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Syrische Flüchtlinge schaffen im Libanon zweiten Arbeitsmarkt

Der Libanon hat Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Doch diese stehen nun vor dem Problem, eine Stelle zu finden - denn die libanesische Wirtschaft steckt - nicht zuletzt wegen des Bürgerkrieges - in der Krise.

Von Björn Blaschke, ARD Kairo |
    Ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag in Libanons Hauptstadt Beirut. Der Wagen stoppt - im Stadtteil Kola - unter einer Autobahnbrücke an einem Bürgersteig. Sofort springen fünf, sechs Männer herbei. Der Platz ist stadtbekannt dafür, dass hier ständig Tagelöhner warten – darauf, dass jemand vorbei kommt und ihnen einen Job bietet. Als Anstreicher, Lastenträger, auf einer Baustelle … Durch das offene Fenster erklärt einer der Männer, dass sie alle Arten schwerer Arbeit leisten könnten.

    Dann entdeckt er im Auto das Mikrofon und das Aufnahmegerät – und will sich zurückziehen. Keine Interviews!

    Der Mann und seine Kumpels stammen aus Syrien. Sie wollen nichts mit Leuten von Radio, Fernsehen oder Zeitung zu tun haben; aus Angst um ihre Familien daheim … der syrische Geheimdienst könnte ja irgendetwas spitzkriegen …

    Ein paar Straßenzüge weiter sind zwei Tagelöhner bereit, in den Wagen zu steigen und zu reden. Unter der Bedingung, dass ihre Namen ungenannt bleiben. Sie sind vor mehr als zwei Jahren aus Dara’a geflohen, aus der Stadt, in der im März 2011 der Aufstand gegen Syriens Präsident Bashar al-Assad begann. Sie haben sich beim UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen registrieren lassen; seither schlagen sie sich durch.

    "Der tägliche Lohn, der uns bezahlt wird, liegt bei etwa 20 Dollar. Wenns um Anstreicher-Jobs geht. Ein Libanese würde dafür mindestens 50 Dollar nehmen."

    Ob sie damit über die Runden kommen? – Beide antworten gleichzeitig – eindeutig:

    "Nein, nein überhaupt nicht – ein bis zweimal in der Woche bekommen wir überhaupt nur einen Job. In der vergangenen Woche habe ich 33 Dollar verdient – 50.000 libanesische Pfund."

    In Notfällen, beispielsweise im Falle eines Krankenhausaufenthaltes, können sich die beiden an das UNHCR wenden …- für den Lebensunterhalt sind sie jedoch darauf angewiesen, dass auch ihre älteren Kinder jobben. Manch libanesischer Geschäftsinhaber nutzt es aus, dass syrische Flüchtlinge dringend Geld brauchen, und zahlen Dumping-Löhne. Offiziell hat das UNHCR in Libanon mehr als 700.000 Flüchtlinge registriert. Inoffiziell sollen es aber fast doppelt so viele sein: 1,4 Millionen. Bei einer libanesischen Bevölkerung von gut viereinhalb Millionen ist das eine enorm hohe Zahl! Die Infrastruktur des Landes – Strom, Wasser, Schulen - ist nicht darauf ausgerichtet. Der Staat kann diese Probleme kaum bewältigen, auch weil die Wirtschaft des Landes daniederliegt. Eben wegen des Krieges in Syrien – sagt Kamel Wazne, ein Wirtschaftswissenschaftler an der renommierten American University of Beirut:

    "Syrien ist unser Tor zur arabischen Welt, was den Export angeht. Unsere LKW können da aber nicht mehr durch. Unter anderem deshalb haben wir ein Wirtschaftsproblem in Libanon."

    Eines, das immer mehr Libanesen in die Arbeitslosigkeit treibt. So erklärte im April die Weltbank, dass jeder dritte Libanese zwischen 15 und 24 arbeitslos ist. Und in dieser Situation drängen auch noch Hunderttausende Syrer auf den libanesischen Arbeitsmarkt. Billigere Kräfte als die libanesischen. Die Tagelöhner sind dabei das geringste Problem; Tagelöhner, die sich beispielsweise auf dem Bau verdingen:

    "Das Baugeschäft machen die Syrer schon seit Langem. Die Libanesen finden das oft zu gefährlich oder zu dreckig und deshalb konkurriert niemand mit den Syrern um diese Jobs."

    Syrer konkurrieren also weniger mit Libanesen, wenn es um körperliche Schwerarbeit geht. Deutlich größer ist der "Wettbewerb" aber, wenn es zu einfacher Arbeit kommt: So finden sich Syrer mittlerweile als Köche in Restaurants, Kellner in Cafés oder als Kassierer im Supermarkt. So wie Nadim. Der 20jährige ist vor drei Monaten aus dem nordsyrischen Aleppo nach Beirut geflohen. Und hat sofort Arbeit gefunden - in Hamra, einem Einkaufsviertel, bedient er in einer Bäckerei. Ganz offiziell:

    "Ich habe eine Aufenthaltsgenehmigung, klar. Für sechs Monate. Im Monat verdiene ich sechshundert Dollar. Und bisher hat mir auch kein Libanese gesagt, der hat einem von uns die Arbeit weggenommen."

    Ausgeschlossen sind derlei Anfeindungen jedoch nicht. Kürzlich kam es im Bekaa-Tal, nahe der Grenze zu Syrien, zu handfesten Protesten. Ein Fabrik-Chef hatte seine komplette libanesische Belegschaft entlassen und durch syrische Arbeiter ersetzt. Auch Nadims Chef, der Bäckerei-Besitzer Bassam Galeini, setzt vorrangig auf "Gastarbeiter". Von seinen vierzig Angestellten sind nur zehn Libanesen; die anderen kommen alle aus Syrien.

    "Libanesen können nicht arbeiten. Sie sind unzuverlässig, bleiben einfach weg … Sind hochnäsig. Sie arbeiten nicht. Die Syrer sind zuverlässig. Und arbeiten hart. Libanesen arbeiten nicht."

    Und dabei nutze er, sagt Bassam, die Syrer nicht aus. Er zahle ihnen einen Lohn, den er auch Libanesen zahlen würde. Und er entrichte auch brav seine Sozialabgaben für die Syrer an den Staat. Nein, er sei fair; habe überhaupt nichts gegen syrische Gastarbeiter. Er selbst fürchtet allerdings unfaire Konkurrenz:

    "Das Problem beginnt, wenn viele Syrer kommen und hier ihre eigenen Läden aufmachen wollen. Und der Staat nimmt nichts von ihnen dafür. Wir aber, die alteingesessenen Libanesen, müssen zahlen. Lizenzen; Steuern."

    Libanesische Geschäftsleute müssen zahlen; syrische nicht? – Das klingt erst einmal nach von Konkurrenz-Ängsten angestachelten Parolen. Doch tatsächlich sieht der Wirtschaftswissenschaftler Kamel Wazne es wie der Bäckereibesitzer.

    ""Wer ein Geschäft eröffnen will, muss eine entsprechende Lizenz beantragen. Aber viele machen das nicht. Sie zahlen keine Steuern, keinen Strom, nichts. Und sie konkurrieren mit Leuten, die das alles zahlen. Der Staat hat angekündigt dagegen vorzugehen, aber Libanon hat de facto gar nicht Möglichkeiten."