Athen Hauptbahnhof; der Vorstadt-Zug nach Piräus fährt ein; die Seitenwände der Waggons sind mit bunten Graffiti übersät, aber die Bahnkunden stört das nicht; Hauptsache der Zug fährt:
"Es ist okay so, aber die Bahn sollte öfter fahren. Wir wünschen uns, dass mehr Züge nach Piräus gehen."
Die Regierung möchte die griechische Eisenbahn verkaufen - an einen privaten Investor. So könnten 200 Millionen Euro in die leere Staatskasse fließen, rechnen Optimisten. Die Bahnkunden aber fürchten:
"Vor zwei, drei Jahren sind die Fahrkarten teurer geworden. Wenn's privatisiert wird, werden die wahrscheinlich noch viel teurer."
Aber die Regierung in Athen setzt voll auf Privatisierungen. Nicht nur für die Eisenbahn sucht sie einen Investor, sondern auch für die staatliche Lotteriegesellschaft, für Gaswerke und Elektrizitätswerke, für Autobahnen und Wasserwerke, für die Häfen der Touristen-Inseln wie Mykonos oder Zakynthos - vieles steht zum Verkauf in Griechenland, sogar einige Dutzend kleine, unbewohnte Ägäis-Inseln – dort könnten Investoren Hotels bauen und so gleich neue Arbeitsplätze im Tourismus schaffen.
Nontas Theodoropoulos ist ein stämmiger Mann Mitte 50. Seit dreißig Jahren arbeitet er als Lokführer. Und genau wie seine Passagiere, die Bahnkunden, hält auch Lokführer Theodoropoulos gar nichts von der Idee, die Bahn zu privatisieren. Privatisierung – das ist für ihn nur ein anderes Wort für Massenentlassungen:
"Persönlich würde das für mich bedeuten: Ich weiß nicht, ob ich dann überhaupt noch Arbeit haben werde - und wenn ja, werden sie mir den Lohn noch weiter kürzen. Und überhaupt: Eine Privatisierung der Bahn finde ich geradezu gefährlich. Man weiß doch: Wo private Firmen die Bahn übernehmen, bleibt die Sicherheit auf der Strecke. Da wird dann gespart. Das ist gefährlich für mich und für das Leben der Reisenden."
Thanàssis Levèntis von der Eisenbahner-Gewerkschaft kämpft für Lokführer Nontas Theodoropoulos und seine Kollegen. Die haben doch schon viel zu viel hinnehmen müssen, klagt er:
"Der Kollege verdient etwa 1500 Euro im Monat. Er hat 45 Prozent weniger Lohn als vor der Krise. Es ist ein Märchen, was die immer erzählen: dass niedrige Löhne die Wirtschaft ankurbeln."
Erst eine Sparrunde nach der anderen, nun auch noch die drohende Privatisierung. Jedes Sparpaket, so schimpft Thanàssis Levèntis, stürzte die griechische Wirtschaft tiefer in die Krise, da wäre ein Verkauf der Eisenbahn genau der falsche Weg.
Ein privater Investor würde sofort Nebenstrecken stilllegen, Züge verschrotten und Leute entlassen, fürchtet Levèntis. Denn die griechische Eisenbahn ist wenig konkurrenzfähig im Vergleich zu Buslinien und dem Autoverkehr:
"Unser Grundproblem ist: Wegen der gebirgigen Landschaft wurde die Eisenbahn nie richtig modernisiert. Wir haben sogar zwei verschiedene Spurweiten im Land: Auf der Halbinsel Peloponnes fahren die Züge auf Gleisen, die nur einen Meter breit sind. Im Norden und in der Mitte Griechenlands aber haben wir die normale, europäische Spurweite. Das ist umständlich. Hinzu kommt, dass die meisten Häfen keinen guten Gleisanschluss haben. Das ist schlecht für den Güterverkehr."
Die Eisenbahner-Gewerkschaft fordert seit Langem: Der Staat muss investieren und das Bahnnetz auf Vordermann bringen. Wenn der Staat aber die Bahn privatisiert, würde er die Kontrolle über das griechische Schienennetz aufgeben, und die griechische Bahn würde gänzlich aufs Abstellgleis rollen, befürchten die Gewerkschafter.
Ministerpräsident Antonis Samaras lässt ein solches Negativ-Szenario nicht gelten. Nein, als Chef der konservativen Nea Demokratia glaubt er an die Privatwirtschaft. Er glaubt daran, dass ein privater Investor die Bahn übernehmen und zu einem modernen Verkehrsunternehmen ausbauen wird. Der Staat habe angesichts der horrenden Schulden eh keinen Spielraum für Investitionen.
