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"Süddeutsche Zeitung"
Immer mehr Spitzenkräfte verlassen "SZ"

Die Liste der journalistischen Spitzenkräfte, die die "Süddeutsche Zeitung" in den letzten Monaten verlassen haben, ist lang. Zuletzt sorgte der Abgang der Pulitzer-Preisträger Bastian Obermayer und Frederik Obermaier für aufsehen - und es war offenbar nicht der letzte Rückschlag für die "Süddeutsche".

Von Michael Watzke |
Das Verlagsgebäude der "Süddeutschen Zeitung" in München.
Das Verlagsgebäude der "Süddeutschen Zeitung" in München. (imago images/imagebroker)
Neulich bei der "Süddeutschen Zeitung" im Münchner Osten. Im kleinen Gärtchen hinter dem schwarzen Hochhaus stehen einzelne Mitarbeiter rauchend im Nieselregen. Das triste Bild beschreibt passend die aktuelle Stimmungslage bei der "SZ". Die sei so schlecht wie noch nie, sagt ein langjähriger Redakteur, der seine Stimme nicht im Radio hören möchte und dessen Aussagen wir deshalb nachvertont haben.
"Aktuell ist es grauenvoll bei der 'Süddeutschen'. Ich kenne kaum einen, der oder die mit Freude in die Hultschiner Straße fährt. Auf den Redaktionsfluren herrscht Misstrauen und Pessimismus. Jeder fragt sich: wer geht als nächstes?"

Spitzenkräfte verlassen "Süddeutsche Zeitung"

Während bei anderen Medienunternehmen eher im Raum schwebt, wem als nächstes gekündigt wird, steht bei der "SZ" die Sorge im Vordergrund, welche Spitzenkräfte als nächstes das Weite suchen. Ein Kompendium prominenter Abgänger, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Kommentarchef Stefan Ulrich, die Korrespondenten Christoph Giesen, Leo Klimm, Thorsten Denkler, Nadia Pantel, Oliver Das Gupta, der Religions-Experte Matthias Drobinski, Charlotte Haunhorst, Bastian Obermayer, Frederik Obermaier. Die Liste nimmt kein Ende, sagt der anonyme Mitarbeiter.

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"Es ist niederschmetternd. Jetzt hört auch noch Nico Fried in der Berliner Parlamentsredaktion auf. Hier wabern Gerüchte, er sei der nächste, der zum 'Spiegel' wechselt. Wenn das stimmt, dann sind wir hier endgültig ein Bundesliga-Absteiger, der seine besten Spieler an den FC Bayern verliert."

"Spiegel" wirbt viele "SZ"-Mitarbeitende ab

Dabei war die "Süddeutsche" lange Jahre selbst der FC Bayern der Zeitungsbranche: das meistgelesene Qualitäts-Blatt in Deutschland. Nicht nur überregional, sondern international beachtet. Während kleinere Regionalblätter gegen Auflagenschwund und Anzeigenflaute kämpften, steigerte die "SZ" ihre Digital-Abo-Zahlen – angeblich auf stolze 250.000. Genaue Daten teilt der Verlag auf Deutschlandfunk-Anfrage nicht mit.

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Warum gehen dann trotzdem so viele Spitzenkräfte? Einige, wie der frühere Chefredakteur Kurt Kister und Meinungs-Chef Heribert Prantl, schieden aus Altersgründen aus. Aber die meisten sind zur Konkurrenz abgewandert, vor allem zum "Spiegel". Der Medien-Wissenschaftler Prof. Markus Behmer von der Universität Bamberg muss fast ein Vierteljahrhundert zurückdenken, um sich an eine ähnliche Abwerbe-Schlacht zu erinnern.

Erinnerung an Feuilleton-Schlacht zwischen "SZ" und "FAZ"

"Ums Jahr 2000 herum gab’s so einen Feuilleton-Krieg fast zwischen 'SZ' und 'FAZ'. Die haben sich gegenseitig viele Köpfe abgeworben. Innerhalb der Branche sorgt das für großes Aufsehen, zumal wenn es sehr prominente Köpfe sind und gleich drei Redaktionsleiter. Was auch mit dem starken unternehmerischen Denken des Verlags zu tun hat, der dahintersteht – nämlich der Südwestdeutschen Medienholding, die etwa 90% der 'Süddeutschen Zeitung' besitzt. Hier sind ja auch Kürzungen in der Redaktion angekündigt und durchgeführt worden."
Rund 50 "SZ"-Redakteure hat die SWMH ausbezahlt, um die Redaktion zu verschlanken. Die jetzigen Abgänge waren kein Teil dieses Programms. Aber dem Vernehmen nach waren die schwäbischen Verleger in der Stuttgarter Zentrale nicht bereit, die Gehälter des großen Wettbewerbers in Hamburg zu spiegeln.

"Spiegel" versucht sich an Image-Aufwertung

"'Der Spiegel' versucht hier stark, neues Renommee aufzubauen. Stärkeres als er hat. Er stand ja stark in der Krise mit der Claas-Relotius-Affäre. Also hier der Versuch, Leute abzuwerben, die das Image des Spiegels aufwerten können."

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Die Hamburger zahlen nicht nur deutlich besser, heißt es. Sie böten auch attraktivere Arbeitsbedingungen und erlaubten mehr Home Office. Dagegen seien die Stuttgarter "SZ"-Besitzer schwäbische Knauser vor dem Herrn, hört man aus der Münchner Redaktion. Sowohl bei den Spitzen- als auch bei den Einstiegs-Gehältern.

Sparkurs der "SZ"-Verlags sorgt für Unmut

Als Kurt Kister noch "SZ"-Chefredakteur war, hatten die "SZ"-ler wenigstens das Gefühl, einer biete den Verlegern die Stirn. Kisters Nachfolgern Wolfgang Krach und Judith Wittwer, die vom Schweizer Tages-Anzeiger kam, gelinge das nicht mehr.
"Die haben überhaupt kein Standing, weder redaktionell noch machtpolitisch. Die sitzen den Stuttgartern doch in der Westentasche", sagt der SZ-Redakteur, der unerkannt bleiben will.
Die Chef-Doppelspitze Krach/Wittwer hat eine Interview-Anfrage abgelehnt und die Fragen des Deutschlandfunks auch schriftlich nicht beantwortet. Derzeit scheint bei der Süddeutschen in München die Devise zu gelten: Augen zu und durch. Die Frage ist nur: Wer aus der "SZ"-Redaktion ist bereit, diesen Weg auf Dauer mitzugehen?