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Syriza-Wahlerfolg
"Wir müssen in Griechenland Geld in die Hand nehmen"

Griechenland müsse in die Lage versetzt werden zu investieren, sagte der Wirtschaftsberater und Ökonom Jens Bastian. Nun würde es erst mal darum gehen, wie die einseitige Fixierung des Sparkurses beendet werden könne. Außerdem sei Griechenland auf die europäische Solidarität angewiesen, um endlich wieder Arbeitsplätze zu schaffen.

Jens Bastian im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dem Wahlergebnis mit dem Sieger Alexis Tsipras von der Partei Syriza solle man mit Gelassenheit entgegentreten, so der Ökonom Jens Bastian im DLF. Er forderte dazu auf, einen "ruhigen überlegten Tonfall" zu finden.
    Grexit-Diskussion
    Die Grexit-Diskussion ist laut Bastian unnötig gewesen. Ein Ausstieg aus der Eurozone habe keine Basis in Griechenland und sei auch in der Linkspartei Syriza umstritten. Syriza habe auch deswegen die Wahlen gewonnen, weil sie sich im Gegensatz zu der Wahl vor zwei Jahren diesmal klar zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Eurozone positioniert habe, so Ökonom, der auch als Berater in der EU-Task-Force tätig war,
    "Die Griechen wollen in der Tat einen Wechsel", sagte Bastian. Die Wechselstimmung sei in den vergangenen Wochen mit Händen zu greifen gewesen. Nun werde es darauf ankommen wie Alexis Tsipras in der Koalitionsregierung diesen Wechsel definiere und welche Reformforderungen umsetzbar seien.
    Schuldenschnitt
    Der Schuldenschnitt müsse erst mal mit den europäischen Partnern in anderen Bereichen einvernehmlich geklärt werden. Zum Beispiel müsse verhandelt werden, wie die Evaluierung mit den internationalen Kreditgebern vorangehe. Es ginge nicht darum, das existierende Programm fortzusetzen, auch deswegen habe Syriza gewonnen, weil sie für einen Kurswechsel in Griechenland und Europa stünde.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Es war keine Überraschung mehr. Die Syriza-Partei schrammt knapp an der absoluten Mehrheit vorbei. Das ist ein kleiner Wermutstropfen für die siegreichen Linken in Athen. Aber der klare Wahlsieg ist Alexis Tsipras nicht mehr zu nehmen. Die Griechen haben offenbar die Nase voll von den Altparteien, von den regierenden Konservativen, wie aber auch von den Sozialdemokraten, die komplett in der Versenkung verschwunden sind. Jetzt brauchen die Linken einen Koalitionspartner. Offenbar haben sie diesen bereits gefunden: die Rechten.
    Wie soll Brüssel nun reagieren, den Druck auf Athen, den Druck auf den Wahlsieger verschärfen, unmissverständlich darauf hinweisen, dass Verträge einzuhalten sind, oder Griechenland entgegenkommen, Griechenland anzubieten, Zugeständnisse zu machen?
    Erst kommt - und das war vergangene Woche - Mario Draghi und kündigt Tausend Milliarden Euro als Investitionshilfe für den Euro-Raum an. Die Finanzmärkte jubeln. Jetzt kommt Alexis Tsipras und will für Griechenland alles anders machen. Wie reagieren die Börsen jetzt?
    Der Linke Alexis Tsipras gewinnt also in Griechenland und will mit den Rechten koalieren - unser Thema jetzt mit Ökonom und Wirtschaftsberater Jens Bastian, vormals Mitglied der Task Force der Europäischen Union. Guten Tag nach Athen.
    Jens Bastian: Guten Tag, Herr Müller, nach Köln.
    Müller: Herr Bastian, ist jetzt schon alles schlimmer geworden?
    Bastian: Nein, keineswegs, wie Sie auch in verschiedenen Vorberichten gerade darauf hingewiesen haben. Es wird eher mit Gelassenheit, durchaus mit einem Schuss Skepsis, aber nicht mit irgendwelchen Schreckgespenstern gesehen, die an die Wand gemalt werden, nur weil Syriza die Wahl gewonnen hat. Den Ball flach halten, um in der Fußballersprache zu bleiben, und einen ruhigen überlegten Tonfall finden.
