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Tagung zum Kulturgut Computerspiel
"Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen"

Computerspiele sind zum Kulturgut geworden - doch welchen Wert und welche Verantwortung haben sie? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine Fachtagung in Berlin. "Computerspiele haben großes Potenzial, aber es wird zur Zeit nicht eingelöst", sagte Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Wimmer im Dlf.

Jeffrey Wimmer im Corsogespräch mit Thekla Jahn |
    Nach 60 Jahre Spielgeschichte, dokumentiert vom Berliner Computerspielemuseum, scheint das virtuelle Game im Kulturschatz angekommen
    Ausstellungsstücke im Berliner Computerspielemuseum: Nach 60 Jahren Spielgeschichte gelten Games als Teil des kulturellen Guts (imago stock&people)
    Thekla Jahn: Das Computerspielemuseum feiert am 14. September seinen 20. Geburtstag und das mit einer hochkarätig besetzten Fachtagung zum Thema "Kulturgut Computerspiel". Einer derjenigen, die auf dem Podium stehen, ist Jeffrey Wimmer, Kommunikationswissenschaftler mit Schwerpunkt Medienrealität an der Universität Augsburg. Schönen Guten Tag nach Berlin!
    Jeffrey Wimmer: Guten Tag, hallo!
    Jahn: Da werden Sie am ersten Tag der Konferenz sprechen. Kulturgut Computerspiel, das waren lange zwei Begriffe, die nicht zusammen gedacht wurden oder nur als Frage denkbar waren. Mittlerweile scheint zumindest in Fachkreisen klar, Computerspiele sind ein Kulturgut. Erklären Sie auch allen anderen, bitte, die noch ein Fragezeichen dahinter setzen würden, warum.
    Wimmer: Nicht nur ein Fragezeichen, sondern auch ein Ausrufezeichen. Ich glaube, das wird auch ganz gut durch die heutige und morgige Tagung dokumentiert. Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sie sind aus der Sicht der Kommunikationswissenschaft ein Massenmedium geworden, gerade für die jüngeren Generationen. Mittlerweile besitzen sie den gleichen Stellenwert wie etablierte Massenmdien, wie Rundfunk, Fernsehen oder auch das Buch. Sie sozialisieren uns mittlerweile und vermitteln dadurch auch Kultur.
    "Sie sind soziale Spiele"
    Jahn: Kulturgut, da denkt man immer auch an wertvoll. Was ist der Wert von Computerspielen?
    Wimmer: Das ist eine gute Frage und da reichen auch die zwei Tage heute und morgen nicht aus, und wir blicken auch auf zehn Jahre Diskussion in Deutschland zurück, denn damit verbunden ist ja auch eine normative Perspektive. Was ist uns wertvoll, was ist uns wichtig? Und rein empirisch - wir Kommunikationswissenschaftler versuchen uns nicht so sehr, in das Normative hineinzuwagen wie Habermas und andere Kolleginnen und Kollegen - sehen wir, dass es den Leuten sehr viel wert ist. Sie verwenden sehr viel Zeit dafür, nicht umsonst gibt es das Bonmot "Zeitfresser". Sie verwenden inzwischen sehr viel Geld dafür, es ist ein ganz großer wirtschaftlicher, boomender Markt, aber davon unbenommen kommt dann noch das Analytische da hinein, sie sind soziale Spiele. Über diese Onlinespielewelten kommen sehr viele, vor allem junge Menschen, sehr schnell und sehr vertieft in Kontakt zueinander. Und damit erhält man so etwas, was sie vielleicht auch kennen aus der aktuellen Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, so eine Art "Civic" oder "Public Value". Also sie haben auch einen sozialen Wert.
    Wir haben noch länger mit Jeffrey Wimmer gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Jahn: Gucken wir uns die Computerspiele mal genauer an: Es gibt da die Egoshooter-Spiele und andere mit gewalttätigen Inhalt, es gibt eher sinnentleerte Daddelspiele. Würden Sie die auch unter die wertvollen Computerspiele dazurechnen?
    Wimmer: Wenn Sie mich persönlich fragen, habe ich natürlich auch Bauchschmerzen dabei, wenn ich mir solche Spiele... ich nenne jetzt mal Candy Crush, ich möchte keiner Candy-Crush-Spielerin oder Spieler zu Nahe treten, aber damit möchte ich meine Zeit nicht verbringen. Aber schauen wir auf alle anderen Medien, auf alle anderen Massenmedien, auf Radio. Da gibt es auch einen großen Unterschied zwischen Formatradio und öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Schauen wir in das Fernsehen, da gibt es auch ganz große Qualitätsunterschiede. Schauen wir auf Bücher. Das finden wir natürlich auch extrem in Computerspielen, und Computerspiele sind auch Ausdruck der gegenwärtigen Medienkultur und der gegenwärtigen Zeit - und da sind sie auch keine Ausnahme davon. Und sie haben eben Egoshooter genannt, jedes zweite Computerspiel hat gewalthaltige Inhalte, aber das finden wir auch in einem Hollywoodfilm.
    Jahn: Da gibt es aber einen Index, sozusagen, es wird geprüft, ob es jugendgefährdend ist. Gibt es das auch bei Computerspielen, müsste es das geben?