Samaras will für sein Privatisierungsprogramm Investoren aus aller Welt nach Griechenland locken. Nach der gewonnenen Parlamentswahl im Juni kündigte Samaras an:
"Wir legen einen Schwerpunkt auf Privatisierungen. Und wenn dafür neue Gesetze nötig sind, werden wir die beschließen. Wir müssen Privatisierungen beschleunigen, denn die bringen Investitionen, mit anderen Worten: Arbeitsplätze und Wachstum."
Allerdings weiß auch Antonis Samaras: Der Weg zu neuen Arbeitsplätzen und Wachstum ist noch weit. Zunächst einmal wird die Wirtschaft in Griechenland weiter schrumpfen. Im kommenden Jahr, so steht es im gerade beschlossenen Haushaltsplan für das Jahr 2013, wird die Leistung der griechischen Wirtschaft noch einmal um viereinhalb Prozent zurückgehen. Erst für 2014 rechnet die Regierung in Athen wieder mit einem leichten Wachstum.
Vielleicht aber muss die griechische Regierung auch diese Planungen nach unten korrigieren, wie schon so oft in den vergangenen Jahren. Denn schon mehrfach hatten Regierungschefs in Athen verkündet: Die Talsohle sei erreicht, nun werde der Aufschwung kommen; und dann ging es doch weiter bergab mit der Wirtschaft in Griechenland.
All das sind keine guten Rahmenbedingungen für Investoren. Um überhaupt Investoren anzulocken, muss Griechenland sein Tafelsilber zu Schleuderpreisen anbieten. Viel Geld wird der griechische Staat mit seinen Privatisierungen nicht verdienen können:
Wenn der Staat sich entschließt zu privatisieren, dann ist der Markt nicht bereit, hohe Preise zu zahlen, sagt Yannis Monogios vom unabhängigen Forschungsinstitut KEPE in Athen. Staatsbetriebe zu privatisieren, so meint er, ist grundsätzlich eine gute Idee, aber jetzt, mitten in der Krise?
"Da gibt es ein großes Potenzial von Interessenten. Die Frage ist nur, zu welchem Preis würden die kaufen. Die Preise fallen immer tiefer. Wenn der Staat viel privatisieren will, zahlt der Staat keine hohen Preise."
In der Tat: Bislang sind die Erträge äußerst mager: 95 Millionen Euro flossen durch den Verkauf einer Bank in die Staatskasse; für vier ausgemusterte Airbus-Flugzeuge der früheren Staatsfluglinie Olympic Airways kassierte der Finanzminister 32 Millionen Euro von einem Investor und ein paar Immobilien fanden Käufer.
Ansonsten ist die Liste der zum Verkauf stehenden Firmen und Grundstücke bei TAIPED nach wie vor sehr lang. TAIPED - das entspricht so in etwa der deutschen Treuhand, die nach dem Zusammenbruch der DDR die damaligen volkseigenen Betriebe an Investoren verkaufen wollte.
TAIPED, diese Abkürzung heißt wörtlich übersetzt: "Kasse für die Verwertung privaten Vermögens des Staates". Spätestens im Frühjahr soll in diese Kasse ordentlich Geld fließen, denn bis zum Frühjahr will die TAIPED die staatliche Lotteriegesellschaft Griechenlands verkauft haben. Man verhandele mit acht verschiedenen Interessenten, gab der Finanzminister bekannt.
Eine Bank, ein paar alte Flugzeuge, die Lottogesellschaft. Yannis Monogios schüttelt den Kopf in seinem Büro im dritten Stock des Forschungsinstituts. Bei Privatisierungen wäre viel mehr möglich, sagt er:
"Im Bereich Transport und Infrastruktur, also: Autobahnen und Eisenbahnlinien. Das würde dann auch dem Handel dienen, und zwar sowohl im Balkan als auch in der Eurozone. Auch Häfen sind interessant. Sie sehen: Wir haben Ideen, Konzepte. Die Frage ist nur: Wie machen wir diese Konzepte für die Investoren attraktiv; wie machen wir verlässliche Angebote? Glauben Sie mir: Das ist nicht einfach, das ist überhaupt nicht einfach."
Bestes Beispiel dafür, wie schwer sich Griechenland mit Privatisierungen tut, ist Hellinikon. Ein junger Mann lässt seinen Modellbau-Hubschrauber über einen riesigen, völlig leeren Parkplatz fliegen. Dieser Parkplatz ist Teil einer der wertvollsten Brachflächen Europas: Hellinikon, das Gelände des früheren Flughafens Athen.
