was man tun kann. Und ich glaube auch etwas, was sehr wichtig ist, weil man natürlich nicht vergessen kann, dass es gerade die jungen Menschen in den Flüchtlingslagern sind, die auch potenziell radikalisiert werden können – in unterschiedliche Richtungen natürlich, so dass man hier einfach auch in politischer Hinsicht ein wichtiges Signal setzen könnte.
Schulz: Müsste man denn nicht trotzdem, wenn man ganz konsequent ist, ein solches Programm – also Stipendien und Zugang zu akademischer Bildung –, müsste so was nicht ganz grundsätzlich für Flüchtlinge eingerichtet werden? Oder ganz anders gefragt: Warum Syrien und jetzt nicht der Irak?
Freitag: Natürlich müsste man so etwas auch ganz grundsätzlich zur Verfügung stellen. Syrien deswegen, weil dort natürlich in noch sehr viel größerem Umfang als im Irak, weil es in Syrien kaum noch funktionierende Institutionen der höheren Bildung gibt. Ich meine Aleppo, das ja früher eine der beiden großen Universitäten war, ist weitgehend zerstört, das haben wir alle in den Medien verfolgen müssen. In Damaskus geht das noch halbwegs, wird aber auch ständig gestört durch Straßensperren, also die Möglichkeit, überhaupt zur Universität zu gelangen, Kämpfe ... Das heißt, es gibt wirklich nur noch relativ wenige Institutionen, während es im Irak ja doch durchaus noch funktionierende Bildungseinrichtungen gibt, ebenso wie in Kurdistan. Das heißt nicht, dass man so etwas nicht prinzipiell für andere Staaten, die komplett zerfallen, vielleicht auch in Betracht ziehen sollte. Nur in Syrien erscheint mir die Situation im Augenblick besonders dramatisch. Und es ist auch besonders wichtig, glaube ich, gerade weil es ein so lang anhaltender Bürgerkrieg ist, jetzt schon daran zu denken, dass dieses Land ja irgendwann wieder aufgebaut werden sollte. Und die Syrer haben traditionell ein sehr hohes Bildungsniveau gehabt. Und sie haben auch eine lange Verbindung in der Ausbildung nach Deutschland, sowohl früher in die DDR als auch nach Westdeutschland.
Schulz: Sagt Ulrike Freitag, Direktorin des Zentrums Moderner Orient in Berlin. Sie ist eine der Erstunterzeichner eines Aufrufs, der Stipendien für syrische Flüchtlinge fordert. Vielen Dank!
Freitag: Ja, vielen Dank!
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