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"SZ"-Journalist zu Edathy-Affäre
"Ich halte es für ein unwürdiges Theater"

Unverfrorenes Handeln, der Versuch, aus der Affäre Kapital zu schlagen und unwürdiges Verhalten auf vielen Seiten: Heribert Prantl ist empört. Hier werde der wirklich tragische Fall Edathy zum Anlass genommen, sich gegenseitig mit Vorwürfen zu überhäufen, sagte der Ressortchef für Innenpolitik bei der "Süddeutschen Zeitung" im Deutschlandfunk.

Heribert Prantl im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der Journalist Heribert Prantl
    Heribert Prantl (dpa / picture alliance / Markus C. Hurek)
    Dirk-Oliver Heckmann: Die schwarz-gelbe Koalition von 2009, die begann ja bekanntlich mit wüsten Beschimpfungen der Koalitionspartner untereinander. Jetzt kam es wieder zu massivem Streit, diesmal zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD. Der Stein des Anstoßes: der Rücktritt von Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich, der SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Fall Edathy vertraulich unterrichtet hatte und deshalb vergangenen Freitag seinen Hut nehmen musste. Nach kaum verhüllten Rücktrittsforderungen Richtung Thomas Oppermann, der die Unterrichtung öffentlich gemacht hatte, kamen am Abend die Chefs von Union und SPD, Merkel, Seehofer und Gabriel, im Kanzleramt zusammen. Ergebnis: man will an der gemeinsamen Arbeit selbstverständlich festhalten. – Christiane Kaess hat am Abend gesprochen mit Heribert Prantl. Er ist im Ressort für Innenpolitik bei der "Süddeutschen Zeitung" und Mitglied der Chefredaktion. Ihre erste Frage an Heribert Prantl lautete: Ist die Affäre um Edathy und den erzwungenen Friedrich-Rücktritt jetzt eine willkommene Gelegenheit für die CSU, um eigene Interessen durchzusetzen?
    Heribert Prantl: Nun ja, es ist die falsche Gelegenheit, eigene Interessen durchzusetzen. Friedrich hat einen Fehler gemacht als Innenminister. Er hat sich in das Umfeld der Verletzung des Dienstgeheimnisses begeben, Paragraf 353 BGB Strafgesetzbuch. Das ist nun keine wahnsinnig schwere Straftat und da ist einiges zu diskutieren, ob er wirklich wichtige öffentliche Interessen verletzt hat. Nur dann ist es eine Straftat. Aber er hat einen rechtlichen Fehler gemacht und dieses Fehlers wegen ist er zurückgetreten, weil seine Kanzlerin und sein Parteivorsitzender und Ministerpräsident ihn nicht gehalten haben, weil er anscheinend ihnen nicht wichtig genug war. Das ist die Causa. Wenn nun die CSU versucht, daraus Kapital zu schlagen und irgendwelche politischen Tauschgeschäfte zu machen, dann ist das schlichtweg unverfroren.
    Christiane Kaess: Gehen Sie davon aus, dass es so etwas wie einen politischen Kuhhandel geben wird?
    Prantl: Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen. Das ist keine Causa, die sich für Kuhhandel eignet. Hier auf der Affäre Edathy, die tragisch und schlimm und unwürdig und welche Vokabeln wir auch immer finden mögen genug ist, darauf irgendwelche Stromtrassen und sonstige Geschichten zu kochen, halte ich wirklich für völlig unmöglich und für unwürdig.
    Kaess: Aber Sie würden sagen, dass die Trauer von Horst Seehofer um seinen CSU-Minister sich in Grenzen hält?
    Prantl: Das sind Krokodilstränen und Krokodilsreden. Das ist Politik und erinnert mich ein bisschen an einen Satz, den mal Franz-Josef Strauß gesagt hat: Vormittags machen wir Propaganda, Nachmittags machen wir Politik. Es ist Zeit, Politik zu machen.
    Das ganze Reden über rechtliche Fehler ist unsinnig
    Kaess: Glauben Sie, dass die Rücktrittsforderungen an Herrn Oppermann auch eine Inszenierung der CSU sind?
    Prantl: Natürlich! Ich meine, Herr Oppermann hat sich nicht strafbar gemacht. Wenn wir über Strafbarkeit der Beteiligten reden, dann müssen wir erst mal mit Edathy anfangen. Wenn es so ist, wie es sich darstellt, dass Herr Edathy zwar moralisch verwerflich gehandelt hat, aber keine Straftat begangen hat, gibt es keine Strafvereitelung. Es gibt allenfalls eine Verletzung des Dienstgeheimnisses. Ein Dienstgeheimnis kann nur jemand begehen, der in einer öffentlichen Funktion ist, ein Amtsträger. Das war Friedrich. Oppermann war kein Amtsträger, ist kein Amtsträger, er hat ein Parteiamt.