Seit elf Jahren liegt das Gelände brach. Eine Fläche so groß wie 500 Fußballfelder; ein dreieinhalb Kilometer langer Streifen in bester Lage: auf der einen Seite die Küste mit Sandstränden und Yachthäfen; auf der anderen Seite die besseren Wohnviertel Athens - und das alles nur sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
Seit Jahren streiten griechische Behörden und Interessengruppen, wie das Hellinikon-Gelände genutzt werden soll: Für ein Luftfahrtmuseum? Für einen großen Stadtpark? Für eine Art Disney-Land mit Luxus-Hotels, um reiche arabische Touristen anzulocken? Ideen gibt es viele, aber kein Konzept. Dabei würde es sich lohnen!
"Dieses Projekt allein könnte sechs Milliarden Euro einbringen, wenn nicht noch mehr. Die Zahl ist nicht unrealistisch."
Gänzlich unrealistisch aber waren die Vorstellungen, die vor gut eineinhalb Jahren die damalige Regierung Papandreou hatte: Sie hoffte, durch die Privatisierungen bis zum Jahr 2015 insgesamt 50 Milliarden Euro einzunehmen – damit hätte Griechenland ein Sechstel seiner Staatsschulden tilgen können.
Die nachfolgende Regierung von Lukas Papadimos korrigierte die Erwartungen deutlich nach unten - von 50 auf 19 Milliarden. Aber auch das war zu optimistisch. Die jetzige Regierung von Antonis Samaras rechnet nur noch mit gut 11 Milliarden Euro, die Griechenland durch Privatisierungen erzielen kann. Bislang sind durch all die Verkäufe etwa 1,5 Milliarden Euro in die Staatskasse geflossen, aber Ministerpräsident Samaras will das Programm jetzt beschleunigen:
"Wir legen Schwerpunkt auf Privatisierungen."
Samaras will in den nächsten Monaten zu Werbe-Touren nach Katar und in die USA aufbrechen, um Käufer zu finden für all die griechischen Häfen, Wasserwerke und Klein-Inseln.
Aber selbst wenn er Interessenten finden sollte - sie könnten abgeschreckt werden vom lauten Protest der Opposition:
"Privatisierungen werden unsere Wirtschaft nicht retten, sondern sie ausplündern."
warnt Oppositionschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken und kündigt heftigen Widerstand an.
Seine Partei werde bald an die Macht kommen, so Tsipras. Wer sich jetzt für billiges Geld Staatseigentum wegschnappe, könne bald all sein Geld verlieren und strafrechtlich belangt werden, droht der Oppositionschef und ruft auf zum Kampf gegen den drohenden Ausverkauf Griechenlands.
Tsipras sieht die Unabhängigkeit Griechenlands und sogar die Würde aller Griechen in Gefahr. Hinter dem Privatisierungsprogramm steckt aus seiner Sicht die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Die habe der griechischen Regierung das Spar- und Privatisierungsprogramm aufgezwungen - als Gegenleistung für die Hilfskredite.
Tsipras nimmt vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Visier, wenn er in seinen Parlamentsreden gegen das Spar- und Privatisierungsprogramm wettert. Jeder in Europa habe mittlerweile verstanden, dass dieses Programm Griechenland schade ...
"... bis auf Frau Merkel, die ihren eigenen Plan hat für ein deutsches Europa mit Griechenland als einer Schulden-Kolonie. Sie will aus Südeuropa eine Sonderwirtschaftszone mit billigen Arbeitskräften machen. Seltsam ist nur: Diejenigen, die so tun, als würden sie das auch nicht verstehen, sind die Mitglieder unserer Regierung."
Opposition und Gewerkschaften führen als abschreckendes Beispiel gern die chinesische Firma Cosco an, die schon vor vier Jahren einen Teil des größten griechischen Hafens Piräus übernommen hatte. Für die Regierung ist Cosco ein Erfolgsmodell, weil dort ein ausländischer Investor den Hafen zu einem Umschlagplatz für chinesische Produkte in ganz Südosteuropa ausbaut und so neue Arbeitsplätze schafft. Die Gewerkschafter im Hafen aber klagen: Schaut Euch diese Arbeitsplätze mal genauer an!
"Die Arbeitsbedingungen sind schlimmer als im Mittelalter. Viele sind Leiharbeiter und verdienen viel weniger als diejenigen, die direkt bei Cosco angestellt sind. Und sie erfahren oft erst zwei Stunden vor Arbeitsbeginn ihre Arbeitszeiten. Das weiß jeder."
