"Ich glaube zunächst mal, dass Digitalisierung, Vernetzung, die Verfügbarkeit von vielen Informationen große Chancen bringt an Wissenszuwachs, an Bildungsreichtum, an Kommunikation."
Professorin Christiane Woopen, Medizinethikerin an der Uni Köln und Veranstalterin der Tagung:
"Die Herausforderungen sehe ich darin, die Selbstbestimmung des Einzelnen zu bewahren, ihn nicht durch Serviceangebote, durch eine konformitätsgesteuerte Lenkung durch den Warenmarkt in seinen ganzen Entfaltungsmöglichkeiten einzuengen."
Seit etwa zwei Jahrzehnten gewinnen digitale Technologien immer mehr Einfluss auf zentrale Gesellschaftsbereiche. Chancen und Risiken dieser digitalen Revolution zu beleuchten, war Thema der Kölner Tagung am vergangenen Freitag.
"Neue Technologien, die das Leben der Menschen vereinfachen, weil sie neue Teilhabe versprechen; damit wird neuer Wohlstand geschaffen. Und es ist mir wichtig, dass wir die Digitalisierung positiv sehen und nicht als Bedrohung definieren."
In seinem Eröffnungsvortrag ließ Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, keinen Zweifel daran, dass er die Digitalisierung als "großes Geschenk" betrachtet. Immer, wenn der Mensch an physische Grenzen geraten sei, habe er das überforderte Körperteil durch Technik ersetzt: Die Beine wurden um das Rad erweitert, der Buchdruck ersetzte das Schreiben mit der Hand. Und Computer und Internet stellten eine Erweiterung des zentralen Nervensystems dar. Gleichwohl müsse man der digitalen Transformation Regeln geben, um sie zu bewältigen. Durch verbesserten Datenschutz, digitale Teilhabe für alle und die Vermittlung digitaler Kompetenzen bereits in der Schule.
"Technik ist ambivalent und der Mensch ist anpassungsfähig. Und jedes Mal ist es auch gelungen, Regeln zu finden und Technologien einzuhegen."
Als Chance beschrieb die Sozialpsychologin Nicole Krämer auch die Kommunikationsmöglichkeiten, die durch die sozialen Netzwerke entstanden sind. Gegen alle Warnungen vor der Verflachung der Kommunikation durch Facebook, Twitter oder WhatsApp beharrte die Professorin von der Uni Duisburg-Essen darauf, dass solche Dienste einem Grundbedürfnis des Menschen nachkommen:
"Es gibt empirische Belege dafür, dass eine wichtige Ursache für die Nutzung sozialer Netzwerke die sogenannte need to belong ist, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu anderen Personen, das Bedürfnis, mit anderen Personen Beziehungen zu gestalten und aufrecht zu erhalten."
Online-Kommunikation ähnelt der im realen Leben
Niemals vorher hätten die Menschen ihr Bedürfnis nach sozialem Kapital so einfach erfüllen können wie heute. Früher habe man die sympathische Urlaubsbekanntschaft dann doch aus den Augen verloren, während es mittlerweile möglich sei, den Kontakt auch zu flüchtigen Bekannten aufrecht zu erhalten.
"Das wird heute in Studien gezeigt, dass man auf die nicht verzichten möchte. Es ist ein gutes Gefühl, mit nur einem Klick könnte ich die alte Grundschulfreundin, mit der ich damals eine schöne Zeit hatte, wieder erreichen."
Zwar habe durch das Internet die Zahl der flüchtigen Kontakte zugenommen. Aber trotzdem ähnele die Kommunikation in den sozialen Netzwerken jener, die auch im realen Leben geführt werde.
"Die Mechanismen, die wir kennen aus der Sozialpsychologie zum Beziehungsaufbau, die funktionieren genauso. Also, wenn ich jemandem zu früh zu viele intime Informationen mitteile, online, als Statusupdate auf meiner Facebook-Seite, dann führt das nicht zu positiven Effekten für den Beziehungsaufbau. Wenn ich aber meine private Message schreibe, wo ich intime Dinge preisgebe, dann hat das einen durchaus positiven Effekt für den Beziehungsaufbau."
