Vom Winde verweht ist der süßliche Gesang von Teresa Teng. Doch auf Kinmen bleibt die früh verstorbene Künstlerin auf ewig unvergessen. Als emsige und bildhübsche Truppenbetreuerin hob sie die Moral der taiwanischen Soldaten gerade hier, so nah am chinesischen Festland.
Noch heute quillt ihre Stimme regelmäßig aus den 48 gewaltigen Lautsprechern am Kliff von Beishan. Eine Touristenattraktion wie die meisten militärischen Anlagen auf Taiwans Außenposten, sagt der stellvertretende Insel-Chef Wu Cherng-Dean:
"Es sind ja nur noch etwa 7.000 Soldaten auf Kinmen. Mit wenigen Ausnahmen haben die alten Verteidigungsstellungen allenfalls touristische Bedeutung. Wir wollen keinen Krieg mehr. Wir haben auch alle Minen am Strand ausgegraben und hoffen auf eine friedliche Zukunft."
Kinmen ist ein Kuriosum. Bei Sonnenuntergang flanieren Liebespaare am Strand entlang. Sie blicken auf die imposante Hochhauskulisse jenseits des Meeres. Xiamen heißt die Zwei-Millionen-Metropole da drüben, in China. Im Gegenlicht erscheint der Himmel orangerot, im Vordergrund die Silhouette ausrangierter Panzer, deren Kanonen aufs Festland zielen. Kinmens Strand ist gespickt mit Abertausenden von schräg in den Boden gerammten Spießen aus rostigem Stahl.
Geschäftsmodell: Messer aus Granathülsen
Maestro Wu ist ein inselweit bekannter Schmied, der aus den ausgegrabenen Granaten etwas Nützliches macht.
"Ursprünglich haben wir Messer für Profis gemacht, also für Köche und Markthändler. Inzwischen hat sich das Sortiment erweitert, wir machen auch westliche Messer, Outdoormesser, Obstmesser, was Sie wollen."
Im Schnitt sechs Messer pro Granathülse, sagt Maestro Wu. Bei einer Million Granaten, die auf Kinmen niedergingen, wird das Material vorerst nicht knapp. Auch, wenn die Nachfrage steigt:
"Ursprünglich waren das Souvenirs für Taiwaner, aber jetzt, wo sehr viele Chinesen hierher kommen, die auch Geld haben, verkaufen wir viele Messer an Touristen vom Festland. Die verbinden auch noch einen historischen Wert damit."
Chinesen fordern scherzhaft Rabatt, es seien doch ihre Granaten
Tatsächlich wimmelt es in seinem Laden vor Chinesen. Einige machen Witze: Sie wollten Rabatt, schließlich hätten sie doch das Material rüber geschossen!
Es ist ein gutes Geschäft, nicht nur moralisch, sondern auch kommerziell, sagt der andere Herr Wu, der von der Inselverwaltung:
"Kinmen hat ja nur zwei Einnahmequellen: Tourismus und Hirseschnaps. Für beides sind die Chinesen entscheidend."
Er lacht, aber er meint es auch ernst.
"In vieler Hinsicht sind wir hier auf Kinmen der Küstenbevölkerung Chinas ähnlicher als den Leuten auf Taiwan. Ich habe eine Tante in Xiamen. Wir sprechen denselben Dialekt, haben dieselben Sitten und Gebräuche. Und auf Dauer sind Blutsbande eben stärker als politische Loyalitäten."
Wirtschaftlich näher an China als Taiwan
Will Kinmen etwa das freiwillig vollziehen, wogegen es sich jahrzehntelang mit Waffen gewehrt hat? Den Anschluss an China? Herr Wu zögert.
"Wir wollen uns nicht von Taiwan trennen, denn Demokratie ist wichtig. Auf der anderen Seite vollzieht sich in China ein großer Wandel. Wir hätten kein Problem damit, den Status von Hongkong zu übernehmen: Ein Land, zwei Systeme. Wirtschaftlich hängen wir ja sowieso mehr von Xiamen ab als von Taipeh. Und wie gesagt: Nur die Festland-Chinesen trinken unseren Schnaps!"