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Tag der Pressefreiheit 2022
Berichten aus und über Russland

Wie ist in Zeiten des Ukraine-Krieges unabhängige Berichterstattung aus und über Russland möglich? Dlf-Osteuropa-Experte Frederik Rother gibt Antwort.

Frederik Rother im Gespräch mit Elisabeth Dörr und Marion Schwarzkopf |
    Weltkarte der Pressefreiheit 2022
    Weltkarte der Pressefreiheit 2022 (RSF)
    Zum Tag der Pressefreiheit haben wir unsere Kolleg*innen, die über die Ukraine und Russland berichten, gefragt, wie sie ihrer Arbeit in Zeiten des Krieges und neuer Mediengesetze in Moskau nachgehen können.

    Wer gehört zum Russland-Ukraine-Team?

    Frederik Rother: Anlässlich des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben wir die Osteuropaexpertise im Deutschlandradio gebündelt, um aktuell, umfassend und detailliert über die Ereignisse in der Ukraine und Russland berichten zu können. Zum Team gehören die beiden Korrespondenten Florian Kellermann und Peter Sawicki, aber auch Sabine Adler, Gesine Dornblüth, Thielko Grieß und ich.
    Aktuelle und belastbare Informationen aus der Ukraine zu bekommen ist zur Zeit vergleichsweise einfach, es gibt viele unabhängige ukrainischen Medien, viele lokale und internationale Journalisten vor Ort. Belastbare Informationen aus Russland zu bekommen, ist schwieriger.
    Korrespondent Frederik Rother
    Korrespondent Frederik Rother (Deutschlandradio)

    Wie ist die Situation für Journalist*innen vor Ort, insbesondere nach dem verschärften Pressegesetz?

    Rother: Eine kritische und objektive Berichterstattung aus und über Russland war in den letzten Jahren schon schwierig. Unabhängige russische Medien wurden von Behörden und Politik drangsaliert, russische Journalist*innen wurden bedroht, angegriffen oder zu "ausländischen Agenten" erklärt. Im Oktober 2020 beging die unabhängige Journalistin Irina Slawina in Nischni Nowgorod Suizid. Sie zündete sich an – aus Protest gegen staatliche Schikanen.
    Verschärft hat sich die Lage seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Die letzten großen unabhängigen Medien im Land wurden durch Druck zum Einstellen ihres Betriebes genötigt. Das betrifft den Radiosender Echo Moskwy, die Zeitung Nowaja Gazeta oder den Internet TV-Sender Doschd. Die Website des bekannten Online-Nachrichtenportals Meduza - die Redaktion arbeitet wegen des Drucks in Russland schon im lettischen Exil - wurde blockiert.
    Mit diesen Maßnahmen will der Kreml die Meinungs- und Deutungshoheit im Land behalten. Unabhängige Medien, die über die Hintergründe des russischen Angriffs, den Beschuss ziviler Ziele, über eigene Verluste oder die Brutalität des Krieges berichten, und dabei teilweise ein Millionenpublikum erreichen, passen nicht ins Raster.
    Neben inländischen wurde auch ausländischen Journalist*innen die Arbeit mit der Verabschiedung des sogenannten Fake-News-Gesetzes Anfang März 2022 massiv erschwert. Das Gesetz sieht mehrjährige Haftstrafen vor, wenn "Fake News" über die russischen Streitkräfte verbreitet werden - Informationen also, die nicht mit der Sichtweise des Kremls übereinstimmen. Damit ist eine unabhängige Berichterstattung über den Krieg gefährlich und nahezu unmöglich – das gilt für Medienschaffende in Moskau genauso wie für einige mutige Medienschaffende in der Provinz.

    Wie (des)informieren die russischen Medien?

    Rother: In den staatlichen und staatsnahen Medien ist die "militärische Spezialoperation", wie der Krieg in Russland offiziell genannt wird, nach wie vor eines der beherrschenden Themen. Dabei wird einseitig, undifferenziert und oft falsch berichtet.
    In Nachrichtensendungen und Talkshows heißt es dann, dass die ukrainische Armee Zivilisten im großen Stil als menschliche Schutzschilde missbrauche, die Berichte über die Toten von Butscha "Fake News" seien, dass der Westen Kiew ermuntere, mit den gelieferten Waffen Russland anzugreifen. Berichtet wird oft reißerisch und alarmistisch.
    Verbreitetet werden diese Informationen - oder Propaganda, wie viele Experten sagen - über die staatlichen und staatsnahen Fernsehkanäle, die für die meisten Menschen im Land nach wie vor die erste Informationsquelle sind, aber auch über kremltreue Nachrichtenseiten, Zeitungen, über Telegram und soziale Netzwerke.
    Da es kaum noch unabhängige Berichterstattung in Russland gibt und man technische Hürden überwinden muss, wenn man sich unabhängig informieren möchte, ist die offizielle Sichtweise vorherrschend. Über den staatlichen Auslandssender RT und durch kremltreue Influencer werden diese Narrative auch im Ausland verbreitet.  

    Wie gelangt man als Korrespondent*in an verlässliche Informationen?

    Rother: Verlässliche Informationen aus Russland zu bekommen, ist nicht leicht, aber möglich.
    Die ARD, die BBC und andere große Medienhäuser sind mit ihren Korrespondentinnen und Korrespondenten weiter vor Ort. Die können zwar nicht uneingeschränkt über den Krieg berichten, aber viele andere Themen in den Blick nehmen: die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage im Land etwa.
    Unabhängige russische Medien, die im Ausland weiterarbeiten und in Russland bestens vernetzt sind, sind eine gute Informationsquelle, genauso wie international bekannte und renommierte Osteuropa-Journalisten, die zum Beispiel Informationen über ihre Twitter-Kanäle verbreiten. 
    Oft sind es auch die eigenen Kontakte, die jeder aus dem Deutschlandradio-Russland-Team hat, die helfen, die Situation vor Ort zu bewerten.

    Wie geht es mit der Pressefreiheit in Russland weiter?

    Rother: Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen lag Russland 2021 auf Platz 150 von 180. Im neuen Ranking für 2022 ist Russland um fünf Plätze weiter abgerutscht und belegt nun Platz 155.
    Im Moment ist nicht absehbar, dass die Verschärfungen der letzten Zeit zurückgenommen werden. Denn der Krieg geht weiter, die politische Rhetorik aus Moskau ist weiter scharf und unnachgiebig, das bekommen auch die Medienschaffenden vor Ort zu spüren.
    Russland wird noch eine ganze Weile ein Land bleiben, in dem eine unabhängige Berichterstattung sehr schwierig ist.