Tag 8
Schönheit und Verfall

War er das? Der Gewinner der Goldenen Palme 2015? Paulo Sorrentinos "Youth"? Gut möglich. Jedenfalls würde ich ihm neben Yorgos Lanthimos' bizarre Partnersuch-Satire "The Lobster" und Joachim Triers ungewöhnlich erzähltem Familiendrama "Louder than Bombs" die Auszeichnung für den besten Wettbewerbsbeitrag zutrauen.

Von Christoph Schmitz |
    Photocall für Paolo Sorrentinos Film "Youth" beim 68. Filmfest von Cannes mit Jane Fonda, Harvey Keitel, Michael Caine, Rachel Weisz, Madalina Ghenea und Paolo Sorrentino.
    Photocall für Paolo Sorrentinos Film "Youth" beim 68. Filmfest von Cannes. (imago/Independent Photo Agency)
    Wie Sorrentinos Filmtitel es schon sagt - es geht um Jugend. Aber auch ums Alter, ums Altern und den Blick vom Alter auf die Jugend, die vom Altern und Sterben nichts weiß und nichts wissen will. Der 44jährige Regisseur aus Neapel hat seit je einen genauen Blick für Schönheit und Vergänglichkeit. Vor zwei Jahren noch feierte er ein barockes Rom-Spektakel über Glanz und Elend einer Partygesellschaft in "La Grande Bellezza", ein Film, der auch hier in Cannes seinen Auftritt auf dem Markt der Eitelkeiten samt rotem Teppich hatte.
    Die große Fete ist in "Youth" aber längst vorbei. Zwei alte Freunde - sie gehen beide auf die 80 zu - verbringen eine Zeit in einem ebenso idyllischen wie luxuriösen Wellness-Hotel in den Schweizer Bergen: der erschöpft wirkende Komponist und Dirigent Fred Ballinger, der sich von beiden Tätigkeiten längst verabschiedet hat, mit trauriger Altersweisheit gespielt von Micheal Caine und der immer noch aktive und sich mit seiner Kreativität als Drehbuchautor spreizende Mick Boyle, mit Witz und Eitelkeit versehen von Harvey Keitel. Die beiden alten Jungs beobachten und kommentieren das Treiben der Hotelgäste auf höchst komische Weise, schließen Wetten darüber ab, wie sich die alten Paare und jungen Singles in den nächsten Sekunden verhalten werden und schieben sich sogleich den jeweiligen Wetteinsatz in Banknotenform zu. Sorrentino beobachtet die Erholung, Genesung und Verjüngung Suchenden, wie sie sich in den Pools und Bädern aalen, wie jugendliche Hände die faltigen Häute massieren und ein extrem übergewichtiger Diego Maradona seinen gigantischen Leib durchs Wasser wühlt und auf Hände gestützt und mit Sauerstoffmaske versorgt zur nächsten Liege geschleppt wird, um später einem Tennisball leichtfüßig das Tanzen zu lehren. Gleichzeitig ereignet sich ein Beziehungs- und Trennungsdrama. Die Tochter des Dirigenten, der übrigens von der Königin von England permanent bedrängt wird, doch noch mal ein Konzert für sie zu dirigieren - die Tochter (geheimnisvolle schön Rachel Weisz) wird von ihrem Freund verlassen und rechnet verbal nicht nur mit ihm, sondern auch mit ihrem Vater ab, der sich sein Leben lang nur für die Musik und seine Karriere interessiert habe. Aber das Leben der beiden Alten neigt sich dem Ende zu. Und in diese Endzeit tritt noch einmal das Wunder der Schönheit, die überraschenderweise sogar sehr klug ist: Miss World persönlich tritt auf, nackt, wie Helena im Bade. Die Zeit steht still und die Münder der betagten Knaben offen. Bis Jane Fonda auftaucht als ehemalige Hollywood-Diva Brenda Morel und mit faltiger Bitterkeit dem Regisseur die Leviten liest, der sich daraufhin in den Tod stürzt.
    Und weiter könnte man erzählen und hunderte Details über die fabelhafte Fotografie und Sorrentinos Sinn für Rhythmus und Musik rühmen - aber das sprengt jede Bloggerei. Denn es gab ja auch noch andere Filme, auf die das Publikum in Cannes sehnsüchtig gewartet hatte, in der Hoffnung, nach Tagen noch mal einen starken Film, einen Cannes-Knaller zu sehen. So was war "Mountains may depart" des Chinesen Jia Zhang-Ke zugetraut worden. Leider konnte sein Film über die gewaltigen Veränderungen in China und der chinesischen Kultur von 1999 bis ins Jahr 2024 die Erwartungen nicht erfüllen. Wie ein Rohschnitt kam mir das über zwei Stunden lange Stück vor. Es dauerte und dauerte. Paulo Sorrentinos "Youth" dagegen ging vorüber wie im Flug. Idealkino.