Aber selbst wenn ein Investor die kampfeslustigen griechischen Gewerkschaften und die Opposition nicht scheut, stößt er auf viel Widerstand. Deutsche Unternehmer, die in Griechenland Fotovoltaik-Anlagen aufbauen wollten, um mit Sonnenenergie Geld zu verdienen und Arbeitsplätze zu schaffen, scheiterten an den Hürden der griechischen Bürokratie, die immer mehr Bescheinigungen verlangte und unerfüllbare Bedingungen stellte.
Und noch etwas hemmt Investitionen in Griechenland, sagt Martin Knapp, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen:
"Da spielt natürlich auch eine Rolle, dass international immer noch wieder spekuliert wird über ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, und da investiert natürlich niemand, solange die Möglichkeit besteht, dass er seine Euros investiert und dann irgendwann eine abgewertete Neu-Drachme zurückerhält. Deshalb haben eigentlich alle Unternehmen eine abwartende Stellung eingenommen, und das gilt für griechische Unternehmen genauso wie für deutsche und andere. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Die Kriterien für Investoren sind weltweit die gleichen."
Wie ein Damoklesschwert hängt der drohende Euro-Austritt über der griechischen Wirtschaft. Yannis Monogios kennt die gut gemeinten Ratschläge, Griechenland solle die Drachme wieder einführen, dann wäre das Land endlich konkurrenzfähig und könnte wieder eine eigene Industrie aufbauen. Yiannis Monogios schüttelt den Kopf:
"Meine ganz persönlich, bescheidene Meinung ist, dass das eine Katastrophe wäre. Es wäre die Wiederkehr, oder wenn Sie so wollen, die moderne Version von Dantes Inferno."
Dantes Inferno. Die Hölle auf Erden. Yannis Monogios hat durchgerechnet, dass eine neue Drachme gegenüber dem Euro um etwa 40 bis 45 Prozent an Wert verlieren würde. Die Preise im Supermarkt aber würden nicht in gleicher Weise sinken, weil die meisten Waren, die da im Regal stehen, aus dem Ausland importiert werden.
Die würden unerschwinglich werden für die Griechen, viele müssten hungern. Deshalb warnt Yannis Monogios vor dem sogenannten Grexit, dem Austritt Griechenlands aus dem Euro. Vielmehr werde es sich für die Partner im Euroraum rechnen, Griechenland all die Kredite zu geben und in der Eurozone zu halten:
"Die Volkswirtschaften sind miteinander verbunden. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro hätte heftige Auswirkungen. Das wäre der Beginn einer neuen Serie Probleme, selbst gemacht, wegen der Verzahnung der Wirtschaft. Und die Deutschen wissen das sehr gut. Das würde sie 50, 60, 70 Milliarden kosten. Also, die Rechnung für einen Grexit wäre sehr hoch und das wissen sie nur zu gut."
"Grexit" - das wäre der größte Fehler, meint Yannis Monogios. Europa sollte jetzt definitiv sagen: Jawohl, Griechenland bleibt in der Eurozone, und zwar für immer. Das würde endlich Investoren nach Griechenland locken und Privatisierungen lohnenswerter machen:
"Zusammenarbeit ist eine Win-win-Situation. Jeder würde profitieren. Ein Konflikt hier mit einem möglichen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aber wäre eine Loose-loose-Situation, jeder würde verlieren, die Deutschen und alle anderen in der Europäischen Union."
Wer also sollte die griechische Bahn kaufen? Da hat Yannis Monogios keinen heißen Tipp. Aber der gesamte Bereich Transport, Telekommunikation, Energie, Logistik in Griechenland sei vielversprechend. Da könnte er sich viele Investoren vorstellen:
"Das könnte die Deutsche Telekom sein oder die französischen Eisenbahnen – oder andere Handelspartner aus dem Mittelmeer-Raum, die die griechischen Häfen als Umschlagplatz für ihre Waren nutzen wollen. Da gibt es Tausende mögliche Investoren, sogar aus Amerika wurde Interesse bekundet."
Mit der Privatisierung der Bahn wird es allerdings noch eine Weile dauern. Und selbst wenn sich ein Investor finden würde, der tatsächlich die geforderten 200 Millionen Euro für das marode Unternehmen bietet – den Schuldenberg könnte die griechische Regierung damit nicht abtragen, nein: Diese 200 Millionen Euro würde gerade mal reichen, um die Zinsen für all die griechischen Schulden zu bezahlen, die in nur einer einzigen Woche anfallen.
Wenn Ministerpräsident Samaras sein Privatisierungsprogramm voll und ganz umsetzen könnte und tatsächlich bis zum Jahr 2015 insgesamt elf Milliarden Euro einnehmen würde, würden auch das den Schuldenberg nicht verringern. Denn elf Milliarden Euro sind in etwa die Summe, die Griechenland allein in diesem Jahr an Zinsen für seine Schulden zahlen muss.
