Christoph Heinemann: Die Organisation Grünhelme, die von unserem ehemaligen Kollegen Rupert Neudeck gegründet wurde, schlägt Alarm. Die libanesische Regierung versucht offenbar, syrische Flüchtlinge aus dem Land zu drängen. Die Grünhelme arbeiten im Nordosten des Libanon, in unmittelbarer Nähe zur libanesisch-syrischen Grenze, und von dort ist Simon Bethlehem gerade zurückgekehrt. Guten Morgen!
Simon Bethlehem: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Bethlehem, was haben Sie dort erlebt?
Bethlehem: Ja, wie Sie schon gesagt haben: Wir nehmen zunehmend wahr, dass die libanesische Regierung versucht, die syrischen Geflüchteten so schnell wie möglich aus dem Land zu bekommen, indem sie einfach die Lebensbedingungen der Leute zunehmend verschlechtert. Schikanen gibt es eigentlich schon seit geraumer Zeit und da wo wir jetzt arbeiten, direkt an der syrischen Grenze, hat das jetzt eine neue Qualität erreicht, weil das Innenministerium und das Militär eine neue Anordnung herausgegeben haben, die besagt, dass die Unterkünfte der syrischen Geflüchteten zurückgebaut, respektive zerstört werden müssen, die aus mehr bestehen als nur Holz und Plastikplanen. Davon betroffen wären in diesem ersten Schritt ungefähr 2500 Familien und für die Betroffenen bedeutet das, dass sie in die Obdachlosigkeit fallen, weil die libanesische Regierung auch überhaupt nicht bereit ist oder überhaupt gar keine Anstrengungen unternimmt, irgendwelche alternativen Unterkünfte für diese Familien herzurichten oder zur Verfügung zu stellen.
"Über eine Million Syrerinnen und Syrer leben im Land"
Heinemann: Warum vermuten Sie will die libanesische Führung syrische Flüchtlinge loswerden?
Bethlehem: Der Libanon ist das Land, das im Verhältnis zu seiner Stammbevölkerung die meisten Geflüchteten aufgenommen hat. Über eine Million Syrerinnen und Syrer leben im Land. Eigentlich vom ersten Tag an hat die libanesische Regierung gesagt, dass diese Leute auf Dauer dort nicht werden bleiben können, was aber auch überhaupt nicht die Absicht der syrischen Geflüchteten ist.
Wir sehen, dass einfach die Lebensbedingungen dieser Menschen schlechter werden, weil die libanesische Regierung den Druck erhöht, dass die Menschen gehen sollen. Der Grund dafür, so sehen wir es jedenfalls, ist, dass politisch gesehen die libanesische Regierung nicht will, dass dieses Gleichgewicht, was es im Libanon ja eigentlich gibt zwischen den Religionen und Ethnien, aus den Fugen gerät.
"Die Menschen sind zunehmend verzweifelt"
Heinemann: Die Lebensbedingungen werden schlechter, sagen Sie. Was heißt das für den Alltag der Flüchtlinge?
Bethlehem: Es bedeutet, gerade in Arsal an der Grenze, wo wir seit anderthalb Jahren arbeiten, sind die Menschen jetzt schon rechtlos. Sie können nicht offiziell arbeiten. Ihnen werden Lebensmittel vorenthalten. Sie werden vom Militär schikaniert, die immer wieder in die Camps gehen und unangemeldete Razzien durchführen. Die Menschen sind natürlich, um jetzt ganz konkret auf diese Anordnung Bezug zu nehmen, zunehmend verzweifelt, weil sie einfach nicht wissen, wo sie bleiben sollen, weil einen Weg zurück nach Syrien gibt es für die Menschen unter den jetzigen Sicherheitsbedingungen in Syrien und unter dem jetzigen Regime einfach nicht.
"Die libanesische Regierung nimmt sich aus der Verantwortung"
Heinemann: Was bedeutete ein solcher Rückbau, eine Verpflichtung, jetzt Häuser rückzubauen oder Unterkünfte rückzubauen, für die zweite Jahreshälfte? Wir sind ja jetzt zunächst einmal im Sommer, aber das wird sich irgendwann auch wieder ändern.
Bethlehem: Genau! Der Ort Arsal, der liegt auf über 1500 Metern Höhe. Es schneit im Winter. Es sind auch immer wieder Unterkünfte durch die Schneemassen eingestürzt. Dementsprechend erwarten wir einfach, dass es da zu einer humanitären Katastrophe kommt, wenn keine Alternativen bereitgestellt werden. Die sind im Moment nicht absehbar, weil die libanesische Regierung sich hier vollkommen aus der Verantwortung nimmt und einfach versucht, alles auf die Hilfsorganisationen abzuwälzen.
"Für diese Menschen gibt es keine Rückkehrmöglichkeit"
Heinemann: Herr Bethlehem, Alternativen sieht die libanesische Führung offenbar für diese Flüchtlinge in Syrien. Was berichten die Menschen denn aus ihren Heimatgebieten in Syrien?
Bethlehem: Die Menschen in Arsal – das muss man ja wissen -, die kommen eigentlich alle aus der Region Homs und sind ausnahmslos sunnitische Araber. Für diese Menschen gibt es keine Rückkehrmöglichkeit, weil sie aus Orten kommen, die sich von Anfang an dem Widerstand gegen das Regime angeschlossen haben und die dementsprechend auch vom Regime immer wieder als Terroristen gelabelt werden. Es gab im vergangenen Jahr zwei sogenannte Rückführungsaktionen nach Syrien von Menschen, die in Arsal gelebt haben, und diese Menschen, die zurückgegangen sind, haben in Syrien nichts vorgefunden in ihren Heimatorten. Sie haben keine Nahrung vorgefunden, sie haben keine Arbeit vorgefunden, sie haben eigentlich nur einen Haufen Schutt vorgefunden, weil ihre Heimatorte total zerstört waren. Die jungen Männer wurden direkt eingezogen und vom Regime an die Front geschickt, wo sie dann verheizt wurden, nach Idlib, nach Verezoa. Diese Geschichten machen in Arsal natürlich die Runde und dementsprechend will auch keiner mehr zurück.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.