    Müller: Die ganzen Katastrophenszenarien, die im Vorfeld von vielen Medien auch in Deutschland skizziert wurden, suggeriert wurden, das ist alles Quatsch?
    Bastian: Ich würde sagen, das war übertrieben. Manches war auch unnötig, wie zum Beispiel die Grexit-Diskussion. Das hat keine Basis hier in Griechenland. Das ist auch innerhalb der Syriza in keiner Weise umstritten.
    "Klare Positionierung von Syriza zur Euro-Zone"
    Müller: Sie meinen den Austritt?
    Bastian: Genau. Syriza hat auch deswegen die Wahlen gewonnen, weil sie sich klar zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union und zur Mitgliedschaft in der Euro-Zone positioniert haben. Das war ein großer Unterschied zu ihrem Verhalten vor zweieinhalb Jahren, als wir Doppelwahlen in Griechenland hatten.
    Müller: Das heißt, Syriza ist in diesen zwei Jahren, in diesen zweieinhalb Jahren aus Ihrer Sicht durchaus kompatibel, regierungsfähig geworden?
    Bastian: So ist es. Sie hat diese zwei Jahre genutzt, um sich zunächst einmal zu professionalisieren, auch als Partei wirklich aufzustellen, manche Ecken und Kanten auch abzuschleifen, neues Personal zu rekrutieren, eine andere Sprache zu finden, und Herr Tsipras hat oft in den vergangenen Jahren auch Auslandsreisen unternommen, um auch sein Programm, seine Kernforderungen einer internationalen Öffentlichkeit vorzustellen. So gewinnt man Vertrauen auf europäischer Ebene und in Griechenland Wahlen.
    Müller: Das, was Sie jetzt sagen, Herr Bastian, wissen das denn die Griechen? Die Griechen wollten doch einen neuen Weg. Sie wollten einen radikalen Richtungswechsel, wenn wir das richtig verstanden haben.
    Bastian: Die Griechen wollen in der Tat einen Wechsel. Die Wechselstimmung war mit Händen zu greifen in den vergangenen Wochen. Und es wird jetzt darauf ankommen, wie Herr Tsipras in einer Koalitionsregierung diesen Wechsel definiert und welche Reformforderungen in einem Fahrplan, sagen wir, der ersten 100 Tage dann auch umsetzbar sind, und wie Sie dann auch erwähnt haben, wie können die dann auch finanziert werden.
    Syriza steht für Kurswechsel
    Müller: Was wird denn auf jeden Fall drin sein - Schuldenschnitt?
    Bastian: Der Schuldenschnitt ist ein Thema, das kommt erst später. Das muss zunächst einmal mit den europäischen Partnern in anderen Bereichen einvernehmlich geklärt werden, zum Beispiel wie geht die Evaluierung mit den internationalen Kreditgebern voran, welche neuen Reformauflagen und Vereinbarungen können wir mit Syriza treffen. Es geht ja nicht darum, Business as usual, das existierende Programm einfach fortzusetzen. Syriza hat auch die Wahl gewonnen, weil sie argumentieren, wir brauchen in Griechenland, aber auch in Europa einen Kurswechsel, was die Griechenland-Politik betrifft.
    Müller: Aber deswegen frage ich noch mal nach! Wenn wir das jetzt immer gelesen und interpretiert haben, dann war eine Sache ganz klar: Ohne Schuldenschnitt aus Sicht von Alexis Tsipras geht das gar nicht in Griechenland. Haben wir das falsch verstanden?
    Bastian: Auf Sicht wird das auch auf der Agenda stehen. Aber das ist nicht prioritär. Es geht jetzt zunächst einmal darum, sich zu vereinbaren mit den europäischen Partnern, wie kann die einseitige Fixierung auf einen Sparkurs beendet werden, wie können neue Schwerpunkte in der Reformpolitik mit europäischen Partnern ausgehandelt werden. Das betrifft Korruption, die Steuerhinterziehung und ein Investitionsprogramm. Und im Rahmen einer solchen Verhandlungskette kommt dann irgendwann auch das Thema Schuldenschnitt auf die Agenda.
