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T.C. Boyle: "Das Licht"
Was vom LSD-Rausch übrigbleibt

Harvard-Professor Timothy Leary will die Welt mit psychedelischen Drogen zu einem besseren Ort machen. Seine Anhänger sehen in ihm einen Messias und erhoffen sich Rettung und Erlösung. T.C. Boyles Roman erzählt die Geschichte der LSD-Sekte – und was davon übrigbleibt, wenn der Rausch abgeklungen ist.

Von Dagmar Röhrlich |
Buchcover: T.C. Boyle: „Das Licht“
Der Roman entstand auf Grundlage der Autobiografie des Harvard-Professors Timothy Leary (Buchcover: Carl Hanser Verlag, Foto: dpa-Zentralbild/Karl Heinz Schindler)
Cambridge, Massachusetts, 1962. Die Zeit, in der sich die Hippiekultur zu entwickeln begann, der Gesellschaft und Konventionen als Fesseln erschienen, die es abzuschütteln galt. Auch in Harvard. Hier begegnet der Leser - nachdem der Prolog ihn ins Labor des LSD-Entdeckers Albert Hofmann geführt hatte - Fitzhugh (Fitz) Loney. Fitz ist Doktorand der Psychologie, verheiratet, ein Kind, hochfliegende Pläne, glaubt an eine Zukunft. Und er gerät in den Bann des charismatischen Professor Timothy Leary: dem Drogenguru der 1960er-Jahre, der mit psychedelischen Pilzen und LSD die Welt zu einem besseren Ort und die Menschen frei und glücklich machen will.
"Das Licht wurde gedämpft. Tim legte eine Platte mit irgendeiner monotonen indischen Musik auf - das sei Raga, sagte jemand - ein nervtötendes Gedudel, das immer und immer weiterging, eine Ewigkeit, wie es schien, und dann begann die Droge zu wirken und rollte und rollte durch ihn hindurch wie sich übereinander türmende Wellen an einem endlosen Strand. Objekte begannen sich zu bewegen, heftig und gewaltsam, in kreischenden Farbstreifen, und das alles drang auf ihn ein."
Visionen im Paradies
Fitz ist eine fiktive Figur, ebenso seine Frau Joanie und ihr Sohn Corey, doch um drei herum entwickelt sich die Handlung mit realen Personen - allen voran Leary, der in Harvard eine Sekte aufzubauen beginnt, deren Gott er und deren Sakrament das LSD sein wird. Ein Jahr lang geht es gut, dann fliegt Leary aus Harvard. Seine Anhänger sind wie betäubt, hoffen darauf, von ihrem Messias gerettet zu werden. Diese Rettung scheint auch zu kommen, in Form von Millbrocks - ein Anwesen, zwei Stunden Autofahrt von New York entfernt.
Peggy Hitchcock, eine Gönnerin Learys, stellt der Sekte das riesige Haus mit seinem zehn Quadratkilometer großen Gelände zur Verfügung. Fitz und seine Frau wähnen sich im Paradies. Hier wollen sie zusammen mit den anderem aus dem "inneren Kreis" ihre Visionen verwirklichen: Sie wollen sich ganz dem Rausch hingeben, der freien Liebe, Eifersucht und Besitz überwinden, sich per "Sakrament" zu tiefsten Erkenntnissen verhelfen, das Licht hinter dem Licht sehen, Gott.
Die jämmerlich Scheiternden
Das Leben in Millbrocks rekonstruiert T.C. Boyle anhand von Learys Autobiographie. Doch dem Autor geht es nicht um irgendwelche Drogenvisionen, sondern um die viel spannenderen Phasen zwischen den Räuschen: Mit Ironie schildert Boyle die psychische Sucht der Gruppe und das Scheitern ihrer Gemeinschaft. Während dieses Scheitern immer mehr in den Vordergrund tritt, scheint Leary regelrecht zu verschwinden - ganz, wie in der Realität: Als es schwierig und das LSD knapp wird und der Niedergang kaum noch zu übersehen ist, wird er sich davonmachen. In "Das Licht" geht es nicht um ihn, sondern um die, die zurückbleiben - um die jämmerlich Scheiternden, die sonst nie im Rampenlicht stehen. Ein brillantes Buch.
"Das Licht" von T.C. Boyle
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk Gunsteren
Hanser-Verlag, 379 Seiten, 25 Euro