"Es ist okay so, aber die Bahn sollte öfter fahren. Wir wünschen uns, dass mehr Züge nach Piräus gehen."
Die Regierung möchte die griechische Eisenbahn verkaufen - an einen privaten Investor. So könnten 200 Millionen Euro in die leere Staatskasse fließen, rechnen Optimisten. Die Bahnkunden aber fürchten:
"Vor zwei, drei Jahren sind die Fahrkarten teurer geworden. Wenn's privatisiert wird, werden die wahrscheinlich noch viel teurer."
Aber die Regierung in Athen setzt voll auf Privatisierungen. Nicht nur für die Eisenbahn sucht sie einen Investor, sondern auch für die staatliche Lotteriegesellschaft, für Gaswerke und Elektrizitätswerke, für Autobahnen und Wasserwerke, für die Häfen der Touristen-Inseln wie Mykonos oder Zakynthos - vieles steht zum Verkauf in Griechenland, sogar einige Dutzend kleine, unbewohnte Ägäis-Inseln – dort könnten Investoren Hotels bauen und so gleich neue Arbeitsplätze im Tourismus schaffen.
Nontas Theodoropoulos ist ein stämmiger Mann Mitte 50. Seit dreißig Jahren arbeitet er als Lokführer. Und genau wie seine Passagiere, die Bahnkunden, hält auch Lokführer Theodoropoulos gar nichts von der Idee, die Bahn zu privatisieren. Privatisierung – das ist für ihn nur ein anderes Wort für Massenentlassungen:
"Persönlich würde das für mich bedeuten: Ich weiß nicht, ob ich dann überhaupt noch Arbeit haben werde - und wenn ja, werden sie mir den Lohn noch weiter kürzen. Und überhaupt: Eine Privatisierung der Bahn finde ich geradezu gefährlich. Man weiß doch: Wo private Firmen die Bahn übernehmen, bleibt die Sicherheit auf der Strecke. Da wird dann gespart. Das ist gefährlich für mich und für das Leben der Reisenden."
Thanàssis Levèntis von der Eisenbahner-Gewerkschaft kämpft für Lokführer Nontas Theodoropoulos und seine Kollegen. Die haben doch schon viel zu viel hinnehmen müssen, klagt er:
"Der Kollege verdient etwa 1500 Euro im Monat. Er hat 45 Prozent weniger Lohn als vor der Krise. Es ist ein Märchen, was die immer erzählen: dass niedrige Löhne die Wirtschaft ankurbeln."
Erst eine Sparrunde nach der anderen, nun auch noch die drohende Privatisierung. Jedes Sparpaket, so schimpft Thanàssis Levèntis, stürzte die griechische Wirtschaft tiefer in die Krise, da wäre ein Verkauf der Eisenbahn genau der falsche Weg.
Ein privater Investor würde sofort Nebenstrecken stilllegen, Züge verschrotten und Leute entlassen, fürchtet Levèntis. Denn die griechische Eisenbahn ist wenig konkurrenzfähig im Vergleich zu Buslinien und dem Autoverkehr:
"Unser Grundproblem ist: Wegen der gebirgigen Landschaft wurde die Eisenbahn nie richtig modernisiert. Wir haben sogar zwei verschiedene Spurweiten im Land: Auf der Halbinsel Peloponnes fahren die Züge auf Gleisen, die nur einen Meter breit sind. Im Norden und in der Mitte Griechenlands aber haben wir die normale, europäische Spurweite. Das ist umständlich. Hinzu kommt, dass die meisten Häfen keinen guten Gleisanschluss haben. Das ist schlecht für den Güterverkehr."
Die Eisenbahner-Gewerkschaft fordert seit Langem: Der Staat muss investieren und das Bahnnetz auf Vordermann bringen. Wenn der Staat aber die Bahn privatisiert, würde er die Kontrolle über das griechische Schienennetz aufgeben, und die griechische Bahn würde gänzlich aufs Abstellgleis rollen, befürchten die Gewerkschafter.
Ministerpräsident Antonis Samaras lässt ein solches Negativ-Szenario nicht gelten. Nein, als Chef der konservativen Nea Demokratia glaubt er an die Privatwirtschaft. Er glaubt daran, dass ein privater Investor die Bahn übernehmen und zu einem modernen Verkehrsunternehmen ausbauen wird. Der Staat habe angesichts der horrenden Schulden eh keinen Spielraum für Investitionen.
