Über einhundert Frauen aus aller Welt haben sich in einer kleinen Villa der Freien Universität versammelt, um über ein Thema zu diskutieren, das sie alle umtreibt. Sie kommen aus China, Korea, Südamerika und Mexiko, hauptsächlich von Partneruniversitäten der FU. Ihr Ziel: Erfahrungen austauschen, Motive und Strukturen ausleuchten, die sexuelle Übergriffe möglich machen, gelungene Gegenmaßnahmen entwickeln. Welche Dimension das Problem haben kann, macht gleich die Argentinierin Rita Laura Segato in ihrem Eröffnungsvortrag klar.
"Letztes Jahr gab es diesen Fall an meiner Universität: Da hatte ein Jura-Professor, also einer, der die Gesetze kennt, eine Studentin während ihres gesamten Studiums sexuell belästigt. Als sie fertig war und eine Stelle als Rechtsanwältin suchte, stellte sie fest, dass er ihr überall die Türen verschloss. Sie hat ihre Geschichte in einem Brief aufgeschrieben. Dann beging sie Selbstmord."
Ganz andere Aspekte steuert die Südkoreanerin Yun-Young Choi auf der Konferenz bei. Die Germanistik-Professorin von der Nationalen Universität in Seoul berichtet, dass in ihrer Heimat sexuelle Übergriffe öffentlich auf selbstgemachten Plakaten an den Universitätswänden angeprangert werden. Manche Täter entschuldigten sich daraufhin sogar.
Hierarchien ermöglichen Machtmissbrauch
Die me-too-Debatte habe in ihrem Land eine große Wirkung gehabt, bis hin zu einem Manifest gegen Gewalt an Hochschulen. Die Opfer sexueller Belästigung seien vor allem Studentinnen, die Täter hauptsächlich Professoren und ältere Studenten, sagt Choi.
"Es geht hier um das Machtverhältnis an der Uni. Weil bei uns ist es immer noch diese konfuzianistisch geprägte Gesellschaft und auch das Alter ganz wichtig in dieser Macht-Hierarchie."
Choi nimmt schon länger am internationalen Austausch über sexuelle Belästigung teil und hat in Deutschland schon etwas gefunden, was sie in ihrer Heimat gerne etablieren würde: Frauenbeauftragte an den Hochschulen.
Auch Parthasaraty erhofft sich von der Konferenz neue Ideen. Der Professor von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät des 'Indian Institute of Technology' ist einer der ganz wenigen Männer auf der Konferenz.
"Derzeit haben wir ein Komitee für interne Beschwerden. Doch die werden bloß nach erfolgter Beschwerde tätig. Wir müssen aber proaktiv werden und Taten durch Kampagnen und Sensibilisierung vorbeugen."
Es gebe zwar auch eine einschlägige Gesetzgebung in Indien betont er, doch die reiche eben nicht. Zumal mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden müsse.
"Nur wenige Frauen ringen sich zu einer Beschwerde durch. Es gibt viele Fälle von sexueller Belästigung, physische Gewalt kommt eher selten vor. Aber es gibt jede Menge Sexismus im Alltag: frauenverachtende Bemerkungen, obszöne Witze über Frauen, sowas passiert dauernd."
Probleme auch in Deutschland
Nina Lawrenz – Geschlechterforscherin und Frauenbeauftragte an der Freien Universität Berlin - hat die Konferenz mitorganisiert. Der Impuls dafür sei von Aktivistinnen aus Costa Rica gekommen. Die seien aktiver als wir in Deutschland.
Tatsächlich hat sich auch Lawrenz von den Costa Ricanerinnen inspirieren lassen, die regelmäßig an ihren Hochschulen Umfragen zum Thema durchführen. An der FU haben nun erstmals rund 1.100 Studentinnen und Studenten derlei Fragen beantwortet. Sie bestätigen eindeutig: Es gibt an der FU sexualisierte Diskriminierung und Gewalt. Verbale Belästigungen kommen am häufigsten vor. Allerdings zeigten einige Bewertungen der Vorkommnisse auch, wieviel da noch zu tun bleibt:
"Zum Beispiel 'Das ist in der männlichen Natur', eine andere Antwort: 'Das ist normal.' Eben auch eine klare Antwort für die Hypothese, die wir haben: Es gibt eine Normalisierung und Naturalisierung von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt in der Gesellschaft - und eben auch in der Hochschule."
Schon nach dem ersten Konferenztag ist klar: Sexualisierte Gewalt – auch – an Hochschulen ist ein globales Phänomen. Völlig unabhängig von kulturellen oder religiösen Faktoren.