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Syrische Gefängnisse
"Wer rauskommt, ist gebrochen"

Nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs fast 18.000 Menschen in syrischen Gefängnissen gestorben. Folter, Erniedrigung und Ermordungen - Überlebende berichten von brutalen Methoden.

Von Carsten Kühntopp |
    Am 11. Juni 2014 werden diese Häftlinge aus einem Gefängnis in Damasakus entlassen. Das Bild zeigt Menschen, die mit Papieren in der Hand einen vergitterten Bereich verlassen dürfen, Wärter sehen zu.
    Am 11. Juni 2014 werden diese Häftlinge aus einem Gefängnis in Damasakus entlassen (SANA)
    Diab Serrih verbrachte fünf Jahre im Militärgefängnis Saidnaya. Im März 2006 war er verhaftet worden, weil er die Regierung kritisiert hatte. "Immer mal wieder kursieren in den sozialen Medien Fotos von Leuten, die 100 oder 110 Kilo wogen, als sie in das Gefängnis kamen - und dann nur noch 45 oder 40 Kilo, als sie wieder raus kamen", sagt er.
    Prügel als Begrüßung
    Saidnaya ist berüchtigt. Dort sind die Haftbedingungen noch schlimmer als anderswo. Wie Diab Serrih gehört auch Salam Othman zu denen, die Sednaya überlebt haben. Der Anwalt aus Aleppo kam im September 2011 hinter Gitter, weil er friedliche Proteste gegen die Regierung organisiert hatte.
    Den Mitarbeitern von Amnesty International schilderte auch er seine Erlebnisse. Schon bei seiner Ankunft habe er die Rufe der Wärter gehört. "Sie freuten sich darauf, die Häftlinge 'begrüßen' zu können. Gleich, als sie die Türen des Lasters geöffnet hatten, griff sich jeder Wärter einen Häftling und begann, ihn zu verprügeln."
    Unfassbare Brutalität
    In den Stützpunkten der Geheimdienste werden die Festgenommenen gefoltert, um Geständnisse zu erpressen. Nach ihrer Verurteilung kommen sie dann nach Sednaya. Dort hat die Folter den Zweck, Menschen zu bestrafen, zu erniedrigen: Elektroschocks, Vergewaltigungen, das Ziehen von Finger- oder Fußnägeln, Verbrühen, Verbrennen mit Zigaretten, Schläge auf die Sohlen - und immer wieder werden Insassen schlicht zu Tode geprügelt.
    Salam Othman, der Anwalt, erlebte, was passierte, als Wärter herausfanden, dass ein inhaftierter Kung-Fu-Trainer seine Mithäftlinge in der Kampfsportart unterrichtet hatte: Die Aufseher prügelten den Trainer und fünf weitere Häftlinge sofort zu Tode, die 14 anderen im Laufe der Woche. Othman sah, wie das Blut aus der Zelle floss.
    Appell an Russland
    Mit einer Haftanstalt im herkömmlichen Sinn hat Sednaya nichts mehr zu tun. Philip Luther von Amnesty International sagt: "Alles im Gefängnis Sednaya dient dazu, den Häftling zu zerstören: Die Haftumstände, die fürchterlich sind. Die täglichen Foltertechniken, grausame und erniedriegende Handlungen, denen die Häftlinge jeden Tag ausgesetzt sind. Wer dort wieder rauskommt, ist gebrochen - wenn er denn überhaupt wieder rauskommt."
    Über Jahrzehnte hatte die syrische Regierung foltern lassen, um ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen. Mit dem Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings wurde das Regime noch grausamer: Amnesty International kann nachweisen, dass zwischen dem Beginn des Aufstands gegen die Regierung im März 2011 und Dezember vergangenen Jahres landesweit fast 18.000 Menschen in Haft ums Leben kamen - das sind mehr als 300 Tote jeden Monat.
    In den zehn Jahren davor waren es im Durchschnitt drei oder vier Tote im Monat. Allerdings spricht Amnesty von einer hohen Dunkelziffer: Weil zehntausende Menschen in den syrischen Gefängnissen verschwunden sind, seien die tatsächlichen Opferzahlen wesentlich höher. An Russland appelliert die Menschenrechtsorganisation, die syrische Regierung im Weltsicherheitsrat und vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht länger zu beschützen. Dieser "schändliche Verrat" an der Menschlichkeit müsse sofort aufhören.