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Tabakindustrie in der Kritik

NGOs hätten keine Chance, gegen die Lobbyarbeit der Tabakindustrie anzukommen, sagt Nina Katzemich, EU-Referentin bei der Nicht-Regierungsorganisation LobbyControl. Die Tabbaklobby hatte massiv versuch, auf die Verschärfung der Tabakrichtlinien Einfluss zu nehmen, die die EU beschlossen hat.

Nina Katzemich im Gespräch mit Andreas Kolbe |
    Andreas Kolbe: 700.000 Menschen sterben schätzungsweise jedes Jahr in der EU an den Folgen des Rauchens. Das sind 2000 Menschen pro Tag oder umgerechnet vier voll besetzte Jumbojets, die jeden Tag abstürzen. Gegen die Folgen des Rauchens vorzugehen, hat sich die Europäische Union schon vor fünf Jahren vorgenommen. Doch es hat bis heute gedauert, bis das Europaparlament nun endlich eine Verschärfung der Tabakrichtlinie beschlossen hat.

    Wir haben es in dem Beitrag schon gehört: Die Tabakindustrie hat in Brüssel massiv versucht, Einfluss zu nehmen auf die neuen Regeln. Darüber habe ich vor der Sendung mit Nina Katzemich gesprochen, sie ist EU-Referentin bei der Nicht-Regierungsorganisation LobbyControl. Und ich habe sie zunächst gefragt: Wie viel Tabakindustrie steckt denn da nun drin, in der heute verabschiedeten Richtlinie?

    Nina Katzemich: Zunächst mal muss man sagen, dass so, wie es im Moment aussieht, durchaus auch noch ein gutes Stück EU-Kommission bei der ganzen Richtlinie übrig geblieben ist. Das passiert auch nicht immer. Aber die Tabakindustrie hat dennoch von Anfang an durchaus diese Richtlinie begleitet und jedenfalls versucht, an Einfluss auszuüben, was sie nur konnte.

    Kolbe: Wenn man sich jetzt den Entwurf der Kommission anschaut und das, was das Parlament heute beschlossen hat, wo sieht man die Änderungen, die die Tabaklobby da hineingedrückt hat?

    Katzemich: Ich würde sagen, dieses Plain Packaging, was zum Anfang in der Debatte war, ist ein großer Punkt.

    Kolbe: Was ist das?

    Katzemich: Da geht es darum, dass die Zigaretten eigentlich wirklich bis zur Unkenntlichkeit neutralisiert gewesen wäre. Da sieht man dann kaum mehr den Namen der Zigarettenmarke.

    Kolbe: So eine Art weiße Verpackung, eine Einheitsverpackung?

    Katzemich: Genau. Das ist raus. Ich habe jetzt mitbekommen, dass die Warnhinweise wohl kleiner sind als geplant, nämlich nicht 75, sondern 65 Prozent. Ansonsten muss man sagen, dass zu meiner Überraschung offensichtlich auch viele Punkte überlebt haben, die die EU-Kommission da reingeschrieben hat.

    Kolbe: Über die Einflussnahme der Lobbyisten ist ja viel berichtet worden. Da gab es geheime Listen über Europaabgeordnete. Auch Gesundheitskommissar John Dalli aus Malta ist letztlich über die Tabak-Richtlinie gestolpert. Waren die Lobbyisten hier besonders aktiv, besonders dreist?

    Katzemich: Ja, das ist so ein bisschen typisch Tabaklobby. Die Tabaklobby gilt traditionell als das große Vorbild, wie man Lobbyarbeit betreibt. Sie war schon immer besonders, ich sage jetzt mal, perfide. Und auch hier entdeckt man schon einiges, wo auch mir – und ich habe jetzt, glaube ich, schon vieles in den letzten Jahren gesehen – so ein bisschen die Luft weg bleibt.

    Kolbe: Zum Beispiel?

    Katzemich: Ein Beispiel, das mich doch sehr schockiert hat, dass ein Mann Namens Michel Petit für Philip Morris mehrfach beim juristischen Dienst vorgesprochen hatte. Jetzt ist es so: Herr Petit war mal Generalsekretär des juristischen Dienstes. Dann hat er die Seiten gewechselt und ist bei einer Anwaltskanzlei, die selber Lobbying betreibt, so sehen wir es jedenfalls, gelandet, und die arbeiten heute, haben als einen guten Kunden Philip Morris.

    Herr Petit durfte sozusagen für diesen Kunden zweimal beim juristischen Dienst vorsprechen, das darf sonst keiner, und das ist eine sehr mächtige Einrichtung in der EU. Er ist also ein Seitenwechsler, bei dem man so richtig schön sieht, wie sehr es auch nach vier Jahren noch nützt, wenn man gute Kontakte hat.

    Kolbe: Betreiben denn die Tabakgegner genauso intensiv Lobbyarbeit?

    Katzemich: Die Tabakgegner betreiben natürlich auch Lobbyarbeit, aber es ist einfach unglaublich unterschiedlich. Die Zugänge sind so unterschiedlich. Das Geld, was fließt, ist so unterschiedlich. Das Personal, was da ist, das hat man ja gerade mit Philip Morris gehört. 161 Mitarbeiter, die jedenfalls zeitweise damit beschäftigt waren, Abgeordnete zu bearbeiten und zu klassifizieren. Das kann echt keine NGO leisten, die haben einfach keine Chance, gegen so was anzukommen.

    Kolbe: Jetzt ist die neue Richtlinie im Parlament verabschiedet worden. Die EU-Mitgliedsländer müssen noch zustimmen. Wird die Tabaklobby auch auf die Verhandlungen wieder Einfluss nehmen können?

    Katzemich: Ja, auf jeden Fall. Die geht jetzt zurück in die Nationalstaaten, und wenn sie es schaffen, dass Griechenland mit in die Verhandlung kommt – die leiten die Ratspräsidentschaft ab Januar -, dann sieht das auch nicht schlecht für sie aus, weil die gelten als sehr tabakfreundlich.

    Kolbe: Die Tabakindustrie und ihre Lobbyarbeit in Brüssel – Nina Katzemich war das von LobbyControl.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.