Musik: Hindemith, aus Sonate für Viola und Klavier, Opus 11
"Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!", schrieb Walter Gropius 1919 im Gründungsmanifest des Bauhauses in Weimar. Den Bau zu schmücken sei "die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste". Gropius‘ Gesamtkunstwerk sollte sich im Bau manifestieren – anders als Richard Wagners, der das Endziel aller Künste in der Oper verwirklicht sah. Und so fehlt dem Bauhaus gerade das, was bei Wagner im Mittelpunkt steht: die Musik. Dennoch gab es Musik im Bauhaus, wie hier von Paul Hindemith, es gab sogar das Ballett Oskar Schlemmers, aber es gab keine genuine Bauhaus-Musik. Eine Linie zu ziehen vom Bauhaus und dessen modernem Gehalt bis nach Israel, wie es die Weimarer Tagung versuchte, kann deshalb als durchaus kühn angesehen werden. Christoph Stölzl, der Präsident der Weimarer Musikhochschule, eröffnete ebenso optimistisch wie gespannt.
"Weimar geht ja weiter, also das Netzwerk, die Osmose, das Myzel der gemeinsamen 20er-Jahre- und Jahrhundertwende-Erfahrungen, Träume, Utopien sind im jungen Zionismus und seiner Kultur natürlich ungeheuer aufgeblüht, also die Verbindung der Moderne nach Israel. Und wie daraus etwas ganz Besonderes wurde, musikalisch – nicht einfach die Fortschreibung von Schönberg und den europäischen Dingen und dem Seriellen, sondern etwas mit der ungeheuren emotionalen Wucht des Zionismus und den brennenden Herzen, die ja mit dieser Staatsgründung, dieser Gemeinschaftsgründung zusammenhängen, wie daraus was anderes wurde: Es hängt mit Weimar zusammen natürlich; aber es ist etwas ganz anderes geworden."
Kunstverständnis des frühen 20. Jahrhunderts
Der Organisator der Tagung war Jascha Nemtsov, Professor für die Geschichte der jüdischen Musik in Weimar. Er sieht die Quelle des Interesses aber nicht eng in der Architektur, sondern weit in einem totalitären Kunstverständnis des frühen 20. Jahrhunderts.
"Dass die Kunst nicht mehr für sich selbst stehen, also keine autonome Kunst mehr sein dürfe, sondern bestimmte soziale Aufgaben übernehmen solle. Eigentlich eine Art Größenwahnsinn, dass man sich vorstellt, dass die Kunst den Menschen verändert, die Gesellschaft verändert, die Welt verändert. Und so etwas sehen wir auch hier im Bauhaus, solche Bestrebungen. Man entwickelt etwas Neues, man entwickelt einen neuen Menschen und eine neue Gesellschaft mit den Mitteln der Kunst."
Der Weimarer Musikwissenschaftler Albrecht von Massow sprach wenig über Musik, mehr über kulturpolitische Kontroversen der 20er-Jahre, störte aber beispielreich und überzeugend den in Weimar gern gespielten Dreiklang von Bauhaus, Moderne und Demokratie.
"Dieser Dreiklang war in Wahrheit eine hochkomplexe Dissonanz, was allerdings bei Freunden Neuer Musik das Interesse durchaus eher erhöht. Diese Dissonanz ist allerdings für eines völlig ungeeignet: nämlich als Gegenstand für eine selbstgerechte Bekundung aufrechter Gesinnung aus heutiger Perspektive."
Muster der Bauhaus-Architektur in der israelischen Neuen Musik
Die Spezialistin für israelische Musik Ronit Seter erkennt durchaus Muster der Bauhaus-Architektur in der israelischen Neuen Musik, wie klare Linien, die Abwesenheit von Ornamenten, die Regelhaftigkeit ohne Symmetrie. Wichtiger aber noch erscheint ihr das Konzept der "Gebrauchsmusik", das sie bei vielen aus Europa eingewanderten Komponisten in Israel erkennt, für den Einfluss der europäischen Moderne auf die frühe israelische Musik.
"Für die jüdischen Komponisten in den späten 30er- und frühen 40er-Jahren bekam der Begriff "Gebrauchsmusik" seine jüdische Variante. Sie bedeutete die soziale Verantwortung der Komponisten für die entstehende hebräische Kultur. Die Übersetzung biblischer Texte in modernes Hebräisch, die Komposition populäre Lieder durch den Gebrauch traditioneller lokaler oder jüdischer Melodien, vor allem die der orientalischen Juden."
Auch Jascha Nemtsov erkennt Durchwirkungen europäischer Einflüsse:
"Und zwar dieses sogenannte Baukastenprinzip. Also, die Bildung der Form aus kleinen, schon vorgefertigten Elementen. So ein bisschen so nach dem Beispiel des funktionalen Bauens. In der jüdischen Musik waren diese vorgefertigten Elemente die Motive der biblischen Kantillationen, die ja uralt sind und mit denen in der Synagoge die Texte aus der Torah vorgetragen werden. Und diese Motive wurden von jüdischen Komponisten damals völlig losgelöst von ihrem liturgischen Kontext wie so ein rohes Baumaterial benutzt."
Vielfältiges Scheitern der europäischen Moderne in Israel
Sowohl Ronit Seter und noch viel mehr Yuval Shaked von der Universität Haifa berichteten jedoch auch vom vielfältigen Scheitern der europäischen Moderne in Israel. Shaked sprach gar von einer "Geschichte der Möglichkeiten", die durch den Weggang des Komponisten Stefan Wolpe und dessen Schülern nicht geschrieben wurde. Wolpe und einige andere Komponisten, denen Nähe zum Bauhaus nachgesagt werden kann, fanden sich am Ende doch eher am Black Mountain College in den USA wieder als in Israel.
"Also, wenn Wolpe in Israel geblieben wäre und Peter Jona Korn, dann hätten wir eine ganz andere Geschichte schreiben sollen. Da wäre uns allen das Buch 'Die klangliche Umweltverschmutzung' erspart geblieben, diese Verleumdungsschrift gegen die Moderne. Wie hätten die israelischen Musikakademien aussehen können, wenn diese Leute dageblieben wären? Also, wenn es eine Chance gegeben hätte, in Israel die Moderne wirklich Fuß fassen zu lassen: Das war die Chance! Vertane Chance!"