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Syrische Flüchtlinge
Gespannte Nachbarschaft in Jordanien

Ein Großteil der Syrer lebt nicht im jordanischen Flüchtlingslager, sondern haust über das Land verteilt in kleinen Wohnungen, Garagen, Zelten. Viele Jordanier fürchten, dass ihnen die Syrer als billige Schwarzarbeiter die Arbeitsplätze wegnehmen. Die Spannungen nehmen zu.

Von Anna Osius |
    Syrische Flüchtlinge laufen im September 2013 über die Hauptstraße eines Flüchtlingscamps in Mafraq, Jordanien.
    Syrische Flüchtlinge in Jordanien (picture alliance / dpa/ Jamal Nasrallah)
    Eine Halle so groß wie ein Sportplatz, bis auf den letzten Platz besetzt. Dicht an dicht sitzen sie hier, junge Männer, alte Frauen, Großfamilien, Kleinkinder krabbeln unter den Stühlen. Das Registrierungszentrum des UN-Flüchtlingshilfswerks. Hier erst kann man begreifen, wie viele syrische Flüchtlinge mittlerweile in Jordanien leben. Alle Syrer müssen sich hier offiziell melden, um Anspruch auf Hilfe zu erhalten - hunderte Familien warten stundenlang darauf, aufgerufen zu werden, einen Stempel zu bekommen: Flüchtlingsstatus. 40 Container-Büros fertigen täglich tausende Syrer ab - und alle diese Menschen, die hier nicht mehr als eine Nummer sind, müssen irgendwo in Jordanien wohnen, essen, leben …
    "Es sind einfach zu viele: Der Wohnraum ist knapp, die Krankenhäuser sind überfüllt, die Schulen auch und unser Trinkwasser reicht nicht für alle."
    Der Jordanier Nidal ist alles andere als fremdenfeindlich. Seine kleine Stadt im Norden liegt unmittelbar neben dem riesigen Flüchtlingslager Zaatari. Nidal ist so etwas wie der inoffizielle Bürgermeister seine Kleinstadt, der 50-Jährige trägt Hemd und Anzug, hat Gel in den Haaren, begrüßt Fremde mit Handschlag im Namen der Gemeinde. Er will zeigen, dass etwas schiefläuft in seiner Stadt, er macht sich Sorgen. Die Einwohnerzahl seiner Stadt hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt: "Das schafft unsere Infrastruktur nicht. Müll, Elektrizität, und vor allem Wasser, da hat es schon Auseinandersetzungen gegeben im Sommer. Wir fühlen uns vergessen: Alle reden immer über die Flüchtlingslager, aber wir in Städten haben das Hauptproblem."
    Viele leben in Zelten am Straßenrand
    Nur 20 Prozent der Syrer wohnen in den offiziellen Flüchtlingscamps der Vereinten Nationen. Die Mehrheit der Flüchtlinge versucht, außerhalb unterzukommen: Die, die noch Ersparnisse hatten, haben sich in kleinen Wohnungen einquartiert. Viele aber leben in Zelten am Straßenrand, in Bretterbuden, auf ungenutzten Grundstücken, im Niemandsland. Und in den Gärten der Anwohner.
    Der Jordanier Nidal nimmt uns mit zu sich nach Hause. Auch in seinem Garten hat eine Flüchtlingsfamilie ein Zelt aufgeschlagen. Entfernte Verwandtschaft aus Syrien, er konnte ihre Bitte doch nicht ausschlagen, sagt er. Und ist froh, selbst einen jordanischen Pass zu haben. Jetzt versucht er zu helfen, sieht aber die Probleme: Anwohner schließen sich schon zusammen und beraten, was sie gegen die vielen Syrer unternehmen können. Auch Nidals Frau Nounjouk fühlt sich in der eigenen Stadt nicht mehr wohl, sagt sie.
    Schulen sind überfüllt
    "Ich habe ja Mitleid mit den Syrern, aber wir Jordanier sind völlig überfremdet. Die Kinder in den Schulen lernen nichts mehr, weil die Klassen so groß sind. 50 Kinder! Im Doppelschicht-Betrieb: Morgens wird eine Klasse unterrichtet, nachmittags vom gleichen Lehrer die nächste. Das kann so nicht weitergehen. Dazu kommt die gestiegene Kriminalität. Das hier ist unsere Heimat und jetzt haben wir Angst vor die Tür zu gehen. Wir fühlen uns nicht mehr sicher."
    Auch in Nidals Garage lebt mittlerweile eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien. Sie haben sich notdürftig eingerichtet, sechs Personen schlafen in einem Raum. Sie sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben - und vor allem: In Sicherheit zu sein, sagt die Mutter.
    Syrer als billige Schwarzarbeiter
    "In Syrien wurde plötzlich unser Haus beschossen. Wir haben unsere Kinder gepackt und sind losgerannt. Tagelang sind wir in Syrien umhergeirrt, haben uns in Höhlen versteckt. Ich war schwanger und habe mein Kind verloren. Jetzt versuchen wir hier in Jordanien neu anzufangen."
    Mit Sorgen beobachtet sie die wachsenden Spannungen zwischen den Flüchtlingen und den Einheimischen. Sie weiß: In den anderen Nachbarländern, vor allem in Libanon, ist die Stimmung noch viel aufgeheizter als hier. Doch auch in Jordanien sind die Flüchtlinge nicht mehr gern gesehen: Viele Einheimische fürchten, dass ihnen die Syrer als billige Schwarzarbeiter die Arbeitsplätze wegnehmen.
    Bei dem Jordanier Nidal klingelt schon wieder das Handy. Noch eine syrische Familie bittet um Asyl in seinem Garten, wieder entfernte Verwandtschaft. Wo sollen sie denn hin? Fragt er ratlos. Der Krieg ist nebenan. Und die Nachbarn können nicht mehr.