    "Nicht mehr einseitige Konzentration auf Sparkurs"
    Müller: Aber was ist daran neu, Herr Bastian?
    Bastian: Daran ist insofern neu, dass zunächst die Schwerpunkte anders gesetzt werden. Wir haben in den vergangenen viereinhalb Jahren viel zu stark, manchmal gar einseitig uns auf Sparziele in Griechenland konzentriert. Der Staat als Investor tritt überhaupt nicht mehr auf. Wir müssen zur Schaffung von Arbeitsplätzen nicht nur ausländische Direktinvestitionen nach Griechenland bringen; wir müssen auch Staat und Regierung in die Lage versetzen, Geld in die Hand nehmen zu können, um zu investieren. Dafür gibt es Bereiche in der Bildung, in erneuerbaren Energien, landwirtschaftliche Infrastruktur, Breitbandnetze. Da muss allerdings dann auch Spielraum für eine Regierung vorhanden sein, dass sie Mittel in die Hand nehmen kann und sich gegebenenfalls auch dafür verschulden darf. Das ist in der Vergangenheit nicht erlaubt gewesen.
    Müller: Herr Bastian, das ist das Gegenteil von Sparen.
    Bastian: In der Tat! Es geht darum, wegzukommen von dieser Konzentration auf den Sparkurs. Wer investieren möchte in Griechenland - und wenn das auch der Staat ist -, der soll dabei unterstützt werden und der braucht dabei dann auch europäische Unterstützung. Zum Beispiel das Investitionsprogramm von Kommissionspräsident Juncker kann einen Beitrag dazu leisten, diese Investitionsperspektive in Griechenland zu stärken, dass der griechische Staat zusammen mit der Europäischen Kommission gemeinsame Investitionsprogramme identifizieren kann.
    Müller: Aber im Ausgeben, Herr Bastian, war Griechenland ja immer gut, einige sagen ja sogar Weltmeister. Das heißt, wenn jetzt Griechenland wieder Geld bekommt, um Geld auszugeben, dann ist das doch konterkariert den europäischen Interessen entgegenstehend.
    Bastian: Nein. Das halte ich auch für eine zu polemische Beschreibung der Situation in Griechenland. Wir müssen in Griechenland Geld in die Hand nehmen. Wir müssen den Staat in die Lage versetzen, in der Tat zu investieren. Zum Beispiel, wenn wir von Griechenland verlangen, dass sie bessere, effektive Steuerverwaltung haben sollen, dann brauchen wir allerdings auch mehr Einstellung im öffentlichen Dienst, was Steuerbeamte betrifft. Wenn wir zum Beispiel im Gesundheitswesen die sozialen Kosten der Krise meistern wollen, müssen wir mehr Personal in Krankenhäusern einstellen. Das halte ich nicht für etwas, wo man ständig einem Land sagt, das dürft ihr nicht, weil ihr euch an Sparauflagen halten müsst.
    Müller: Jetzt muss ich noch mal fragen: Das ist genau das Gegenteil. Es ist ja permanent jetzt auf Druck der Europäischen Union, der Troika Personal abgebaut worden. Jetzt wird das alles wieder rückgängig gemacht?
    Bastian: Das würde ich nicht sagen, dass es rückgängig gemacht wird. Es geht darum, neue Schwerpunkte zu identifizieren und auch zu sagen, wo sind die sozialen Kosten dieser Krise, dieser stillen Krise, die sich in Massenarbeitslosigkeit vor allen Dingen bei Jugendlichen zeigt, wie kommen wir dahin, dass wir endlich wieder Arbeitsplätze schaffen können. Das kann Griechenland nicht aus eigener Kraft. Da braucht es europäische Solidarität. Da müssen wir Mittel und Wege finden. Die können einvernehmlich verhandelt werden mit einer Tsipras-Regierung als Ministerpräsident.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Ökonom und Wirtschaftsberater Professor Jens Bastian. Danke für das Gespräch. Auf Wiederhören nach Athen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.