Es war die bisher ungewöhnlichste Hilfsaktion des syrischen Krieges: Anfang August rollten zwei schwere Kräne in die jordanische Wüste. Mit ihren gewaltigen Auslegern wuchteten sie tonnenweise Hilfsgüter über eine imaginäre Grenze. Vor allem Lebensmittel und Hygieneartikel hatten sie am Haken, sehnsüchtig erwartet von den syrischen Flüchtlingen auf der anderen Seite dieser Grenze. Die Verteilung der Lieferung überwachten die beteiligten Hilfsorganisationen dann mit einer Drohne aus der Luft. Mageed Yahia vom Welternährungsprogramm: "Zum ersten Mal haben wir Kräne eingesetzt. Da wir keinen Zugang zur anderen Seite haben, war es die einzige Möglichkeit. Wir können nicht rüber zu den Menschen - und sie nicht zu uns. Deshalb sind wir auf die Idee gekommen, es nun so zu machen und dann die Verteilung von der jordanischen Seite aus zu beobachten."
Vereinte Nationen beobachten das Lager via Satellit
Wann die ersten Flüchtlinge sich hier niederließen, im Niemandsland zwischen Syrien und Jordanien, zwischen Erdwällen und Gräben - geschaffen vor Jahren, um Schmuggler zu stoppen - das ist nicht klar. Doch jetzt sind es mehr als 75.000, mehr als jeder Zweite ein Kind, die Menschen leben in Zelten - mit Skorpionen und Ratten, bei bis zu 50 Grad im Schatten, immer wieder fegen Sandstürme über sie hinweg. Natalie Thurtle von "Ärzte ohne Grenzen" in Amman: "Niemand sieht sie. Sie sind vor etwas in Syrien weggelaufen, und es gibt für sie nichts, wo sie nun hinlaufen könnten. Sie sind zwischen Leben und Tod. Niemand sieht sie. Sie sind Gespenster, sozusagen."
Die Vereinten Nationen beobachten das Lager via Satellit. Sie zählen die Zelte, die auf den Fotos zu sehen sind - und schätzen dann die Zahl der Bewohner. Jordanien lässt ab und zu Tanklaster mit Trinkwasser reinfahren, die Hilfslieferung per Kran soll und muss für einen Monat reichen - wann die hartleibigen Behörden die nächste erlauben, ist offen. Ärztliche Versorgung gibt es selten, Gelbsucht macht die Runde, Durchfall ohnehin. Die syrische Journalistin Bahira al-Zarir hat immer mal wieder Kontakt mit den Menschen am Erdwall: "Es gibt jetzt dort einen Friedhof, wo bereits mehr als 100 Flüchtlinge begraben wurden. Einige starben, weil sie nicht versorgt wurden - sie brauchen dringend medizinische Versorgung. Die Situation im Lager ist extrem schlecht, sie ist katastrophal."
Aufforderung an den Westen, die Menschen vom Erdwall aufzunehmen
Jordanien behauptet, der IS habe sich unter die Flüchtlinge gemischt - Diplomaten in Amman nennen das hinter vorgehaltener Hand "unbewiesene Behauptungen". Doch im Juni jagte sich ein Selbstmordattentäter des IS an einem jordanischen Grenzposten in die Luft, nicht weit entfernt, und tötete sechs Soldaten. Deshalb sperrt sich König Abdullah der Zweite, die Menschen vom Erdwall ins Land zu lassen. Im Gespräch ist nun stattdessen, sie wieder nach Syrien zurückzudrängen, notfalls mit Gewalt. Der jordanische Analyst Labib Kamahawi: "Es sieht nicht gut aus für die Bewohner dieses Flüchtlingslagers - nicht, weil Jordanien es so will, sondern weil die Umstände die Regierung gezwungen haben, so zu handeln, wie sie es tut."
Wiederholt lud der König den Westen ein, die Menschen vom Erdwall aufzunehmen. In einem Zeitungsartikel verwies der Monarch im Februar auf die großzügige Gastfreundschaft seines Landes: Laut den Vereinten Nationen leben mehr als 630.000 registrierte Flüchtlinge in Jordanien, nach Angaben der Regierung in Amman sogar 1,3 Millionen. Abdullah rechnete vor: Sein Land beherberge mindestens 60 mal so viele syrische Flüchtlinge wie Frankreich. Und 250 mal so viele wie Italien.