Taiwan hat einen neuen Präsidenten gewählt – und entschieden: Die regierende Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) soll ihren Kurs fortsetzen.
Der bisherige Vizepräsident Lai Ching-te, auch bekannt als William Lai, hat die Wahl mit etwa 40 Prozent der Stimmen gewonnen – und wird neuer Präsident der „Republik China“, wie Taiwan offiziell heißt. Dahinter rangierten sein Herausforderer Huo Yu-ih von der chinafreundlichen und konservativen Kuomintang (KMT) mit etwa 33 Prozent. Ein weiterer Anwärter von der Taiwanischen Volkspartei (TPP), Ko Wen-je, kam auf ungefähr 26 Prozent.
Bei den gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahlen hat die DPP allerdings – wie erwartet – ihre absolute Mehrheit verloren.
Die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) regiert bereits acht Jahre lang und tritt für eine eigenständige Identität Taiwans ein. Die Gebietsansprüche Chinas lehnt sie ab. Die Spannungen mit Peking könnten also anhalten oder sich möglicherweise verschärfen.
Wofür stehen der neue Präsident Lai und seine Partei DPP?
Die Regierungspartei DPP will das Land unabhängiger von der Volksrepublik machen, um nicht irgendwann einverleibt zu werden. Mit diesem Kurs konnte sie 2016 erstmals gleichzeitig die Mehrheit im Parlament und das Präsidentenamt erringen und löste die traditionalistisch-nationalistische Kuomintang (KMT) ab. Tsai Ing-wen regierte seitdem als Präsidentin die semipräsidentielle Republik (Mischform aus parlamentarischem und präsidentiellem Regierungssystem), durfte aber nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.
Ihr Nachfolger Lai Ching-te setzt auf eine pragmatische Politik gegenüber der Volksrepublik. Dialog ja, eine Vereinigung sei aber nicht verhandelbar. Damit will Lai den Kurs von Tsai Ing-wen im Grundsatz fortsetzen. „Er wird weiter auf den verbündeten USA setzen – und auch auf eine Südwärtspolitik, eine Wirtschaftspolitik mit anderen Ländern und versuchen, sich von China abzukoppeln, aber auch nach wie vor Dialogbereitschaft zu China zu signalisieren“, sagt Korrespondentin Katrin Erdmann.
In einer Siegesrede zeigte sich Lai entschlossen, Taiwan weiterhin vor "Drohungen und Einschüchterungen aus China zu schützen". Auch international werde Taiwan stets "auf der Seite der Demokratie stehen". Gleichzeitig versprach der künftige Präsident, sich weiter für Frieden und Stabilität in der Region einzusetzen. Er werde am Status quo nicht rütteln.
Der 64-Jährige hatte schon mehrere hohe politische Ämter inne, seit vier Jahren ist er Vizepräsident Taiwans. Er war Abgeordneter, Bürgermeister der Stadt Tainan im Südwesten des Inselstaates und Regierungschef.
Wie reagiert China auf die Wahl in Taiwan?
Vor der Wahl stieg die Spannung zwischen Taiwan und China deutlich: Die chinesische Seite hat im Wahlkampf „die Temperatur hochgedreht, also den Konflikt weiter eskaliert“, sagte Anna Marti, Leiterin des Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Taipeh in einem Interview kurz vor dem Wahltag. Peking bezeichnete Lai als "ernste Gefahr" und gefährlichen Separatisten und kündigte an, Handelsvorteile für Taiwan zurückzunehmen, sollte die DPP gewinnen.
Nach der Wahl teilte ein Sprecher der chinesischen Regierung mit, die Wahl werde nichts daran ändern, dass eine Wiedervereinigung mit der in Pekings Augen abtrünnigen Provinz „unausweichlich“ sei und man keine „separatistischen Aktivitäten“ auf der Insel dulde. Gleichzeitig hieß es aber auch: Der Sieg von Lai werde nichts an der grundlegenden Art der Beziehungen ändern.
China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, die wieder mit dem Festland vereinigt werden soll - notfalls mit militärischer Gewalt. Das Land hat in den vergangenen Jahren den militärischen Druck auf Taiwan erhöht, unter anderem mit Militärmanövern, was immer wieder Befürchtungen über eine mögliche Invasion schürt.
Wie steht Taiwan wirtschaftlich da?
Taiwan hat eine stark wachsende Volkswirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2023 etwa 750 Milliarden US-Dollar und gehört damit zu den größten der Welt. Im Gegensatz zu anderen Industriestaaten wuchs die Wirtschaft Taiwan sogar während der Pandemie.