    Das ganze Reden über rechtliche Fehler ist unsinnig. Da geht es darum, sich gegenseitig Schuld zuzuschieben, und letztendlich um die Frage, an wem, außer an Edathy selbst, bleibt die öffentliche Empörung über einen Politiker, der Kontakt zu Kinderpornografen hatte, hängen. Und deswegen wird hier ein seltsames Pingpong-Spiel gespielt. Ich halte es für ein unwürdiges Theater. die Politik sollte möglichst schnell zu ordentlichem Arbeiten zurückkommen. Und hier von Vertrauensmissbrauch zu reden – man muss sich halt gegenseitig trauen und nicht diesen wirklich tragischen Fall Edathy zum Anlass nehmen, jetzt mit Vorwürfen hin- und herzuschleudern.
    Kaess: Dennoch wird ja an ganz vielen Stellen jetzt noch mal nachgetreten und Hans-Peter Friedrich hat sich noch mal zu Wort gemeldet und hat zur Weitergabe dieser Information an Sigmar Gabriel und einem möglichen Geheimnisverrat gesagt: "Wenn es ein Gesetz gibt, das einen zwingt, nicht Schaden vom deutschen Volk abzuhalten, dann muss man dieses Gesetz sofort aufheben." Für welches Verständnis des Rechtsstaates spricht das denn?
    Prantl: Na ja, Sie sagen zurecht Schaden vom deutschen Volk. Aber das deutsche Volk ist nicht gleichzusetzen mit dieser Regierung, mit dieser Koalition. Er wollte – und das ist ja nichts Schlimmes – Schaden von der Koalition abwenden, und solche Interessen können ja eine Rolle spielen bei der Beurteilung des Delikts Verletzung des Dienstgeheimnisses, weil es einfach in dieser Vorschrift heißt, wer durch die Verletzung des Dienstgeheimnisses wichtige öffentliche Interessen gefährdet, und dann muss man halt prüfen, worin bestehen die öffentlichen Interessen. Die öffentlichen Interessen bestehen nicht in irgendwelchen Koalitionsdingen, sondern die bestehen in der Integrität des Strafverfahrens. Es darf nicht der Anschein entstehen, dass ein Strafverfahren, ein Ermittlungsverfahren durch Indiskretionen vereitelt wird.
    Das ist das Fehlverhalten, das man Friedrich vorwerfen kann. Was er hier jetzt zu seiner Rechtfertigung anführt, Schaden vom deutschen Volk abwenden etc., das verstehe ich gut, weil er sich in einem Dilemma befand, aber er soll sich jetzt nicht höherstellen, als man es machen sollte.
    Krokodilstränen und Nachtreten
    Kaess: Herr Prantl, Sie haben vom gegenseitigen Schuldzuschieben gesprochen. Es ist ja sehr viel Bedauern von Seiten der SPD geäußert worden über den Rücktritt von Herrn Friedrich. Waren auch das Krokodilstränen?
    Prantl: Ja, das waren auch Krokodilstränen. Mir ist unmittelbar nach dem Rücktritt der schöne Satz aus dem "Faust" eingefallen, als Mephistopheles über das Gretchen sagt, "Sie ist ein gar unschuldig Ding, das halt für nichts zur Beichte ging". So ähnlich geriert sich jetzt der Ex-Minister Friedrich, als unschuldig Ding, das für nichts zur Beichte ging, also als Gretchen. Aber gar so unschuldig ist er nicht, weil er halt das Ermittlungsgeheimnis, wenn auch aus für ihn guten Gründen, verletzt hat.
    Kaess: Und wenn wir jetzt noch mal kurz auf die SPD schauen, ist das jetzt ein Ablenkungsmanöver, dass Sigmar Gabriel jetzt mit Edathy hart ins Gericht gehen will und ihn aus der Partei ausschließen will?
    Prantl: Ehrlich gesagt, das halte ich für ziemlich schäbig. Ich habe erst mal ungläubig diesen Satz gehört. Dass man jemand, der schon am Boden liegt, der sich moralisch schuldig gemacht hat, aus der Partei ausschließen will, das ist der sozialdemokratischen Partei unwürdig, das ist jeder Partei unwürdig. Wenn alle, die sich moralisch schuldig gemacht haben, aus der Partei ausgeschlossen würden, dann hätten Parteien in Deutschland sehr wenig Mitglieder.
    Heckmann: Heribert Prantl war das aus dem Ressort für Innenpolitik bei der "Süddeutschen Zeitung" und Mitglied der Chefredaktion. Die Fragen stellte meine Kollegin Christiane Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.