Samaras will für sein Privatisierungsprogramm Investoren aus aller Welt nach Griechenland locken. Nach der gewonnenen Parlamentswahl im Juni kündigte Samaras an:
"Wir legen einen Schwerpunkt auf Privatisierungen. Und wenn dafür neue Gesetze nötig sind, werden wir die beschließen. Wir müssen Privatisierungen beschleunigen, denn die bringen Investitionen, mit anderen Worten: Arbeitsplätze und Wachstum."
Allerdings weiß auch Antonis Samaras: Der Weg zu neuen Arbeitsplätzen und Wachstum ist noch weit. Zunächst einmal wird die Wirtschaft in Griechenland weiter schrumpfen. Im kommenden Jahr, so steht es im gerade beschlossenen Haushaltsplan für das Jahr 2013, wird die Leistung der griechischen Wirtschaft noch einmal um viereinhalb Prozent zurückgehen. Erst für 2014 rechnet die Regierung in Athen wieder mit einem leichten Wachstum.
Vielleicht aber muss die griechische Regierung auch diese Planungen nach unten korrigieren, wie schon so oft in den vergangenen Jahren. Denn schon mehrfach hatten Regierungschefs in Athen verkündet: Die Talsohle sei erreicht, nun werde der Aufschwung kommen; und dann ging es doch weiter bergab mit der Wirtschaft in Griechenland.
All das sind keine guten Rahmenbedingungen für Investoren. Um überhaupt Investoren anzulocken, muss Griechenland sein Tafelsilber zu Schleuderpreisen anbieten. Viel Geld wird der griechische Staat mit seinen Privatisierungen nicht verdienen können:
Wenn der Staat sich entschließt zu privatisieren, dann ist der Markt nicht bereit, hohe Preise zu zahlen, sagt Yannis Monogios vom unabhängigen Forschungsinstitut KEPE in Athen. Staatsbetriebe zu privatisieren, so meint er, ist grundsätzlich eine gute Idee, aber jetzt, mitten in der Krise?
"Da gibt es ein großes Potenzial von Interessenten. Die Frage ist nur, zu welchem Preis würden die kaufen. Die Preise fallen immer tiefer. Wenn der Staat viel privatisieren will, zahlt der Staat keine hohen Preise."
In der Tat: Bislang sind die Erträge äußerst mager: 95 Millionen Euro flossen durch den Verkauf einer Bank in die Staatskasse; für vier ausgemusterte Airbus-Flugzeuge der früheren Staatsfluglinie Olympic Airways kassierte der Finanzminister 32 Millionen Euro von einem Investor und ein paar Immobilien fanden Käufer.
Ansonsten ist die Liste der zum Verkauf stehenden Firmen und Grundstücke bei TAIPED nach wie vor sehr lang. TAIPED - das entspricht so in etwa der deutschen Treuhand, die nach dem Zusammenbruch der DDR die damaligen volkseigenen Betriebe an Investoren verkaufen wollte.
TAIPED, diese Abkürzung heißt wörtlich übersetzt: "Kasse für die Verwertung privaten Vermögens des Staates". Spätestens im Frühjahr soll in diese Kasse ordentlich Geld fließen, denn bis zum Frühjahr will die TAIPED die staatliche Lotteriegesellschaft Griechenlands verkauft haben. Man verhandele mit acht verschiedenen Interessenten, gab der Finanzminister bekannt.
Eine Bank, ein paar alte Flugzeuge, die Lottogesellschaft. Yannis Monogios schüttelt den Kopf in seinem Büro im dritten Stock des Forschungsinstituts. Bei Privatisierungen wäre viel mehr möglich, sagt er:
"Im Bereich Transport und Infrastruktur, also: Autobahnen und Eisenbahnlinien. Das würde dann auch dem Handel dienen, und zwar sowohl im Balkan als auch in der Eurozone. Auch Häfen sind interessant. Sie sehen: Wir haben Ideen, Konzepte. Die Frage ist nur: Wie machen wir diese Konzepte für die Investoren attraktiv; wie machen wir verlässliche Angebote? Glauben Sie mir: Das ist nicht einfach, das ist überhaupt nicht einfach."
Bestes Beispiel dafür, wie schwer sich Griechenland mit Privatisierungen tut, ist Hellinikon. Ein junger Mann lässt seinen Modellbau-Hubschrauber über einen riesigen, völlig leeren Parkplatz fliegen. Dieser Parkplatz ist Teil einer der wertvollsten Brachflächen Europas: Hellinikon, das Gelände des früheren Flughafens Athen.
