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Taiwans Rivalität zu China
Eine "falsche" Flagge beim Breakdance heizt den Konflikt weiter an

Im japanischen Okinawa geriet der Sport an seine Grenzen: Bei der Breakdance-WM verließ die chinesische Mannschaft die Halle. Denn Vertreter aus Taiwan hatten etwas getan, das sie in den Augen ihrer chinesischen Mitbewerber niemals hätten tun dürfen.

Von Felix Lill |
Tänzer aus China wärmen sich am 29.10.2016 in Essen (Nordrhein-Westfalen) vor dem Finale im Breakdance-Wettbewerb "Battle of the year" Backstage auf. Foto: Maja Hitij/dpa (zu dpa "Breakdance-Gruppen aus aller Welt präsentieren sich in Essen" vom 30.10.2016) ++
Tänzer aus China wärmen sich vorm Finale des Breakdance-Wettbewerb "Battle of the year" auf. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
Nach Auffassung des von Peking aus regierten Festlandchinas existiert Taiwan nicht als eigenständiger Staat, sondern gehört zum Territorium Chinas. Die Insel vor der chinesischen Südküste, auf der 24 Millionen Menschen leben, wird zwar seit Jahrzehnten eigenständig und demokratisch regiert. Aus Peking aber kommt in den vergangenen Jahren regelmäßig die Ankündigung, man werde Taiwan mit dem Festland vereinen – notfalls unter Zwang. Immer wieder patrouillieren chinesische Kriegsschiffe vor der taiwanischen Küste, Flugzeuge dringen in den Luftraum ein.

In Taiwan ist Breakdance ein Politikum

Diese angespannte politische Lage macht sich auch im Sport bemerkbar, wie bei der inoffiziellen Breakdance-Weltmeisterschaft: Am Ende musste sich China aus dem Turnier zurückziehen, denn zwischen Freunden und Vaterland müssen sie sich für das Vaterland und Politik entscheiden.
Privat sind die B-Boys Freunde. Sie verstehen sich gut. Die chinesischen Breaker wollten das auch nicht. Aber sie mussten sich zurückziehen, sagt Emma Chen, selbst Tänzerin und Promovierende an der National Taiwan Normal University in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan. Chen schreibt ihre Doktorarbeit über die Bedeutung des Breakdance außerhalb seines Ursprungslandes USA. In Taiwan werde die einstige Straßenkultur gerade zum Politikum: “Jedes Jahr schwingt Taiwan seine Flagge bei diesem Turnier, seit den 1990er Jahren. Man weiß auch nicht, warum es ausgerechnet in diesem Jahr so ein Problem für China wurde. Aber die Sache mit Taiwan und China ist hier eine sehr große Sache. Die Regierung Taiwans nutzt die Sache auch populistisch, sie kann die Spannungen mit China für ihre Politik nutzen. Die Medien spitzen das auch noch in ihren Berichten zu.“

