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Tag gegen den Lärm
"In einer guten akustischen Umgebung kann man sich viel besser konzentrieren"

Am Internationalen Tag gegen den Lärm beschäftigt sich die Deutsche Gesellschaft für Akustik besonders mit dem Lärm in Klassenzimmern. In den meisten Schulen hätten die Räume "eine sehr miserable Akustik", sagte Brigitte Schulte-Fortkamp, Akustikprofessorin und Leiterin des Aktionstags in Deutschland. Die Akustik könne technisch viel bieten, doch das koste auch was.

Brigitte Schulte-Fortkamp im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Schüler lernen in einem Klassenzimmer an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
    Durch glatte Wände und Fußböden hätte der Schall wunderbar die Möglichkeit, große Konzerte zu veranstalten, so Akustikerin Schulte-Fortkamp. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Jörg Biesler: Heute ist der Internationale Tag gegen den Lärm und da beschäftigt sich die Deutsche Gesellschaft für Akustik besonders mit dem Lärm in den Klassenzimmern. Denn der ist ein Problem. Das sagen nicht die Lehrer, sondern Brigitte Schulte-Fortkamp, Akustikprofessorin in Berlin und Leiterin des Aktionstags in Deutschland. Guten Tag, Frau Schulte-Fortkamp!
    Brigitte Schulte-Fortkamp: Guten Tag!
    Biesler: Früher hätte es das nicht gegeben, oder? Da war es in den Klassen leiser!
    Schulte-Fortkamp: Es war bestimmt genauso laut, nur hat sich da niemand drum gekümmert. Und es ist ja nun dadurch, dass der Noise Awareness Day, also der internationale Tag gegen den Lärm da ist, wird ja auch verschiedenen akustischen Situationen besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht.
    Biesler: Jetzt weiß ja jeder, der Ohren hat, dass zu viel Schall nicht in jeder Situation ganz schön ist. Aber wo liegt denn das Problem jetzt ganz konkret in den Schulen? Warum ist es da so laut und warum ist das ein Problem?
    Schulte-Fortkamp: Also, die meisten Schulen sind wirklich baulich sehr schlecht. Die Räume haben eine sehr miserable Akustik, dass man zum Beispiel die Stimme des Lehrers, wenn er vorne steht, hinten nicht mehr versteht, oder dass, wenn also in Gruppen gearbeitet wird, ein enormes akustisches Chaos entsteht. Das hängt einfach mit den Raumkonstellationen zusammen. In der Regel sind es glatte Wände, glatte Fußböden, es gibt natürlich aus Sicherheitsgründen keine Gardienen, dann sind es große Fenster, das heißt, der Schall hat wunderbar die Möglichkeit, große Konzerte zu veranstalten.
    Biesler: Also, wenn Sie als Akustikerin in so einen Klassenraum kommen, dann schlagen Sie die Hände über dem Kopf zusammen und sagen, das ist doch alles falsch?
    Schulte-Fortkamp: Ich weiß nicht, ob alles falsch ist. Zunächst sind wir mal sehr erstaunt, dass man unter solchen Bedingungen arbeiten muss. Denn eigentlich soll eine Lernsituation eigentlich auch schön sein, auch für beide. Und es ist ja auch bekannt, dass, sagen wir mal, viele in der Schule es zu laut finden, die Lehrerinnen und Lehrer ganz besonders, aber auch Schülerinnen und Schüler. Gerade in bestimmten Situationen, wenn gemeinsam kommuniziert werden soll.
    "Gute akustisch relevante Materialien" müssten eingesetzt werden
    Biesler: Klingt aber jetzt so, als ob das gar nicht jetzt unbedingt ein Luxusproblem sei. Weshalb hat denn da bislang niemand Aktivitäten entwickelt?
    Schulte-Fortkamp: Ich finde das ganz toll, dass Sie das sagen, weil die Aktivitäten sind natürlich ... Die kann man im Kopf haben, aber wenn die Finanzen nicht bereitgestellt werden, ist es natürlich schwierig. Es gibt sicher schon Versuche auch ein einigen Bereichen, das vielleicht über Elterninitiativen oder anders zu gestalten, aber das kann ja nicht die Lösung sein. Die Lösung für ein gutes Klassenzimmer muss eigentlich sein, dass gute akustische Berechnungen gemacht werden können und dass eben auch gute akustisch relevante Materialien eingesetzt werden können. Und das ist nicht kostenfrei.
    Biesler: Ja, aber so was kann man ja standardisieren. Die Klassenzimmer sind ja alle ungefähr gleich groß. Also, es gibt Probleme, die es überall gibt, kann man da nicht standardisiert eine Lösung anbieten?
