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Syrische Flüchtlinge
"Der Staat nutzt privates Engagement zu wenig"

Der Berliner Anwalt Ulrich Karpenstein hilft mit seinem Verein "Flüchtlingspaten Syrien", die Familien von Flüchtlingen sicher nach Deutschland zu bringen. Die Vereinsmitglieder müssen sich lebenslang für den Unterhalt dieser Menschen verbürgen - eine Abschwächung dieser Regelung lehnen die Behörden bislang ab.

Ulrich Karpenstein im Gespräch mit Christine Heuer |
    Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein sitzt vor dem Vereinsbüro der Flüchtlingspaten Syrien in Berlin
    Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein von den Flüchtlingspaten Syrien (imago / Christian Ditsch)
    "Alte, Kranke und Kinder sind oft in Syrien zurückgeblieben, weil sie keine Möglichkeit hatten, über das Mittelmeer zu kommen", sagte Karpenstein im Deutschlandfunk. Sein Verein Flüchtlingspaten Syrien ermögliche es Familien, legal und sicher nach Deutschland zu reisen - ohne gefährliche Flucht.
    Ewige Verpflichtungen als Hindernis
    Mit dem Verein habe man nun viele weitere Familien aus Syrien holen können, so Karpenstein. Das Problem: Die Familien dürfen meist erst nachziehen, wenn eine Privatperson eine Verpflichtungserklärung abgibt, ein Leben lang für den Unterhalt dieser Menschen aufzukommen. Das schrecke die meisten Menschen ab, sagte Karpenstein. "Es kann nicht sein, dass ich für fremde Kinder länger haften muss als für meine eigenen", kritisierte er. Der Staat nutze so das private Engagement viel zu wenig. "Wir gehen auf die Behörden zu und fragen, ob man die Verpflichtungserklärungen auf vier, fünf Jahre begrenzen kann", erklärte er. Bisher stoße man dort aber auf Ablehnung.
    Die Idee zu dem Verein "war fast zu gut", sagte Karpenstein. "Die Resonanz war überwältigend. Wir sind im April online gegangen, 20 Personen haben wir aus dem Bürgerkrieg heil nach Deutschland gebracht. Von daher ist diese Idee nachahmenswert."
    Hier können Sie das vollständige Interview nachlesen:
    Christine Heuer: Flüchtlingsunterkünfte werden angegriffen in Deutschland, Ressentiments breiten sich aus und werden mitunter auch geschürt, von Fremdenfeindlichkeit hören wir also viel in den letzten Monaten. Es gibt aber auch die andere Seite: Bürger, die sich engagieren, um Menschen in Not zu helfen, Syrern zum Beispiel, auch ohne staatliche Hilfe. Einer von ihnen ist Martin Keune, Mitglied im Verein "Flüchtlingspaten Syrien".
    O-Ton Martin Keune: "Es gibt viele, viele Möglichkeiten, syrischen Menschen zu helfen. Man kann spenden, man kann denen Sprache beibringen, man kann die begleiten und und und. Aber es gibt in Deutschland im Augenblick nur eine einzige Möglichkeit, Syrer überhaupt aus dem Bürgerkrieg zu retten, das Leben zu retten und die Leute hier reinzuholen auf eine legale Art und Weise, ..."
    Heuer: Und diese Möglichkeit, die besteht darin, eine Verpflichtungserklärung abzugeben. Der Staat gewährt einem syrischen Bürgerkriegsflüchtling Asyl, er darf also ganz legal nach Deutschland einreisen, aber eben nur, wenn ein deutscher Bürger sich verpflichtet, die Kosten für seine Unterkunft und Verpflegung im Notfall zu übernehmen, und zwar lebenslang. So steht es im deutschen Aufenthaltsgesetz.
    Am Telefon begrüße ich den Berliner Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein, der den Verein "Flüchtlingspaten" gegründet hat. Guten Morgen, Herr Karpenstein.
    Ulrich Karpenstein: Guten Morgen nach Köln.
    Heuer: Zunächst einmal: Einen Verein gründet man nicht eben mal so. Was war der Auslöser für Ihre Entscheidung zu sagen, jetzt tun wir was und rufen die Flüchtlingspaten ins Leben?
    Karpenstein: Die Idee war eigentlich ganz simpel bei uns am Küchentisch geboren. Mit meiner Frau zusammen waren wir angefragt worden, einer syrischen Familie zu helfen, konkret eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Land Berlin abzugeben, den gesamten Lebensunterhalt und die Unterkunft fortan zu tragen. Das gab dieser Familie die Möglichkeit, sie legal und sicher nach Deutschland zu holen, also ohne Mittelmeer und ohne die Gefahren, die die Flucht auch aus Syrien bedeutet.