Seit elf Jahren liegt das Gelände brach. Eine Fläche so groß wie 500 Fußballfelder; ein dreieinhalb Kilometer langer Streifen in bester Lage: auf der einen Seite die Küste mit Sandstränden und Yachthäfen; auf der anderen Seite die besseren Wohnviertel Athens - und das alles nur sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
Seit Jahren streiten griechische Behörden und Interessengruppen, wie das Hellinikon-Gelände genutzt werden soll: Für ein Luftfahrtmuseum? Für einen großen Stadtpark? Für eine Art Disney-Land mit Luxus-Hotels, um reiche arabische Touristen anzulocken? Ideen gibt es viele, aber kein Konzept. Dabei würde es sich lohnen!
"Dieses Projekt allein könnte sechs Milliarden Euro einbringen, wenn nicht noch mehr. Die Zahl ist nicht unrealistisch."
Gänzlich unrealistisch aber waren die Vorstellungen, die vor gut eineinhalb Jahren die damalige Regierung Papandreou hatte: Sie hoffte, durch die Privatisierungen bis zum Jahr 2015 insgesamt 50 Milliarden Euro einzunehmen – damit hätte Griechenland ein Sechstel seiner Staatsschulden tilgen können.
Die nachfolgende Regierung von Lukas Papadimos korrigierte die Erwartungen deutlich nach unten - von 50 auf 19 Milliarden. Aber auch das war zu optimistisch. Die jetzige Regierung von Antonis Samaras rechnet nur noch mit gut 11 Milliarden Euro, die Griechenland durch Privatisierungen erzielen kann. Bislang sind durch all die Verkäufe etwa 1,5 Milliarden Euro in die Staatskasse geflossen, aber Ministerpräsident Samaras will das Programm jetzt beschleunigen:
"Wir legen Schwerpunkt auf Privatisierungen."
Samaras will in den nächsten Monaten zu Werbe-Touren nach Katar und in die USA aufbrechen, um Käufer zu finden für all die griechischen Häfen, Wasserwerke und Klein-Inseln.
Aber selbst wenn er Interessenten finden sollte - sie könnten abgeschreckt werden vom lauten Protest der Opposition:
"Privatisierungen werden unsere Wirtschaft nicht retten, sondern sie ausplündern."
warnt Oppositionschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken und kündigt heftigen Widerstand an.
Seine Partei werde bald an die Macht kommen, so Tsipras. Wer sich jetzt für billiges Geld Staatseigentum wegschnappe, könne bald all sein Geld verlieren und strafrechtlich belangt werden, droht der Oppositionschef und ruft auf zum Kampf gegen den drohenden Ausverkauf Griechenlands.
Tsipras sieht die Unabhängigkeit Griechenlands und sogar die Würde aller Griechen in Gefahr. Hinter dem Privatisierungsprogramm steckt aus seiner Sicht die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Die habe der griechischen Regierung das Spar- und Privatisierungsprogramm aufgezwungen - als Gegenleistung für die Hilfskredite.
Tsipras nimmt vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Visier, wenn er in seinen Parlamentsreden gegen das Spar- und Privatisierungsprogramm wettert. Jeder in Europa habe mittlerweile verstanden, dass dieses Programm Griechenland schade ...
"... bis auf Frau Merkel, die ihren eigenen Plan hat für ein deutsches Europa mit Griechenland als einer Schulden-Kolonie. Sie will aus Südeuropa eine Sonderwirtschaftszone mit billigen Arbeitskräften machen. Seltsam ist nur: Diejenigen, die so tun, als würden sie das auch nicht verstehen, sind die Mitglieder unserer Regierung."
Opposition und Gewerkschaften führen als abschreckendes Beispiel gern die chinesische Firma Cosco an, die schon vor vier Jahren einen Teil des größten griechischen Hafens Piräus übernommen hatte. Für die Regierung ist Cosco ein Erfolgsmodell, weil dort ein ausländischer Investor den Hafen zu einem Umschlagplatz für chinesische Produkte in ganz Südosteuropa ausbaut und so neue Arbeitsplätze schafft. Die Gewerkschafter im Hafen aber klagen: Schaut Euch diese Arbeitsplätze mal genauer an!
"Die Arbeitsbedingungen sind schlimmer als im Mittelalter. Viele sind Leiharbeiter und verdienen viel weniger als diejenigen, die direkt bei Cosco angestellt sind. Und sie erfahren oft erst zwei Stunden vor Arbeitsbeginn ihre Arbeitszeiten. Das weiß jeder."
Aber selbst wenn ein Investor die kampfeslustigen griechischen Gewerkschaften und die Opposition nicht scheut, stößt er auf viel Widerstand. Deutsche Unternehmer, die in Griechenland Fotovoltaik-Anlagen aufbauen wollten, um mit Sonnenenergie Geld zu verdienen und Arbeitsplätze zu schaffen, scheiterten an den Hürden der griechischen Bürokratie, die immer mehr Bescheinigungen verlangte und unerfüllbare Bedingungen stellte.