    Schulte-Fortkamp: Das könnte man natürlich machen, man muss sich dann nur darauf einigen, dass man dafür Mittel investieren muss. Und ich sage mal, es kommt darauf an, ist eine Schule ein Neubau oder ist es ein älterer Bau? Also, wenn ich daran denke, welche Schulen ich zum Beispiel unterschiedlichster Art hier in Berlin gesehen habe, so sind die Schulen nicht alle gleich. Es gibt Schulen mit ganz hohen Räumen, es gibt Schulen mit normal hohen Räumen, also, oder auch mehr Fenster, weniger Fenster. Das heißt aber natürlich, das Prozedere, wie man vorgeht, um einen Klassenraum gut zu gestalten, das kann man natürlich sofort übernehmen.
    "Die Akustik kann von der technischen Seite her viel bieten"
    Biesler: Jetzt mal abgesehen davon, dass das vielleicht für Schüler und Lehrer schöner ist, wenn es nicht ganz so laut ist: Es gibt auch ganz handfeste Faktenvorteile sozusagen!
    Schulte-Fortkamp: Ja, es gibt den Vorteil, dass man natürlich in einer guten akustischen Umgebung viel besser sich konzentrieren kann. Das heißt, man kann das Leistungspotenzial erhöhen und man kann auch länger aushalten in solchen akustischen Situationen. Ich glaube, das ist ganz relevant, das darf man nicht unterschätzen. Und im Grunde gilt das ja nicht nur für Schulen. Es gibt ja auch zum Beispiel Kindergärten, Kitas, die auch schlimme akustische Strukturen haben. Sodass Kinder dann, wenn sie sich entfalten wollen, sozusagen dann hört es sich immer gleich an wie Lärm oder ist Lärm. Das heißt, es kommt nichts gutes Akustisches zustande. Und das ist das Problem. Und die Akustik kann von der technischen Seite her viel bieten. Von der anderen Seite könnte man natürlich auch sagen, na ja, vielleicht könnte man sich auch Unterrichtsformen überlegen oder Verhaltensweisen, die dazu auch ein bisschen beitragen, dass es vielleicht etwas weniger laut und unerträglich ist.
    Biesler: Das wird wahrscheinlich, je jünger die Schüler sind, umso schwieriger werden!
    Schulte-Fortkamp: Ja, glaube ich schon! Aber ich meine, die haben ja nun auch Temperament und das ... Ich denke mal, wir haben ja gestern einen Workshop dazu gemacht hier in Berlin, zur Klassenraumakustik, und wir haben dann auch gelernt, dass natürlich die Kinder sich das eben eigentlich auch selber wünschen. Das ist so eine Komponente, die ich für ganz wichtig halte, Lehrerinnen und Lehrer natürlich auch und deren Wünsche, aber dass man eben nur dadurch eben auch, durch dieses Wohlgefühl, natürlich eben auch entsprechende Leistungssteigerung erwirken.
    Lärmkoffer und Schalldruck
    Biesler: Ja, ganz praktisch haben Sie einen Lärmkoffer, den man sich bei Ihnen leihen kann, und damit kann man dann objektiv messen, wie schlimm das ist. Das heißt, es gibt nicht nur subjektive Faktoren?
    Schulte-Fortkamp: Ja, ist richtig. Es gibt die subjektiven Faktoren, die eigentlich aber ganz wichtig sind. Denn aus der subjektiven Beschreibung einer akustischen Situation kann man viele Hinweise gewinnen, was denn stört. Das kann man dann technisch noch mal nachmessen. Dieser Lärmkoffer ist eigentlich dazu gedacht, den Schülerinnen und Schülern nahezubringen, a) wie man technisch den Schalldruck erfassen kann, das ist das eine. Das Zweite ist, sozusagen mit diesen Schallmessungen eventuell am eigenen MP3-Player und so weiter auch mal nachzuvollziehen, was sich eigentlich beim Hören abspielt und wie eigentlich auch Hörschäden zustande kommen können, wie man das verhindern kann, wie man sozusagen diesen großartigen Aufbau des Ohres, sagen wir mal, richtig nutzen kann et cetera. Das ist die Intention mit diesen Lärmkoffern. Also, technisch an die akustische Situation heranzukommen, aber eben auch über die Wahrnehmung.
    Biesler: Und dann braucht es nur noch Geld.
    Schulte-Fortkamp: Ja, Geld braucht man, ja, genau, es ist leider so! Oder eigentlich ist es ja immer so, ist ja nichts Besonderes!
    Biesler: Brigitte Schulte-Fortkamp, Akustikerin in Berlin und Leiterin des Aktionstages gegen den Lärm in Deutschland. Danke schön!
    Schulte-Fortkamp: Bitte schön!
    Biesler: Wir sind jetzt still!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.