    Vereinsidee am Küchentisch geboren
    Heuer: Und dann haben Sie gesagt, das machen wir?
    Karpenstein: Wir haben lange gebraucht. Wir haben mehrere Wochen überlegt, mit Freunden diskutiert, und schließlich dann am Küchentisch die Vereinsidee geboren. Das heißt, wir haben uns mit Freunden zusammengeschlossen, jeder sagte, wir zahlen zwischen zehn und 100 Euro ein, je nachdem, wie viel uns das wert war, je nach finanzieller Leistungsfähigkeit natürlich auch. Und daraus haben wir dann diesen Verein geboren, es ist ein gemeinnütziger Verein, um zunächst nur dieser einen Familie zu helfen, Verpflichtungserklärungen abzugeben. Daraus ist dann schlussendlich dieses Vereinsprojekt "Flüchtlingspaten Syrien" geboren und wir konnten diese Familie und inzwischen auch viele weitere aus Syrien holen.
    Heuer: Bei dieser Familie möchte ich kurz bleiben. Was sind das für Leute, die Sie persönlich dann geholt haben?
    Karpenstein: Das sind jeweils Angehörige von hier bereits seit geraumer Zeit lebenden Syrern, also Familienangehörige. Das sind Geschwister, die Eltern, sind meistens auch Alte oder Kinder, die überhaupt keine Möglichkeit haben, über das Mittelmeer einigermaßen sicher zu kommen, und die betrifft es natürlich besonders. Die hier lebenden Angehörigen kommen auf uns zu als Verein "Flüchtlingspaten Syrien". Wir schauen, dass wir genügend Geld zusammenkratzen mithilfe von Spendern, sogenannten Paten, und geben dann Verpflichtungserklärungen ab, persönliche Verpflichtungserklärungen, und verbürgen uns für den Lebensunterhalt und tragen dann auch gleichzeitig den Lebensunterhalt als Verein. Wir zahlen hier die Wohnung und richten Konten ein, alles was dazugehört.
    Heuer: Aber Sie haben ja, Herr Karpenstein, auch ganz persönlich Kontakt zu diesen Menschen. Können Sie mal schildern, wen haben Sie im Sinn? Wie war das, als diese Menschen, die ersten ankamen? Wie helfen Sie denen im Alltag?
    Karpenstein: Das erste war eine syrische Mutter mit ihrem kleinen Kind, ein dreijähriges Kind. Wir geben für die Sprachkurse, wir suchen nach einem Kita-Platz, wir gehen hier mit ihnen zu Behörden, soweit das notwendig ist. Im Wesentlichen tragen wir aber dadurch, dass wir die Kosten selber tragen, die Hauptlast, sodass gar nicht so viele Behördengänge erforderlich sind. Wir gehen mit denen auch mal am Wochenende in den Zoo, all diese Dinge.
    Heuer: Wie ist denn die Resonanz auf diese Idee und Ihren Verein? Gibt es viele Bürger, die auf Sie zukommen und sagen, da würden wir gerne mitmachen?
    Verein hat 20 Syrer heil nach Deutschland gebracht
    Karpenstein: Die Idee war vielleicht fast zu gut.
    Heuer: Aha!
    Karpenstein: Ironisch gemeint natürlich.
    Heuer: Ja, ja.
    Karpenstein: Viele weitere Paten, viele weitere Spender können wir gerne gebrauchen. Aber die Resonanz war überwältigend. Wir sind im April online gegangen. Die Idee ist gegründet worden, oder der Verein ist gegründet worden im März, Ende März. Seither ist es uns immerhin gelungen, doch 20 Personen aus dem syrischen Bürgerkrieg heil und sicher nach Deutschland zu bringen. Es hat auch gewisse Resonanz in den Medien gefunden.
    Heuer:° Zum Beispiel jetzt bei uns im Deutschlandfunk.
    Karpenstein: Zum Beispiel bei Ihnen, worüber wir uns natürlich sehr freuen. Von daher ist diese Idee nachahmenswert. Wir haben unter fluechtlingspaten-syrien.de auch ein kleines Manual mal eingestellt, ...
    Heuer: Eine Anleitung.
    Karpenstein: ..., eine Handlungsanweisung, wie man solche Vereine auch in anderen Städten gründen kann. Wir beschränken uns hier auf Berlin und Potsdam, aber das ist sicherlich eine Idee, die der Nachahmung wert ist, solange es solche Landesaufnahmeprogramme der Länder für syrische Familienangehörige gibt.
    Verpflichtungserklärung hat Ewigkeitswert
    Heuer: Jetzt kommen deutsche Bürger und sagen, tolle Idee, mache ich gerne mit, und dann stehen die plötzlich vor der Situation, eine lebenslange Verpflichtungserklärung, so eine Art Bürgschaft abgeben zu müssen. Wie viele springen dann wieder ab?