China blockiert Taiwan

Schließlich fühlt sich Taiwan von Festlandchina bedroht. Im Jahr 1949 hatten die chinesischen Nationalisten um ihren Anführer Chiang Kai-shek den chinesischen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten verloren und flohen auf die Insel Taiwan, die sie offiziell „Republik China“ bezeichneten. International galt zunächst Taiwan als anerkannte Vertreterin Chinas – hatte den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne, führte diplomatische Beziehungen in alle Erdteile und vertrat China bei Olympischen Spielen.
General Chiang Kai-shek (second figure with right hand on his hip), chairman of the National Government of China, reviews his troops, the National Guards, on the occasion of Nanking's celebration of the birthday of the Republic, Oct. 10, 1931 in Nanjing, China. (AP Photo)
General Chiang Kai-shek, Zweiter von rechts zu Pferd, in Nanking während eines Truppenaufmarschs im Chinesischen Bürgerkrieg im Oktober 1931. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Als aber die USA ab 1972 begannen, statt Taiwan fortan Festlandchina als das „wahre China“ anzuerkennen, sah sich Taiwan allmählich international isoliert. Das gilt sogar für den Sport, sagt Li-Hong Hsu, Professor für Sportwissenschaften an der National Taiwan University of Sport: “Sport wurde über die letzten Jahrzehnte auf verschiedene Weisen eingesetzt, um Taiwan auf die internationale Bühne zu bringen. Aber China blockiert natürlich alles, solange wir uns nicht an das Ein-China-Prinzip halten, das besagt, es könne nur ein China geben. Derzeit sind wir am Tiefpunkt.“
Immer wieder hat es Taiwan versucht, mit Sport Teil der internationalen Gemeinschaft zu werden. Von den späten 1970er Jahren an, als dies anderswo noch weitgehend vernachlässigt oder verachtet wurde, veranstaltete die Insel viermal ein Fußballturnier für Frauen, lud unter anderem Deutschland und Frankreich ein. In den vergangenen Jahren sorgen Spieler im E-Sport für Aufsehen, gelten als harte Konkurrenten der oft führenden Südkoreaner. Und bei Olympischen Spielen ist Taiwan zwar nicht im Ansatz so erfolgreich wie das größere und aufstrebende Festlandchina, holt aber immer wieder Medaillen.
Andererseits: Wegen Widerstand aus Peking kann Taiwan bei internationalen Turnieren weder unter dem Namen „Taiwan“ noch unter der offiziellen Staatsbezeichnung „Republik China“ antreten. So laufen die Athleten der Insel bei Olympia seit 1984 als „Chinese Taipei“ auf. Und alles, was mit diesem Konsens bricht, gilt als Skandal.
So sagte der in China bekannte Influencer Jeddy nach dem Breakdancewettbewerb im Dezember: “China hat bei der ‚Battle of the Year‘ teilgenommen, die diesmal im japanischen Okinawa stattfand. Aber die Truppe entdeckte plötzlich während der Probe, dass eine falsche Flagge auftauchen sollte. Das chinesische Team verhandelte sofort mit den Organisatoren. Aber der anderen Seite war das egal. Und das chinesische Team zog sich entschieden zurück.“
November 3, 2022, Taipei, Taiwan: A man carries flags of the Republic of China in the Liberty Square in front of Chiang Kai-shek mausoleum in Taipei. A group of eight European lawmakers, two of them sanctioned by Beijing, are set to arrive in Taiwan amid renewed geopolitical uncertainties after the Chinese ruling party's top congress. (Credit Image: © Wiktor Dabkowski/ZUMA Press Wire
Ein Mann trägt zwei Flaggen der Republik China, die nur von wenigen Staaten diplomatisch anerkannt wird, über den Freiheitsplatz in Taipeh. Im Hintergrund befindet sich das Chiang Kai-shek Mausoleum. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Wiktor Dabkowski)

Bei Olympia 2024 will Taipeh Breakdance-Medaillen

Mit der „falschen Flagge“ meint der Influencer, der hier in einem chinesischen TV-Kanal zitiert wurde, die Nationalflagge Taiwans. Und das Ganze ist umso heißer, da Breakdance bei den nächsten Sommerspielen in Paris 2024 zur olympischen Disziplin wird. Die Rivalität zwischen der Insel und Festlandchina ist damit ordentlich erhitzt.
Längst haben hohe Sportvertreter Taiwans angekündigt, Breakdance solle auch intensiver gefördert werden. Huang Chih-hsiung, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees, hat in einem Statement verlautbart: “Die Regierung muss unbedingt mehr Mittel bereitstellen für beliebte Sportarten, die bisher zu wenig Geld haben, bei denen aber Potenzial bei Olympia besteht.“

Eine Olympiamedaille für Taiwan ist realistisch

Der Vorsitzende der taiwanischen Breakdancevereinigung hält einen Medaillengewinn in Paris für realistisch. Im vergangenen Jahr gewann ein taiwanisches Team ein internationales Turnier in Frankreich, bei dem mehr als 50 Länder teilgenommen hatten. Bei den Youth Olympic Games 2018, wie auch bei der „Battle Of The Year“ im Dezember, scheiterte Taiwan kurz vorm Halbfinale. Zu den Medaillenchancen sagt Emma Chen: “Sie sind gut, sehr gut. Ob sie eine Medaille gewinnen, wird auch vom Bewertungssystem abhängen. Das ist noch nicht veröffentlicht worden.“
Emma Chen betont, dass viele B-Boys und Girls den Gedanken, von Juroren bewertet zu werden, eigentlich ablehnen, weil Breakdance eben ursprünglich gar kein Sport sei, der sich in Punkten messen lasse. Auch seien viele der Taiwaner durchaus mit den Chinesinnen befreundet. Aber jetzt, wo das Ganze olympisch wird, wird es eben auch politisch. So wird für den Breakdancewettbewerb 2024 in Paris nicht nur in Taiwan intensiv trainiert. Auch Medien aus dem chinesischen Festland spekulieren schon darüber, wie wohl die eigenen Chancen auf eine Medaille aussehen. Und auf eine Revanche für die jüngste Schmach von Okinawa.