    Wimmer: Da gibt es Bestrebungen - und es gibt da auch in Deutschland, freiwillige Selbstkontrolle, die sich drum kümmert oder es zumindest versucht. Es kommt da bei Computerspielen dazu, dass es sich ja nicht um ein klassisches Kulturgut handelt, in unserem Verständnis des letzten Jahrhunderts oder wie wir noch im letzten Jahrhundert aufgewachsen sind. Das ist ein Vertreter neuer, digitaler Kulturgüter, und wir tun uns auch damit schwer, das einzuordnen und einzuschätzen. Wir müssen da auch erst noch Kriterien entwickeln und die auch ausprobieren. Deshalb ist da auch diese ganze Diskussion so wichtig.
    "Diese öffentliche Diskussion fehlt ganz klar bei Computerspielen"
    Jahn: Wenn man ein für alle Mal geklärt hat oder sagt: Computerspiele sind Kulturgut, Massenmedien. Dann muss man ja auch darüber nachdenken, was das für Konsequenzen hat, ob man zum Beispiel Computerspiele einer Förderung zuführt, so ähnlich wie es eine Filmförderung gibt. Wäre das eine Idee?
    Wimmer: Richtig, das ist ja auch so ein bisschen Inhalt der Tagung heute und morgen. Ich möchte ergänzen: Wir können nicht sagen, ein Medium ist automatisch Kulturgut und dann ist es es und bleibt es auch...
    Jahn: Das heißt, Sie würden immer noch ein Fragezeichen dahinter setzen?
    Wimmer: Richtig. Und das ist ja auch wichtig, dass wir gesellschaftlich diskutieren: Ist das ein Kulturgut? Aber das gilt ja auch für alle anderen Medien, die uns bestimmen und ohne die wir uns im Alltag nicht mehr denken können. Diese Diskussion haben wir jetzt auch gerade mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk, und wir uns immer die Frage stellen müssen, brauchen wir den noch, wie soll er sich verändern? Und diese öffentliche Diskussion fehlt ganz klar bei Computerspielen.
    Da ist auch die Politik auch etwas dahinter, weil sie nun den Stellenwert, den sie in der Gesellschaft haben - Computerspiele - lange Zeit vernachlässigt hat. Jetzt erst, vielleicht auch im Zuge des Wahlkampfs - denken Sie an die Politikerauftritte auf der Gamescom im August - sagen: Es ist ein Wirtschaftsgut. Aber das andere, das Kulturgut, die kulturellen, politischen, die sozialen Kontexte so ein bisschen vernachlässigt hat und das eher auch den Marktkräften überlassen hat. Und ich glaube, da sind wir jetzt erst beim ersten Schritt, da sind andere Länder weiter zu denken, wie wollen wir eigentlich gesellschaftlich unsere Computerspiele gestalten? Und das nicht nur den großen Firmen, den transnationalen Firmen überlassen.
    "Computerspiele haben großes Potenzial"
    Jahn: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Bei Massenmedien muss man natürlich immer über die gesellschaftlichen und ethischen Verantwortlichkeiten sprechen. Welche Verantwortung trägt denn die Computerspiele-Industrie?
    Wimmer: Eine große aus meiner Sicht. Ähnlich wie alle anderen digitalen Medien, Plattformen und Anbieter. Denken Sie an die Diskussion über Facebook und auch Youtube. Man kann sich nicht zurückziehen und sagen: Wir bieten nur die Plattformen, wir sind nur Vermittler oder wir bieten nur die Inhalte. Man hat eine Verantwortung darüber nachzudenken: Wer spielt meine Spiele, kommt er oder kommt sie damit zurecht? Es gibt auch Firmen mittlerweile in Deutschland, die das mitdenken und die dann auch sich sehen und - das ist ein anderes, schönes neudeutsches Wort - ihre Corporate Social Responsibility. Und hier auch Weiterbildungen anbieten und auch so etwas wie die Tagung heute und morgen mitfinanzieren oder mitinitiieren.
    Jahn: Wenn Computerspiele in einer Gesellschaft ein Kulturgut sind, dann sollte in einer Gesellschaft auch gewährleistet sein, dass jeder Zugang zu Computerspielen hat. Wie ist das denkbar: neue Spielhallen braucht das Land?
    Wimmer: Ich bin froh, dass es nicht mehr so ist wie in den 80ern. Wenn ich da zurückdenke an diese Spelunken am Bahnhof... nein, das waren andere Zeiten und das war eine andere Ecke. Aber wenn wir sehen, wie weit Computerspiele mittlerweile verbreitet sind und wenn wir aber auf der anderen Seite sehen, wie teuer, wie kommerziell-ökonomisch verwertbar Computerspiele sind, wie viel man auch zahlen muss, um jetzt eine neue Augmented-Reality-Brille oder VR-Brille zu haben... es ist schon wichtig, zu achten, dass wir hier nicht wieder neue digitale Klüfte aufbauen und sagen: Wer reich ist, der kann sich diese virtuellen Eskapismus-Räume leisten, sondern, das ist ein Zugang für alle, Aber auch: Alle sind eingeladen, Teil zu haben und nicht nur zu konsumieren. Weil, das ist vielleicht auch ein Punkt, der in der Diskussion zu kurz kommt: Computerspiele haben großes Potenzial. Dieses Potenzial wird auch zur Zeit nicht eingelöst.
    Jahn: Aber auch ein großes Suchtpotenzial, das dürfen wir alle nicht vergessen, gerade wenn es um Spielen geht. Das haben wir mit den Spielhallen schon angesprochen, das ist auch ein Thema.
    Wimmer: Richtig. Das ist das, was wir als Sozialwissenschaftler immer sehen und sagen, es gibt keinen reinen Determinismus. Es ist eine Dialektik, auf die schon Autoren in den 70er, 80er Jahren hingewiesen haben. Wo großes Potenzial ist, ist es sowohl negativ als auch positiv.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.