    Karpenstein: Die meisten springen wieder ab, wenn sie sich des finanziellen Risikos bewusst sind. Leider ist im Moment zwischen Bund und Ländern hier einiges umstritten, was die Laufzeit dieser sogenannten Verpflichtungserklärung, dieser privaten Einstandsverpflichtung anbetrifft. Viele Bundesländer meinen, sie endet dann, wenn die Syrer Asyl erhalten, also einen offiziellen Schutzstatus. Das Bundesland Berlin und auch der Bund meinen, das sei nicht der Fall, sondern es handelt sich hier potenziell um ein Risiko mit Ewigkeitswert. Man muss sozusagen, um es ganz hart zu formulieren, ich habe selber Kinder, für die Kinder, für die wir eine Verpflichtungserklärung abgeben, länger haften als für die eigenen Kinder.
    Heuer: Der Staat, heißt das aber doch, wenn ich es richtig verstehe, legt notleidenden Syrern und hilfsbereiten Deutschen Steine in den Weg, statt sie wegzuräumen.
    Karpenstein: Na ja. Wie so vieles ist das hier umstritten, auch zwischen den einzelnen Rechtsabteilungen. Jeder erteilt hier eine unterschiedliche Auskunft. Auch innerhalb derselben Behörde werden unterschiedliche Auskünfte erteilt. Aber es ist in der Tat so, dass wir mit der gegenwärtigen Lage nicht zufrieden sind. Der Staat nutzt das private Engagement unseres Erachtens viel zu wenig. Wir gehen auf die Behörden zu und fragen sie, ob sie nicht bereit wären, eine Verpflichtungserklärung beispielsweise auf vier, fünf Jahre zu begrenzen, was ja schon ein erheblicher Zeitraum ist, privat für jemanden, den man nicht kennt, über Jahre hinweg einzustehen. Und die Behörden sagen bislang, leider auch die Bundesregierung sagt bislang, dazu sind wir nicht bereit.
    Politik weiß bürgerliches Engagement nicht zu nutzen
    Heuer: Und was steckt dahinter? Ist das Absicht, oder ist das Gleichgültigkeit?
    Karpenstein: Das ist wahrscheinlich bei jeder handelnden Person und bei jedem Politiker, der sich dazu äußert, anders. Vieles beruht, glaube ich, darauf, dass man das Engagement, das Potenzial, das in bürgerschaftlichem Engagement liegt, gar nicht zu nutzen weiß. Das ist besonders ärgerlich, weil ich jenseits von Pegida doch das Gefühl habe, dass in Deutschland eine ganz erhebliche Hilfsbereitschaft gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen besteht. Bei anderen mag es eine gewisse Abscheu geben, ja, und der Zynismus, die Menschen weiterhin über das Mittelmeer letztlich nach Deutschland kommen zu lassen, bei all den Toten halte ich das für keine sinnvolle Alternative.
    Heuer: Geht es da am Ende um Geld, Herr Karpenstein? Geht es darum, wenn die Bürger bereit sind, finanziell einzustehen, dann muss der Staat das eben nicht tun?
    Karpenstein: Das ist sicherlich der Hauptgrund. Es gibt einen Streit zwischen Bund und Ländern, wie lange diese Verpflichtungserklärungen tatsächlich laufen sollen. Schlussendlich ist es natürlich das Geld, das entscheidend ist. Der Bund sagt, wenn die Länder solche Programme auflegen, Aufnahmeprogramme für syrische Familienangehörige, dann schmücken sie sich da mit humanitären Federn. Aber das kann nicht auf Kosten des Bundes und der Bundes-Jobcenter gehen. Die Länder hingegen sagen, das geht nach den allgemeinen rechtlichen Regeln, und in diesem Vakuum, in diesem rechtlichen Vakuum befinden wir uns leider. Wir sind bereit, über viele Jahre auch diesen Lebensunterhalt für syrische Flüchtlinge zu zahlen.
    Wir hoffen auf viele weitere Patenschaften. Je mehr Paten dabei sind, desto mehr Menschen können wir helfen, desto mehr Verpflichtungserklärungen können wir abgeben. Aber wir erwarten auch von der Politik, dass sie selber Verantwortung übernimmt und alsbald eine klare Rechtslage, einen klaren Beschluss der Innenministerkonferenz schafft, mit der eindeutig begrenzt wird die Laufzeit dieser Verpflichtungserklärung. Es kann nicht sein, dass ich für fremde Kinder länger hafte als für meine eigenen.
    Heuer: Ulrich Karpenstein, Rechtsanwalt in Berlin und Gründer des Vereins "Flüchtlingspaten Syrien". Herr Karpenstein, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem Engagement.
    Karpenstein: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.