Chen Rui-Guang sitzt zusammen mit drei Kommilitonen auf einem Sofa im Flur der Juristischen Fakultät an der Nationalen Taiwan Universität. Als Medienbeauftragter hat er Pressekonferenzen übersetzt, Fragen von ausländischen Journalisten beantwortet.
Vor kurzem hat Chen Rui-Guang zusammen mit den anderen Studenten das Parlament schließlich wieder verlassen. Nicht täglich duschen zu können, sei für ihn wohl am schwierigsten gewesen, erinnert sich der 26-Jährige lächelnd. Inzwischen ist der Universitätsalltag zurückgekehrt, Chen kann jetzt auch wieder mehr als zwei Stunden pro Nacht schlafen.
"Ich fühle mich wie ein Soldat, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist, und der sich noch nicht an den Alltag gewöhnt hat. Es fühlt sich irgendwie nicht ganz echt an."
Dass sie eines Tages das Parlament besetzen würden, hätten sie vorher nie geahnt, sagen Chen und seine Kommilitonen. Mitte März stürmen mehrere hundert taiwanische Studenten die Volksvertretung der Insel, verbarrikadieren sich während über drei Wochen im Plenarsaal. Zuvor hatte ein Abgeordneter der Regierungspartei erklärt, ein umstrittenes Dienstleistungsabkommen mit China werde nicht weiter in einem Ausschuss beraten; stattdessen könne es direkt ans Parlament übergeben werden.
Dass sie eines Tages das Parlament besetzen würden, hätten sie vorher nie geahnt, sagen Chen und seine Kommilitonen. Mitte März stürmen mehrere hundert taiwanische Studenten die Volksvertretung der Insel, verbarrikadieren sich während über drei Wochen im Plenarsaal. Zuvor hatte ein Abgeordneter der Regierungspartei erklärt, ein umstrittenes Dienstleistungsabkommen mit China werde nicht weiter in einem Ausschuss beraten; stattdessen könne es direkt ans Parlament übergeben werden.
Um die Wirtschaft gehe es jedoch nur am Rande, sagt Lü Chiou-yuan. Der prominente Wirtschaftsanwalt und Radio-Kommentator hat mit seinen Artikeln über Taiwans China-Politik in den vergangenen Wochen für Aufsehen gesorgt: "Wirtschaftsabkommen sind nicht das eigentliche Problem, wir haben bereits Freihandelsabkommen mit Neuseeland und mit Singapur. Wir hoffen sogar, dass wir möglichst bald ein Abkommen mit den USA unterzeichnen können. Doch vor China fürchten wir uns."
Taiwan und China sind inzwischen beste Geschäftspartner
Denn trotz engster Wirtschaftsbeziehungen: Peking besteht darauf, dass Taiwan ein Teil seines Territoriums ist, eine offizielle Unabhängigkeit würde man notfalls auch mit militärischer Gewalt zu verhindern wissen.
Seit dem Amtsantritt des China-freundlichen Präsidenten Ma Ying-jeou vor sechs Jahren, haben sich Taipeh und Peking allerdings stärker angenähert als in den über sechs Jahrzehnten zuvor. Waren Mao Zedong und Chiang Kai-shek noch erbitterte Feinde, sind ihre Nachkommen inzwischen beste Geschäftspartner.
Dennoch bleiben die meisten Taiwaner Peking gegenüber skeptisch: "Den Menschen geht es auch um ihre Würde, nicht nur ums Geld. Wir sind von den Vereinten Nationen ausgeschlossen, wir dürfen kein richtiges Mitglied in der Weltgesundheitsorganisation sein. International tragen wir alle möglichen Namen, nur nicht unseren eigenen. Und wer ist dafür verantwortlich? China! Die Taiwaner sehen China als jemanden, der sie schikaniert."
Der Parlamentsvorsitzende Wang Jin-pyng geht schließlich auf die Studenten zu: Er kündigt einen Mechanismus an, mit dem alle Abkommen zwischen Taipeh und Peking geprüft würden. Bevor dieser Zwischenschritt nicht in Kraft sei, verspricht Wang, werde das Dienstleistungsabkommen im Parlament nicht behandelt.
Die Studenten gehen auf das Angebot ein, nach 24 Tagen räumen sie das Parlament. Er sei mit dem Erreichten zufrieden, sagt Chen Rui-Guang: "Das Ganze ist reibungslos zu Ende gegangen. Trotz der spontanen Bewegung haben wir die Ordnung aufrecht erhalten können, es kam zu keinen schlimmen Ausschreitungen. Wir schafften es, das Prinzip der Gewaltlosigkeit bis zum Schluss beizubehalten."
Die Generation junger Taiwaner ist erwacht
Von der Regierung seien sie jedoch nach wie vor enttäuscht, sagen die Studenten. Vor allem von Präsident Ma Ying-jeou, der nicht auf ihre Forderungen eingehen wollte.
Fünf Tage lässt sich der Präsident Zeit bis er sich dann erstmals selbst zur Besetzung des Parlaments äussert. Die Forderung der Studenten, das Abkommen mit Peking zurückzuziehen, lehnt er ab, verweist stattdessen erneut auf dessen wirtschaftliche Notwendigkeit.
Frustriert von Mas Antwort stürmen Demonstranten noch am selben Abend das Gebäude des Regierungskabinetts. Innerhalb weniger Stunden besetzen mehrere tausend Menschen das Regierungsgelände. Bei der Räumung geht die Polizei mit Schlagstöcken und Wasserwerfern ungewöhnlich hart gegen die Demonstranten vor.
"Zieht das Dienstleistungsabkommen zurück, schützt die Demokratie" rufen die Demonstranten. Sie tragen schwarze Hemden, wollen damit ihre Enttäuschung ausdrücken. Eine Woche nach der gewaltsamen Räumung des Kabinetts, protestiert nun eine halbe Million Menschen vor dem Präsidialamt. Viele halten Sonnenblumen hoch, als Symbol der Hoffnung und offizielles Zeichen der Bewegung. Das Parlament ist zu jenem Zeitpunkt noch immer besetzt. Eine Bewegung von diesem Ausmaß, die eine so breite Unterstützung der Bevölkerung genieße, habe selbst ihn überrascht, sagt Ho Ming-sho, Soziologie-Professor an der Nationalen Taiwan Universität. Protestbewegungen sind Hos Forschungsschwerpunkt: "Vor allem bei der jungen Generation sieht man eine anwachsende taiwanische Identität. Ihnen gefällt nicht, wie sich die Regierungspartei Kuomintang mit der Volksrepublik China arrangiert. Sie fühlen sich von der Regierung verkauft und sehen ihre Zukunft ruiniert."
Auch nach der Besetzung des Parlaments müsse sich die Regierung auf weitere Proteste gefasst machen, sagt Ho Ming-sho. "Die Kontroverse um das Dienstleistungsabkommen war eigentlich nur ein Auslöser. Die Generation junger Taiwaner ist nun erwacht und hat gezeigt, zu was sie fähig ist."
Sollte der Parlamentsvorsitzende sein Wort nicht halten, sagt Chen Rui-Guang, wäre es ein leichtes die Studenten umgehend erneut zu mobilisieren. "Ich denke, Taiwan hat sich stark verändert. Allein in meinem Bekanntenkreis hat es viele gegeben, die sich bisher nicht für Politik interessiert haben. Jetzt auf einmal finden sie Protestbewegungen 'cool'."