Besonders wichtig ist die Herstellung von Computerchips und Halbleitern. Das Unternehmen "Taiwan Semiconductor Manufacturing Company“ (TSMC) ist - nach Samsung und Intel - der drittgrößte Chiphersteller der Welt und produziert mehr als die Hälfte aller weltweit eingebauten Halbleiter. Auch Apple bezieht seine Chips von dort. Bald soll TSMC bei Dresden eine Fabrik bauen, die der Bund mit fünf Milliarden Euro fördert.
Auch bei anderen IT-Geräten ist Taiwan Weltmarktführer, wie bei Motherboards, W-Lan-Routern und Notebooks.
Wie ist Taiwans Verhältnis zu China?
Es ist kompliziert. Wirtschaftlich ist Taiwan abhängig von China, die Volksrepublik ist der wichtigste Handelspartner. Es gibt viele taiwanische Firmen, die auf dem Festland in China produzieren, dort Arbeitsplätze schaffen, und Gewinne fließen auch wieder nach Taiwan zurück. Gleichzeitig erhebt die Kommunistische Partei (KP) Anspruch auf Taiwan, auch wenn die Insel nie zur Volksrepublik gehörte.
Die KP bewertet jegliche Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans als Provokation und droht mit der militärischen Übernahme der Insel. Seit dem Sieg der DPP hat die Volksrepublik den Kontakt zu Taiwan eingestellt. Der chinesische Staatschef Xi Jinping bekräftigte in seiner jüngsten Neujahrsansprache, eine Wiedervereinigung mit Taiwan werde es mit Sicherheit geben, sie sei "historisch unvermeidbar".
„Die militärische Bedrohungslage gegenüber Taiwan hat zugenommen“, sagt Taiwans Außenminister Joseph Wu. „Die Chinesen scheinen mögliche Angriffsszenarien zu trainieren. Aber die militärische Vorbereitung muss umfassend sein, um Taiwan anzugreifen. Das sehen wir noch nicht.“
Einen herkömmlichen Krieg hält er derzeit für unwahrscheinlich. Das sei das letzte Mittel der Kommunistischen Partei. Ihre Strategie sei eine andere: „Das chinesische Militär handelt nach dem mehr als 2000 Jahre alten militärphilosophischen Prinzip von Sunzi, und dessen erste Regel ist es, den Feind zu zerstören, ohne Gewalt anzuwenden. Und ich denke, das ist es, was China gerade versucht zu tun.“
Chinas Taktik gegenüber Taiwan
Die ständigen Drohungen von Xi Jinping sowie die Einsätze von Kampfjets und Kampfschiffen nahe Taiwan seien Beispiele für diese Taktik – alles Einschüchterungen. Trotzdem müsse sich Taiwan militärisch weiterentwickeln.
„Wir benötigen genug Abschreckungskapazitäten", sagt Joseph Wu. "Deshalb machen wir eine Militärreform. Wir investieren massiv in unser Militär und weiten auch den Grundwehrdienst für alle Männer aus von vier Monaten auf ein Jahr. Wir intensivieren das Training unserer Soldaten und wir sehen, wie die großen Länder wie die USA, Japan und Australien ihre militärischen Vorbereitungen in der Region intensivieren. Und zusammen sollten wir es verhindern können, dass ein Krieg ausbricht.“
Gezielte Kampagnen gegen Taiwan
Zur hybriden Kriegsführung der KP Chinas gehört auch das Ausschließen Taiwans von vielen internationalen Organisationen, die zunehmende diplomatische Isolation, Fake-News-Kampagnen und Cyberangriffe: „Taiwan ist das Ziel Nummer eins aller Länder auf der Welt, wenn es um Cyberattacken geht", sagt der Außenminister. "Laut unseren Berechnungen gab es in den vergangenen Jahren 15.000 Attacken pro Sekunde. Das ist die höchste Zahl in der Welt.“
Unabhängig überprüfen lässt sich diese Zahl von Joseph Wu nicht, aber Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass Taiwan auf jeden Fall einer sehr hohen Zahl von Cyberattacken aus China ausgesetzt ist – vom Energiesektor bis zu Banken, dem Gesundheitsbereich und Regierungseinrichtungen. Dabei sei das Ziel nicht, alles lahmzulegen, sondern die Gesellschaft zu spalten: Das Vertrauen in Taiwans System, die Demokratie, solle erodieren.
leg, lkn