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Tagung zur Rolle von DEFA-Kinderfilmen in der DDR
Filmkunst mit erzieherischem Anspruch

Ob Märchen oder Gegenwartsgeschichten: Die DEFA-Filme sollten die Kinder in der DDR zu sozialistischen Menschen erziehen. Doch war die Propaganda zu stark, dann blieb das Publikum aus, sagte Steffi Ebert, Organisatorin einer Tagung in Halle zur Rolle von Kinderfilmen in der DDR, im Dlf.

Steffi Ebert im Gespräch mit Michael Köhler | 06.02.2019
    Der Prinz (Pavel Travnicek) passt Aschenbrödel (Libuse Safrankova) im Film "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" den verlorenen Schuh an (undatierte Filmszene).
    Ausschnitt aus Václav Vorlíčeks Verfilmumg von "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" von 1973. (WDR/Degeto)
    Michael Köhler: Sie heißen "Spuk unterm Riesenrad", "Kai aus der Kiste" oder nehmen sich Märchen zur Vorlage. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Kinder-Spielfilm-Produktion in der sowjetischen Besatzungszone rasch eine besondere Aufmerksamkeit zu. Die DEFA zeigte zu DDR-Zeiten viele Kinder- und Jugendfilme. Ganz grob könnte man sie vielleicht in zwei Gruppen unterteilen, nämlich den beliebten Märchenfilm, sowie Kinderbuchstoffe und Gegenwartsfilme.
    An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg kommen seit heute WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen für drei Tage zusammen, um sich zu auszutauschen. Kinderfilme der DEFA werden in ihrer Geschichte erforscht und nach ihrer gesellschaftlichen Bedeutung befragt. Wir sprechen jetzt über Piraten und Pioniere.
    Steffi Ebert ist Organisatorin einer Tagung zur kulturellen und politischen Rolle von Kinderfilmen in der DDR. Frau Ebert, spontan fällt mir etwa die Verfilmung des Kunstmärchens "Das kalte Herz" ein von Wilhelm Hauff aus dem Jahr 1950, Steinherz und Geldseele werden getauscht. Also eine Art antikapitalistisches Märchen – mit einem ideologischen Interesse? Kann man so sagen, gibt es das, schon ganz früh?
    Ebert: Das gibt es vor allen Dingen in den 50er-Jahren, also zu Beginn der DEFA-Kinderfilmaktivitäten, bei denen es vor allem ja darum ging, die Kinder im Sinne der sozialistischen Gemeinschaft zu erziehen. Also in den 50er-Jahren haben wir viel Propagandahintergrund. Da gab es dann auch solche Sachen wie "Das tapfere Schneiderlein", das dann, glaube ich, auch abgesetzt worden ist, weil die propagandistische Deutung doch zu krass war.
    Köhler: Das heißt, der Kinderfilm ist von der ersten Minute der DEFA-Produktion an mit einem erzieherischen Interesse verknüpft.
    Ebert: Ja, auf jeden Fall – immer in Abstufungen natürlich, aber der erzieherische Aspekt beim Kinderfilm war von Anfang an da, ja.
    Herausragend erfolgreiche Märchenfilme
    Köhler: Machen Sie es doch mal an ein paar Beispielen … Mich würde einfach interessieren, es gibt ja Serien in den verschiedenen Jahrzehnten. Eine späte Serie ist seit den späten 70er-Jahren "Spuk unterm Riesenrad". Es gibt bestimmt andere. Greifen Sie doch mal zwei, drei heraus, um uns das ein bisschen zu erklären.
    Ebert: Also "Spuk unterm Riesenrad" ist zwar eine DEFA-Produktion, aber ein Auftrag für das Fernsehen. Das ist dann zwar im Kino gelaufen, aber das ist sozusagen nicht so richtig unser Gegenstand. Es geht um den Kinofilm und den DEFA-Kinofilme. In den 50er-Jahren haben wir viele Märchenproduktionen, und die Märchenproduktionen waren auch herausragend erfolgreich. Also zum Beispiel "Der kleine Muck" ist was, was man geradezu mit DDR-Kinderfilmen verbindet. Das ist was, was man im Kopf hat, diese Geschichte von dem kleinen Jungen im Orient.
    Dann, was Sie schon erwähnt haben, "Das kalte Herz", bei dem neben diesen propagandistischen Sachen natürlich auch der Gruseleffekt enorm war für die damalige Zeit. Parallel dazu fängt aber relativ zeitig auch die Auseinandersetzung mit der Gegenwart an: Kinder kommen aus dem Westen in den Osten und müssen da lernen – also wie bei "Sheriff Teddy", heißt der eine Film –, müssen lernen, sich mit den sozialistischen Persönlichkeiten auseinanderzusetzen. Also wie ist man als sozialistische Persönlichkeit, eben nicht eigensinnig und nicht selbstverliebt und darauf aus, Profit zu machen.