Und noch etwas hemmt Investitionen in Griechenland, sagt Martin Knapp, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen:
"Da spielt natürlich auch eine Rolle, dass international immer noch wieder spekuliert wird über ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, und da investiert natürlich niemand, solange die Möglichkeit besteht, dass er seine Euros investiert und dann irgendwann eine abgewertete Neu-Drachme zurückerhält. Deshalb haben eigentlich alle Unternehmen eine abwartende Stellung eingenommen, und das gilt für griechische Unternehmen genauso wie für deutsche und andere. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Die Kriterien für Investoren sind weltweit die gleichen."
Wie ein Damoklesschwert hängt der drohende Euro-Austritt über der griechischen Wirtschaft. Yannis Monogios kennt die gut gemeinten Ratschläge, Griechenland solle die Drachme wieder einführen, dann wäre das Land endlich konkurrenzfähig und könnte wieder eine eigene Industrie aufbauen. Yiannis Monogios schüttelt den Kopf:
"Meine ganz persönlich, bescheidene Meinung ist, dass das eine Katastrophe wäre. Es wäre die Wiederkehr, oder wenn Sie so wollen, die moderne Version von Dantes Inferno."
Dantes Inferno. Die Hölle auf Erden. Yannis Monogios hat durchgerechnet, dass eine neue Drachme gegenüber dem Euro um etwa 40 bis 45 Prozent an Wert verlieren würde. Die Preise im Supermarkt aber würden nicht in gleicher Weise sinken, weil die meisten Waren, die da im Regal stehen, aus dem Ausland importiert werden.
Die würden unerschwinglich werden für die Griechen, viele müssten hungern. Deshalb warnt Yannis Monogios vor dem sogenannten Grexit, dem Austritt Griechenlands aus dem Euro. Vielmehr werde es sich für die Partner im Euroraum rechnen, Griechenland all die Kredite zu geben und in der Eurozone zu halten:
"Die Volkswirtschaften sind miteinander verbunden. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro hätte heftige Auswirkungen. Das wäre der Beginn einer neuen Serie Probleme, selbst gemacht, wegen der Verzahnung der Wirtschaft. Und die Deutschen wissen das sehr gut. Das würde sie 50, 60, 70 Milliarden kosten. Also, die Rechnung für einen Grexit wäre sehr hoch und das wissen sie nur zu gut."
"Grexit" - das wäre der größte Fehler, meint Yannis Monogios. Europa sollte jetzt definitiv sagen: Jawohl, Griechenland bleibt in der Eurozone, und zwar für immer. Das würde endlich Investoren nach Griechenland locken und Privatisierungen lohnenswerter machen:
"Zusammenarbeit ist eine Win-win-Situation. Jeder würde profitieren. Ein Konflikt hier mit einem möglichen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aber wäre eine Loose-loose-Situation, jeder würde verlieren, die Deutschen und alle anderen in der Europäischen Union."
Wer also sollte die griechische Bahn kaufen? Da hat Yannis Monogios keinen heißen Tipp. Aber der gesamte Bereich Transport, Telekommunikation, Energie, Logistik in Griechenland sei vielversprechend. Da könnte er sich viele Investoren vorstellen:
"Das könnte die Deutsche Telekom sein oder die französischen Eisenbahnen – oder andere Handelspartner aus dem Mittelmeer-Raum, die die griechischen Häfen als Umschlagplatz für ihre Waren nutzen wollen. Da gibt es Tausende mögliche Investoren, sogar aus Amerika wurde Interesse bekundet."
Mit der Privatisierung der Bahn wird es allerdings noch eine Weile dauern. Und selbst wenn sich ein Investor finden würde, der tatsächlich die geforderten 200 Millionen Euro für das marode Unternehmen bietet – den Schuldenberg könnte die griechische Regierung damit nicht abtragen, nein: Diese 200 Millionen Euro würde gerade mal reichen, um die Zinsen für all die griechischen Schulden zu bezahlen, die in nur einer einzigen Woche anfallen.
Wenn Ministerpräsident Samaras sein Privatisierungsprogramm voll und ganz umsetzen könnte und tatsächlich bis zum Jahr 2015 insgesamt elf Milliarden Euro einnehmen würde, würden auch das den Schuldenberg nicht verringern. Denn elf Milliarden Euro sind in etwa die Summe, die Griechenland allein in diesem Jahr an Zinsen für seine Schulden zahlen muss.