Nachhaltige Veränderungen, so Managementberater Karl Heinz Land, werde die Digitalisierung in der Arbeitswelt verursachen. Dort komme es, so der selbst ernannte digitale Darwinist und Evangelist, zu einer zunehmenden Dematerialisierung von Alltagsdingen. Kreditkarten, Autoschlüssel, Flugtickets, Münzgeld würden zunehmend zur Software – das Auto etwa wird mit einer App geöffnet und das Flugticket erscheint auf dem Handy.
"Das heißt in der Endkonsequenz, wenn ich ein Flugticket nicht mehr drucke, dann brauche ich nicht mehr das Papier herzustellen, dann brauche ich den Drucker nicht herstellen oder den Toner. Und der Drucker besteht ja aus 400 Teilen. Dann brauch ich auch die Maschinen, auf denen diese Druckerteile hergestellt werden, nicht mehr produzieren."
Mit der fatalen Konsequenz, so Karl Heinz Land:
"Jetzt werden irgendwann in 15 bis 20 Jahren die Hälfte der Menschen arbeitsfrei sein."
Die Politik müsse sich also Gedanken darüber machen:
"Wie wird das Einkommen und die verbleibende Arbeit so gerecht verteilt, dass es nicht zu einem großen Gefälle kommt? Bedingungsloses Grundeinkommen, ich halte das für einen wichtigen Schritt."
Dagegen konterte der Soziologe Prof. Stefan Selke von der Hochschule Furtwangen: Nicht Dematerialisierung sei die Konsequenz der Digitalisierung, sondern Dehumanisierung.
"Der viel eingreifendere Prozess wird ein sozialer sein. Nämlich Entmenschlichung: die komplette Veränderung der Taxonomie des Sozialen, wie unser Zusammenleben, unser Soziales funktioniert, wie sich Gesellschaft sozial reproduziert."
Negative Utopie einer Dehumanisierung durch Digitalisierung
Stefan Selke setzt seine Kritik an dem derzeit wachsenden Trend zur Selbstvermessung an. Zunehmend mehr Menschen zählen – mittels digitaler Technologie - ihre Schritte, messen ihren Schlafrhythmus oder ihre Herzfrequenz und versuchen damit, ihre eigene Leistungsfähigkeit zu verbessern. Für Selke ist der Trend zur Selbstverbesserung durch Selbstvermessung eine neue Windung des neoliberalen Bestrebens, die Gesellschaft durch die Gesetze des Marktes zu regulieren. Menschen sollen nun nicht nur im Beruf, sondern auch in ihrer Freizeit immer besser funktionieren. Und da mittels der digitalen Vernetzung Körperdaten auch getauscht werden können, führe das zu einer neuen Art der Überwachung. Krankenkassen und Versicherungen können so gesundes Verhalten belohnen und jene, die nicht an ihrer Fitness arbeiten, durch höhere Tarife bestrafen.
"Konkret: Menschen die in bestimmten Lebensbereichen - Bildung, Gesundheit, Arbeit, Freizeit oder Kultur - bestimmte Datenperformances oder Profile nicht leisten können, müssen mit Nachteilen, mit einem strukturellen Ausschluss rechnen."
Mit seiner negativen Utopie einer Dehumanisierung durch Digitalisierung gehört Stefan Selke wohl zu den Vertretern jenes kulturellen Fundamentalpessimismus, den Timotheus Höttges in seinem Eröffnungsvortrag als Markenzeichen eines Teils der deutschen Bildungselite beschrieb. Natürlich ist es richtig, so auch Christiane Woopen, dass die Vorteile der digitalen Vernetzung in der Währung unserer Daten gezahlt werden. Und diese werden von mächtigen Konzernen gesammelt, ausgewertet und genutzt. Aber man könne solchen Herausforderungen begegnen. Indem man zum Beispiel die digitale Kompetenz fördere - am besten von Kindheit an.
"Ich würde kurz darunter die Fähigkeit und Motivation verstehen, den Zugang zu digitalen Möglichkeiten zu haben, zu verstehen, wie man damit umgeht, bewerten zu können, was das für mich bedeutet oder für eine Organisation und es dann werteorientiert umsetzen zu können."