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Tag des Urheberrechts
Open-Access-Pflicht stößt auf Widerstand

Immer mehr Bundesländer und Hochschulen verlangen von ihren Wissenschaftlern, die Texte in für jedermann zugängliche Datenbanken, sogenannte Open-Access-Plattformen einzustellen. Im neuen baden-württembergischen Hochschulgesetz gibt es dazu sogar eine Verpflichtung. Sie allerdings sorgt für Kritik und Zustimmung gleichermaßen.

Von Thomas Wagner |
    Eine Studentin sucht ein Buch in der Bibliothek ihrer Universität
    Die Pflicht zur freien Veröffentlichung von wissenschaftlichen Arbeiten hat eine Debatte ausgelöst. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Es ist eine Art Zauberwort, das derzeit die Welt der Wissenschaft in Atem hält: Open Access. "Zunächst einmal heißt Open Access einfach: Der Leser zahlt nicht für das Produkt, was er liest", selbst wenn es sich um einen hochwertigen wissenschaftlichen Aufsatz handele, erklärt der Informatiker Professor Marc Scholl von der Universität Konstanz. Aus Sicht eines Autors gibt es allerdings zwei unterschiedliche Formen, eigene Texte als Open Access, also für jedermann frei zugänglich, zu veröffentlichen. Erstens: Der Aufsatz geht sofort Open Access, für jedermann kostenfrei zugänglich, online. Das ist der sogenannte Goldene Weg. Zweitens gibt es den Grünen Weg: Dabei veröffentlichen die Autoren ihre Arbeiten zunächst in kostenpflichtigen und in der Regel teuren Fachzeitschriften. "Dann gibt es nach einer Schweigefrist von einem halben oder einem ganzen Jahr die Möglichkeit, die Texte noch zusätzlich Open Access zu stellen, sodass nach einer gewissen Zeitperiode, Leser auf den Content zugreifen können, ohne dafür bezahlen zu müssen."
    Goldener und Grüner Weg
    Die Erstverwertung in der kostenpflichtigen Fachzeitschrift, die Zweitwertung in der grünen Variante des "Open Access" ein halbes Jahr später kostenfrei: So sieht es das neue baden-württembergische Hochschulgesetz vor, das am 9. April in Kraft getreten ist. Es enthält die Verpflichtung für alle wissenschaftlichen Mitarbeiter an öffentlichen Hochschulen , den zweiten Grünen Weg zu gehen und ihre Texte ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift kostenfrei auf Open-Access-Plattformen einzustellen. Professor Mark Scholl von der Universität Konstanz hält dies für gerechtfertigt:
    "Der Forschungsinput wird ja aus öffentlichen Quellen, seien es Landesmittel oder Forschungsinstitutionen, also ohnehin mit öffentlichen Mitteln finanziert. Die Autoren werden bezahlt mit ihren Gehältern. Und die Arbeitszeit, die hineinfließt, das Erstellen der Publikation und die vorangegangene Forschung sowieso. Der Output wird auch mit öffentlichen Mitteln finanziert."
    Urheberrecht gegen Open Access
    Doch was auf den ersten Blick gerechtfertigt scheint, ist nicht unumstritten: Professoren aus dem ganzen Land meldeten in einem Brief an das baden-württembergische Wissenschaftsministerium Bedenken an. Das Land beschneide sie in ihrem Urheberrecht. Und: Weil ihr wissenschaftliches Ansehen immer noch von der Zahl der Aufsätze abhänge, die sie in Fachzeitschriften veröffentlichen, wollen sie es sich mit den Wissenschaftsverlagen nicht allzu sehr verderben. Professor Dirk Leuffen, Politikwissenschaftler an der Universität Konstanz:
    "Das Problem sehe ich weniger in meinem eigenen Urheberrecht, sondern bei den Rechten, die ich übertrage auf die Zeitschriften, in denen ich publizieren will und die dann nur ein begrenztes Interesse haben, dass meine Publikationen online zur Verfügung stehen, weil sie das an Bibliotheken verkaufen wollen. Ich hingegen habe ein Interesse in guten Zeitschriften zu publizieren, um meinen Marktwert zu steigern. Und das ist ein gewisser Konflikt, der in der Natur der Dinge liegt."
    Müssen die Wissenschaftler als Zweitverwertung ihre Beiträge auf Open-Access-Plattformen einstellen, könnten die Verlage von vornherein die Veröffentlichung ablehnen, so die Befürchtung. Andersherum wird ein Schuh daraus, argumentiert dagegen Petra Hätscher, Leiterin der Unibibliothek Konstanz. Sie ist im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Wissenschaftler zur Open-Access-Zweitverwertung überzeugt davon, "dass die Autorenrechte gestärkt werden sollen, indem sie praktisch das Recht bekommen, auch über andere Kanäle zu publizieren als ausschließlich über den Verlag, den sie ursprünglich einmal gewählt haben."
    Akzeptanz schaffen per Gesetz
    Gäbe es eine ganz allgemeine gesetzliche Verpflichtung zur Open-Access-Zweitverwertung, dann könnten die großen Wissenschaftsverlage gar nicht anders, als diese kostenfreie Zweitverwertung zu tolerieren und ihren Widerstand aufzugeben. Und immerhin: Nach ersten Erfahrungen akzeptieren dies große Wissenschaftsverlage wie "Elsevier" bereits. Informatiker Marc Scholl:
    "Die haben auf ihrer Seite eine Liste von Ländern und Institutionen, in denen sie Zweitpublikationen akzeptieren. Das steht zum Beispiel die NIG, die National Institute of Health in den USA drauf, die unheimlich viel Informatikforschung fördern. Und wenn von dieser Institution geförderte Forschungsarbeiten entstehen, dann akzeptiert Elsevier, dass diese Arbeiten in Open Access publiziert werden, weil NIG das fordert."
    Einen ähnlichen Effekt erhoffen sich nun auch Hochschulen und Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg. Dann stünden die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die an den Unis im Land gewonnen werden, jedermann offen - und die Wissenschaftler brauchten trotzdem nicht um ihr Ansehen fürchten. Ob die Rechnung aufgeht, wird die nahe Zukunft zeigen.