Vor einhundert Jahren war die Sklaverei ein wichtiger Wirtschaftszweig in Katar. Jeder fünfte Einwohner war damals Sklave. In der Hauptstadt Doha erinnert heute ein Sklaverei-Museum daran. Wieso sich dieses nicht auch der Lebensumstände der vielen hunderttausend Arbeitsmigranten annimmt, die derzeit die Infrastruktur für die Fußball-WM 2022 bauen - das erklärt Ausstellungsleiter Fahad al-Turkey so: "Wir versuchen, nicht mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder eine Geschichte auszugraben, die umstritten ist. Sondern wir wollen ein Bewusstsein für dieses Thema schaffen, das sehr aktuell ist und uns alle angeht."
Wer nach Katar zum Arbeiten kommt, tut dies freiwillig - und wurde nicht dorthin verkauft. Doch das berüchtigte "kefala"-System bindet jeden Expat, jeden ausländischen Arbeitnehmer in dem Golfstaat, an den Arbeitgeber, den sogenannten Sponsor. Der muss zustimmen, wenn der Arbeitnehmer das Land verlassen, ein Bankkonto eröffnen oder einen Führerschein beantragen will. Und auch wer sich von einem schlechten oder gar tyrannischen Boss trennen möchte, braucht dazu dessen Einverständnis.
"Alle, mit denen wir sprachen, waren nicht mehr im Besitz ihrer Pässe"
Audrey Gaughran von Amnesty International hat mit vielen Arbeitsmigranten gesprochen, einfachen Arbeitern. Sie sagt, die Umstände, unter denen diese Menschen in Katar leben, ähnelten häufig Zwangsarbeit: "Wenn sie versuchten, auszureisen, wurden sie entweder von den Arbeitgebern daran gehindert, die ihnen die Pässe weggenommen hatten - und alle, mit denen wir sprachen, waren nicht mehr im Besitz ihrer Pässe. Oder sie trauten sich nicht, nachhause zu fahren, weil dort ein großer Schuldenberg auf sie wartete, den sie nicht abzahlen konnten."
Im Dezember soll ein neues Gesetz in Kraft treten. Mit ihm wird das "kefala"-System reformiert, zugunsten des Arbeitnehmers. Amnesty bescheinigt Katar, auch in anderen Bereichen Fortschritte gemacht zu haben - zum Beispiel bei der Unterbringung oder der Bezahlung. Andere Golfstaaten haben das "kefala"-System ebenfalls, wie die Vereinigten Arabischen Emirate. Doch Nicholas McGeehan von Human Rights Watch sieht auch dort Bewegung: "In den Emiraten hat es eine Reform von 'kefala' gegeben. Es ist jetzt gesetzlich erlaubt, dass Arbeiter unter bestimmten Umständen den Arbeitgeber wechseln. Wenn das umgesetzt wird und die Arbeiter sich dieses Rechts bewusst werden - dann wäre das nicht nur für die Emirate, sondern für die gesamte Region ein großer Schritt nach vorne."
"Kefala" bieten Einheimischen die Chance, die Zügel in der Hand zu behalten
Die Golfstaaten tun sich schwer damit, "kefala" zu reformieren oder gar abzuschaffen. Die Einheimischen sind in diesen Ländern längst Minderheiten - in Katar oder den Emiraten nur noch sehr kleine. Sie sehen "kefala" als die einzige Möglichkeit, die Zügel in der Hand zu behalten - das Sponsorensystem garantiert ihnen das letzte Wort im eigenen Land. Mittlerweile gibt es aber ein Bewusstsein dafür, dass sich etwas ändern muss.
Menschenrechtlern gehen die Fortschritte am Golf nicht schnell genug und nicht weit genug. McGeehan von Human Rights Watch stellt dennoch fest: "In einzelnen, extremen Fällen mag es sowas wie Sklaverei geben. Aber es wäre falsch und übertrieben, zu behaupten, dass alle Arbeitsmigranten in den Emiraten Sklaven sind. Das ist schlicht nicht der Fall."