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Tablette gegen Treibhauseffekt

Medizin.- Die Erderwärmung führt nicht selten zu gesundheitlichen Problemen: Allein im sogenannten Jahrhundertsommer des Jahres 2003 starben 75.000 Menschen in Europa. Deutschland verzeichnete damals 3500 Hitzetote. Es war vor allem die Lunge, die den Menschen zu schaffen machte.

Von Michael Engel |
    Die Hitzewellen der Jahre 2003 und 2006 forderten zahlreiche Opfer überall in Europa. Doch nicht Herzinfarkte oder Kreislaufversagen waren die Gründe dafür, sondern Lungenversagen, so Professor Christian Witt, Pneumologe von der Charité Berlin:

    "Erwartet hatte man mehr die kardiovaskulären, also den typischen Infarktpatienten, der – wenn es dann heiß ist – aufgeregt ist und schwitzend umherläuft, dass die mehr Mortalität hätten. Aber nein, mehr Mortalität ist bei den Lungen. Und das lässt sich am ehesten damit erklären, dass die Lunge so eine Art 'Portalorgan' ist für Stäube, für Belastungen in der Luft. Und die Frage warum, bleibt bisher noch unbeantwortet, warum Lungen mehr als Herzen zum Beispiel."

    Dass vor allem die Lunge schlapp macht, wenn es heiß ist, darüber gibt es nur Vermutungen: Wahrscheinlich, so der Pneumologe, liegt es an der zunehmenden Aggressivität der heißen Luft: Insbesondere Schadstoffe wie Stickoxide, Schwefeldioxid, Ozon, aber auch Staub scheinen bei hohen Temperaturen aggressiver zu werden.

    "Offensichtlich wird eine wärmere Luft auch eine andere. Also was die Lösung rein physikalisch und chemisch von Schadstoffen angeht. Und nach meiner Meinung ist jetzt völlig unklar, was jetzt zum Beispiel diese Hitzewellen – also Heat Waves – was die machen werden. Extremwetterlagen – ob die uns dann zu Fall bringen."

    Beim Asthma weiß man schon mehr: Durch die Klimaerwärmung beginnt die Pollensaison früher und dauert länger an. Außerdem platzen viele Pollen bei höheren Temperaturen regelrecht auf. Dadurch verstärken sie die allergene Wirkung auf die Asthmatiker. Betroffen – so Professor Adrian Gillissen von der Robert Koch Klinik Leipzig – sind vor allem die Kinder. Kommt dann noch Staub dazu, wie in lang andauernden Hitzeperioden üblich, wird es noch kritischer.

    "Stäube können die Allergenität von Pollen erhöhen. Da gibt es sehr schöne Untersuchungen, dass die Pollen zum Beispiel schneller und leichter platzen oder an sich schon allergener wirken auf den Körper, so dass die Kombination von Staub und Pollen eine ungünstige ist."

    Menschen in Ballungsgebieten sind besonders hart betroffen. Ozon und Staub erreichen dort Maximalwerte, weil auch die Temperatur an heißen Sommertagen extrem ansteigt. In der Berliner City wurden schon sechs Grad Differenz gegenüber den grünen Randbereichen gemessen. Prof. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover:

    "Wir müssen uns Problemen wie der Erderwärmung stellen, die auch wieder Einfluss auf die Partikel, auf die Agressivität der Partikel haben. Und wir haben mit anderen klimatischen Bedingungen zu tun, Wind, Windrichtung, die Partikelflug- und Partikelsedimentierung beeinflussen, diese Komplexität der Probleme wird momentan in unseren Hypothesen und Vorstellungen nicht abgebildet. Und da haben wir extrem viel Forschungsbedarf für die Zukunft."

    Handeln könnte man aber heute schon: Professor Witt fordert klimatisierte Kliniken - kühle Luft für die Bettenhäuser – und eine "klimaadaptierte Arzneimitteltherapie". An heißen Tagen, wenn die Gefäße weit aufgestellt sind, könnten zum Beispiel blutdrucksenkende Mittel reduziert werden. Außerdem: Tabletten gegen die Hitze – Pillen zum Beispiel, die das Schwitzen anregen und so für Abkühlung sorgen könnten.

    "Am Ende könnte doch eine Tablette stehen, die man an so heißen Tagen einnimmt. Nicht vielleicht der Gesunde. Der hat ja genug Adaptationsmechanismen. Wir reden ja in erster Linie über die vulnerablen Gruppen. Also die ganz Kleinen, die Kranken, die Leute, die schwer arbeiten, die Alten, Pflegeheimbewohner, also Leute, die wirklich auch am Rande des Lebens sind, dass man die medikamentös beeinflusst durch bessere Wärmeregulation."