    Menschenbild in der DDR hat sich gewandelt
    Köhler: Ja, das ist interessant. Welches Menschenbild oder welches auch Frauenbild verbindet sich damit? Es gibt ja auch, glaube ich, Serien – helfen Sie mir, ich glaube, wie heißt das Mädchen, Störtebecker oder solche Sachen. Welches Menschen- und Persönlichkeitsbild vermittelt sich da?
    Ebert: Das kann man so pauschal nicht sagen. Die DDR hat auch in ihren Menschenbildern und in ihren Kinderbildern wirklich Wandlungen mitgemacht. In den 50er-Jahren haben wir durchaus noch ein Verständnis von Kindern, die mit einer ganz eigenen Kraft gestalten sollen, aber sich, wie jedes Individuum, der Gruppe unterordnen. Dann so gegen Ende der 60er-Jahre ist klar, dass die Kinder auf jeden Fall zum sozialistischen Menschen erzogen werden müssen. Also bis dahin geht so dieser Aushandlungsprozess. Eigentlich wird so in den 70er-Jahren die Autorität, die man Kindern zugesprochen hat, ein Stück weit wieder zurückgenommen, und die müssen alle erzogen werden im Kindergarten, Schule und so weiter.
    Köhler: Wenn man sich das heute anguckt, müssen sich die Filme so etwas wie einen Propagandavorwurf gefallen lassen?
    Ebert: Ich glaube, dass der Propagandavorwurf für die 50er-, 60er-Jahre... Ich weiß nicht, ob man da von Vorwurf wirklich sprechen sollte, weil es ist auch schon so lange her, und einem Medium etwas vorzuwerfen, für das es da war und wo es nie einen Zweifel gegeben hat, dass es das auch tun sollte. Also es ist ja nicht irgendwie gewesen, dass das so ein heimliches Ding war, man hat da Propaganda untergeschoben, sondern es war immer ganz klar, dass Kinderfilme die Kinder im sozialistischen Sinne erziehen sollten.
    Es geht eigentlich darum, um das Wie und wie ist diese Propaganda im Publikum angekommen. Das Publikum hat sehr wohl verstanden, dass es da von irgendwas überzeugt werden sollte, auch Kinder. Das heißt, die Filme sind, wenn sie einen zu großen Propagandaanteil hatten, waren das ja auch hölzerne Figuren und nicht greifbare Geschichten, die nicht glaubwürdig waren, und dann ist das Publikum einfach ausgeblieben.
    Pioniere sollten ein Piratenherz haben
    Köhler: Ich spiele mit einem Titel aus Ihrem Programm, man könnte nicht so ohne Weiteres aus Piraten Pioniere machen.
    Ebert: Ich deute den Titel anders. Also ich würde deuten, dass die Kinder auch von den Filmemachern her, insbesondere in den 70er- und 80er-Jahren zwar Pioniere sein sollten, aber eben immer auch ein Piratenherz hatten. Wir sind anarchisch ein Stück weit, und das ist in den Filmen auch mit drin, und deshalb heißt diese Tagung "Zwischen Pionieren und Piraten".
    Köhler: Welche von denen haben damals Kultcharakter gehabt, und welche haben sie vielleicht heute noch? Woran denken Sie gerne?
    Ebert: Da habe ich eine Zweiteilung im Kopf. Also als Kind war ich Eskapismus-Experte. Ich habe mir Indianerfilme angeguckt. Also für mich waren … Ich komme aus der DDR, und ich habe den Gojko Mitić als den DDR-Pierre Brice sozusagen … solche Filme habe ich mir angeschaut. Ich habe aber natürlich auch Märchenfilme gesehen und habe da Erinnerungen an die 50er-Jahre-Märchenfilme, obwohl ich in den 70ern aufgewachsen bin, weil die einfach immer wieder ventiliert worden sind in Kinovorstellungen, Schulkinovorstellungen und so weiter.
    Wenn ich mir heute die Gegenwartsfilme anschaue wie "Moritz in der Litfaßsäule", dann sind das Filme, die sehr sensibel die Situation von den Kindern darstellen und das auf eine wundervolle Art und Weise auch können. Was aber heute immer noch läuft und was natürlich so ein ganz großes Nostalgieprojekt ist, das sind die "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel".
    Köhler: Wenn ich es richtig weiß, eine DDR-tschechische Koproduktion, richtig?
    Ebert: Genau, DDR-tschechische Koproduktion, genau.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.