"Jetzt ist der Augenblick gekommen, um den neuen Staat zu gründen. Erhebt eure Herzen. Wir erwarten die Souveräne."
Am 16. September 2012 wurde auf einem alten Krankenhausgelände in Wittenberg in Sachsen-Anhalt ein neuer Staat gegründet. Das "Königreich Deutschland". König ist der 1965 in Halle geborene Peter Fitzek. Er erkennt die Bundesrepublik nicht an und geht davon aus, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 noch existiert. Peter Fitzek ist das, was man einen "Reichsbürger" nennt. Die Grundidee:
"Die ganze demokratische Ordnung, der ganze Staat, es ist alles gelogen, es existiert nicht", erläutert Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Düsseldorf.
"Hinter dieser falschen Ordnung ist die richtige Ordnung, das Reich, in welcher Form auch immer."
Grenzen von 1871 oder 1937
Lange betrachtete man sie nur als Spinner und Querulanten, jene Bürger, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Sie berufen sich darauf, dass das Deutsche Reich weiter bestehe, wahlweise in den Grenzen des deutschen Kaiserreichs von 1871 oder in denen von 1937. Nachdem aber im Oktober 2016 ein solcher Reichsbürger auf Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos geschossen hatte und dabei einen Polizisten tötete und zwei weitere verletzte, änderte sich der Blick auf die Szene. Was, wenn solche Fantasten meinen, ihr "Staatsgebiet" mit Waffengewalt verteidigen zu müssen?
"Dann gehen Sie, gehen Sie von meinem Staatsterritorium ganz schnell."
Aus dem You-Tube-Video eines solchen Reichsbürgers: "Ihr lächerlichen Polizisten mit der Wortmarke Polizei, ihr macht mir gar keine Angst, ok?"
In Düsseldorf beschäftigte sich vergangene Woche eine interdisziplinäre Tagung mit dieser, so wörtlich "verfassungsfeindlichen Bewegung zwischen Staatsverweigerung und Rechtspersiflage". Einen genauen Einblick in die Szene präsentierte Lars Legath vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. 18.400 Personen zählen die Reichsbürger und die ihnen verwandte Gruppe der sogenannten "Selbstverwalter" zurzeit. 900 davon gelten als rechtsextremistisch. 920 haben eine Waffenerlaubnis, 73,5 Prozent der Menschen sind Männer und das Durchschnittsalter beträgt 55 Jahre. Aber wie kommen diese Reichsbürger eigentlich zu ihrer Behauptung, dass das Deutsche Reich weiter existiere?
"Wir hatten in der alten BRD eine verbreitete juristische Auffassung, das Deutsche Reich besteht weiter", erläutert Christoph Schönberger, Professor für öffentliches Recht an der Uni Konstanz, der gemeinsam mit seiner Frau Sophie Schönberger Veranstalter der Tagung war.
Ein unterschlagener Zusatz
"Die alte BRD hatte das Problem, dass sie versucht hat die Deutsche Teilung rechtlich ein Stück zu ignorieren und dadurch hat sie immer die Geschichte erzählt, dass sie das Deutsche Reich fortsetzt und dass zu diesem Reich auch Teile Deutschlands gehören, die nicht die enge westdeutsche BRD waren. Das Bundesverfassungsgericht hat das 1973 selbst noch einmal gesagt und auf diese alte Erzählung aus der alten geteilten BRD, auf die beziehen sich die Reichbürger."
Allerdings wird in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das übrigens damals durchaus auf Befremden stieß, hervorgehoben, dass die Bundesrepublik mit diesem Reich identisch sei. Ein Zusatz, der von den Reichsbürgern unterschlagen wird. Und deshalb erkennen sie die Gesetze und Behörden der - in ihren Worten - "BRD-GmbH" oder "BRD-AG" nicht an. Als bloße Gesinnung ist das kein Straftatbestand. Aber:
"Also wenn ich sage, darf ich solchen Personen waffenrechtliche Erlaubnisse entziehen und sagen, ihr dürft keine Waffen mehr haben. Behörden versuchen, den Leuten die Waffen wegzunehmen, dann wird die Frage Reichsbürgergesinnung rechtlich plötzlich relevant."
"Es gibt immer wieder auch Fälle, wo Beamte, Lehrer, Polizisten diese Reichsbürgerpositionen beziehen. Und dann ist die Frage, wie geht der Staat damit um, wenn es sich um jemanden handelt, der sagt, er erkennt die BRD nicht an? Dann wird er vom Dienst suspendiert und im Zweifelsfalle aus dem Dienst entfernt."
Eine heterogene Szene
Was aber treibt Menschen zu solch letztlich skurrilen Aktionen wie neuen Reichsgründungen? Post nicht an Institutionen der Bundesrepublik, sondern an die Nachkriegs-Besatzungsmächte zu verschicken? Oder mit einem Fantasie-"Pass des Deutschen Reiches" auf Reisen zu gehen – und an der Grenze damit zu scheitern? Es gibt keine eindeutige Antwort, weiß Jasmin Siri, Soziologin an der Uni München:
"Wenn wir von den Reichsbürgern sprechen, sprechen wir über eine ganz heterogene Szene. Beispielsweise kann es einen biografischen Anreiz geben, zum Beispiel ein Außenminister zu werden. Man kann in diesen fantastischen Regimen was anderes erreichen, was man früher nicht erreicht hat. Es gibt ökonomische Anreizstrukturen, Menschen, die verkaufen diese Uniformen, diese Ausweispapiere."
Manche witterten auch schlicht die Chance, keine Steuern und Gebühren zahlen zu müssen, weil sie die Institutionen der Bundesrepublik nicht anerkennen. Manche seien einfach querulatorisch. Und manche seien in eine Art "symbolische Emigration" gegangen, so Thomas Schmidt-Lux, Kultursoziologe an der Uni Leipzig, der sich die Szene des sogenannten "Volks-Bundesrathes" angesehen hat.
"Bei den Leuten, die ich interviewt habe, die waren in den 50ern in der DDR geboren, in der DDR hochengagierte Personen, in staatsnahen Bereichen tätig, SED-Mitglieder. Und der starke Bruch ist mit dem Ende der DDR erreicht. Da ist ein deutlicher Bruch erkennbar, der erst wieder mit dem Eintritt in die Reichsbürgerbewegung geheilt wird. Dort finden die Leute wieder einen symbolischen, sozialen Kontext, der ne ganz starke Gewissheit hat. Verfassung von 1871, das ist das, was gilt."
Die Zahl der Reichsbürger scheint zu wachsen, bestätigte Lars Legath vom Verfassungsschutz. Dies könne allerdings auch daran liegen, dass der Verfassungsschutz das Feld zunehmend aufhelle. Auch die in den letzten Jahren gestiegene mediale Aufmerksamkeit verschaffe der Szene möglicherweise neuen Zulauf. Und nicht zuletzt: über soziale Netzwerke verbreiteten sich heute auch abstruse Ideen, die früher den Raum des Privaten selten verlassen haben. Fazit von Joachim Seeger vom Bundesamt für Verfassungsschutz: Man müsse die Reichsbürger zwar beobachten. Doch stellten sie im Vergleich zu Rechtsextremismus und Islamismus keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie dar.