Die Musik in diesem Fast Food Restaurant in Dushanbe ist unangenehm laut. Genau deshalb wollte Rukhshan hier hinkommen. Niemand soll mitbekommen, dass er kritisch über die Polizei spricht. Bei Pommes und Burger erzählt der gläubige Menschenrechtsaktivist, der Rukhshan genannt werden will, wie er im vergangenen Jahr von der Polizei angehalten wurde, weil er seinen Bart hatte wachsen lassen:
"Sie haben mich ins Auto gezerrt und zur Polizeistation gefahren, dort haben sie mich festgehalten und mir meinen Bart abrasiert. Ich habe ihnen danach gedroht, dass ich Journalisten davon erzählen werde, da meinten sie nur: Du kannst nichts ausrichten - wir haben eine Anweisung vom Innenministerium, Bärte abzurasieren."
"Kopftuch - unvereinbar mit tadschikischer Kultur"
Heute trägt Rukhshan keinen Bart mehr. Er bete meistens zu Hause und selten in der Moschee, erzählt er. Die Polizei der Khatlon-Region brüstet sich damit, mehr als 13.000 Männern die Bärte zwangsweise abrasiert zu haben. Die Zwangsrasur ist Teil der landesweiten Anti-Radikalisierungskampagne: Die Regierung geht nicht nur gegen Bärte, sondern auch das islamische Kopftuch vor, weil sie diese für "unvereinbar mit der tadschikischen Kultur" hält.
Tadschikistan ist ein islamisches Land. 95 Prozent der Einwohner sind Muslime – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Männer sitzen abends in Bars und trinken Alkohol, viele Frauen tragen kein Kopftuch. In die Moschee dürfen Frauen generell nicht, ebenso wie Männer, die jünger als 18 Jahre alt sind. Wann Zeit fürs Gebet ist, muss man wissen, hören kann man es nicht: Der Gebetsruf des Muezzins ist außerhalb der Moschee verboten. Wegen vermuteter "extremistischer Aktivitäten" hat die Religionsbehörde seit 2011 mindestens 1.500 Moscheen geschlossen. Parallel dazu wurden in diesem Jahr alle Medresen, die Koranschulen, dichtgemacht. So verhindere man, dass Jugendliche sich radikalisieren, argumentiert die Regierung von Präsident Rahmon.
Angst vor Repressionen
Junge Männer radikalisieren sich trotzdem – oder gerade deshalb, widerspricht ein Imam aus Varzob. Er ist einer von vielen, die im Zuge der Anti-Radikalisierungskampagne durch regierungsnahe Imame ersetzt wurden. Weil er Angst vor Repressionen hat, findet auch dieses Gespräch vor Sonnenaufgang statt, in einem Taxi:
"Inzwischen gehen jeden Tag Menschen aus Tadschikistan nach Syrien."
Der entlassene Imam ist aufgebracht.
"Aus meinem Bezirk sind schon sieben Männer dorthin gegangen – und dem Anschein nach war ihre Lebenssituation gut, aber ihre politische Situation war schlecht. Weil sie religiös waren, standen sie sehr unter Druck."
Für den Imam ist die Regierung schuld daran, dass Tadschiken sich radikalisieren.
Elite-Polizist desertiert zum "Islamischen Staat"
"Sie zwingen sie förmlich dazu, es ist die Konsequenz der anti-religiösen Politik. Wenn der Islam hier frei wäre, würde keiner mit gesundem Menschenverstand eine Waffe in die Hand nehmen."
Dass viele der von Extremisten rekrutierten, arbeitslos seien und sich nur wegen eines Gehalts von angeblich mehreren Tausend Dollar dem Islamischen Staat anschlössen, glaubt der Imam nicht. Aus seiner Gemeinde seien gerade nicht die Arbeitslosen rekrutiert worden, sondern Staatsbedienstete.
"Da waren zum Beispiel einige Polizeibeamte, die eines Tages gemerkt haben, dass sie das Vorgehen der Polizei gegen die Religion nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können."
Der prominenteste Rekrut aus dem Ort des Imams ist Gulmorod Khalimov. Khalimov war Kommandeur der angesehenen OMON-Eliteeinheit, die dem tadschikischen Innenministerium untersteht.
2015 ist Khalimov dann aber zum Islamischen Staat übergelaufen; seitdem ruft er seine tadschikischen Landsleute in Videos zum Dschihad auf. Mindestens 700 Tadschiken kämpften bereits in Syrien, schätzt sogar die tadschikische Regierung. Der unabhängige Extremismus-Experte Parvis Mullahjunov hält diese Zahlen aufgrund eigener Recherchen für realistisch. 80 Prozent der Tadschiken würden in Russland rekrutiert, weil sie dort als Arbeit suchende Migranten unter sehr prekären Bedingungen leben würden und die Salafisten einige bedeutende Moscheen kontrollierten.
Salafisten organisieren sich im Untergrund
Aber auch in Tadschikistan selbst schlummere die Gefahr des Salafismus, betont Mullahjunov, der Freitagsgebete im ganzen Land beobachtet hat:
"Es gibt salafistische Gruppen hier, die inoffiziell Moscheen kontrollieren – auch wenn die Regierung behauptet, sie hätten alle Moscheen unter Kontrolle. In einigen Moscheen sind dennoch noch Imame, die von den Salafisten instruiert werden."
Saudi Arabien betreibe aktiv salafistische Propaganda – eingebettet in kostenlosem Islamunterricht, so Mullahjunov.
Diese Propaganda habe der Staat unterbunden, versucht Sherali Rizoyev zu beruhigen. Er arbeitet im Zentrum für strategische Studien, einer Einrichtung des tadschikischen Präsidenten. Eine Bedrohung im Inneren räumt der regierungsnahe Sicherheitsexperte allerdings ein:
"Es ist möglich, dass es Salafisten in Tadschikistan gibt, die weiter im Geheimen operieren. Das ist gefährlicher, als wären sie offen."
Moderater Islam ebenfalls unter Druck
Allerdings, so Rizoyev, habe man die Situation im Griff:
"Natürlich gehen die Regierung und die verantwortlichen Sicherheitskräfte aktiv dagegen vor, prophylaktisch und präventiv."
Teil dieser "Prophylaxe" war es, im vergangenen Jahr die letzte Oppositionspartei zu verbieten, die "Partei der Islamischen Wiedergeburt". Damit sei allerdings die einzige Plattform für einen moderaten Islam weggebrochen, kritisiert der unabhängige Extremismus-Experte Mullahjunov.
"Die Salafisten spüren nun nur noch den Widerstand der Regierung, aber nicht mehr seitens des politischen Islam.”
Und die würden nur darauf warten, dass die Menschen gegen die Regierung aufbegehren, prophezeit Mullahjunov:
"Die einzige Chance für die Islamisten ist eine Destabilisierung während einer Wirtschaftskrise; dann könnten sie andere Kräfte nutzen, um an die Macht zu kommen, so wie es einst im Iran der Fall gewesen ist.”
Die Voraussetzungen dafür existieren bereits: Der tadschikischen Wirtschaft geht es so schlecht wie nie zuvor während der vergangenen 25 Jahre: Für Präsident Rahmon ein hohes Risiko.