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Taktische Nuklearwaffen

Ich grüße Sie herzlich, meine Damen und Herren, willkommen zu dieser Sendung. Die Abrüstungspolitik der letzten Jahrzehnte war vor allem geprägt durch die Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen, also der Interkontinentalwaffen. Nachdem die Verträge, die eine kontrollierte, wechselseitige Überwachung der Atomwaffen mittlerweile abgeschlossen sind, ist es ruhig geworden um die Atomabrüstung. Russland hat den letzten Abrüstungsvertrag, START II, noch gar nicht ratifiziert. Aber mit diesem Zustand lebt die Staatengemeinschaft. Als NATO-Generalsekretär Lord Robertson Mitte Februar in Moskau war, hat er die Ratifikation dieses Vertrages gar nicht mehr angemahnt. Es ist Stillstand in der nuklearen Abrüstungspolitik. Nahezu im Schatten der Debatten um die Interkontinental- und die Mittelstreckenraketen hatten die Nuklearmächte auch Kurzstrecken- und Gefechtsfeldwaffen vorgehalten, die durch Rüstungskontrollabkommen nicht erfasst wurden. Dabei ist die nukleare Komponente in den Militärstrategien sowohl der NATO wie auch Russlands immer noch deutlich sichtbar. Die NATO hat den Zugriff auf Nuklearwaffen als letzte Möglichkeit in einer militärischen Auseinandersetzung nicht ausgeschlossen, allerdings die Einsatzschwelle sehr hoch gelegt. Russland dagegen hat sie eher gesenkt. Auch das ist Ausfluss der gegenwärtigen Rüstungslage: Die NATO ist konventionell trotz der Verträge über konventionelle Streitkräfte in Europa, die Obergrenzen vorsehen, die mit Russland ausgehandelt wurden, deutlich überlegen. Nun meint Russland, dass es diese konventionelle Überlegenheit nur durch das Vorhalten von Nuklearwaffen ausgleichen kann, eine Argumentation, die in Zeiten der Blockkonfrontation die NATO vertreten hatte: Damals war der Warschauer Pakt konventionell überlegen. Es gibt nun erste vorsichtige Ansätze, darüber nachzudenken, wie diese sog. substrategischen Waffen in Abrüstungsvereinbarungen eingebunden werden könnten. Gesa Liethschmidt hat die entsprechenden Informationen zum folgenden Lagebild zusammengetragen. Manuskript Liethschmidt

Gesa Liethschmidt |
    Bevor der mittlerweile zurückgetretene russische Präsident Boris Jelzin in China seinem US-amerikanischen Amtskollegen Bill Clinton im Dezember mit russischen Atomwaffen drohte, waren die strategischen Nuklearwaffen der beiden Atommächte USA und Russland lange Zeit aus den Schlagzeilen verschwunden. Der Grund dafür ist bekannt: Seitdem der US-Senat das Abkommen zur Verminderung der nuklearstrategischen Waffen, START II, Anfang 1996 ratifizierte, wurde ein weiteres Hinabsteigen auf der nuklearen Abrüstungsleiter durch die alte, mehrheitlich kommunistische Moskauer Duma blockiert. So war die Mehrheit der Abgeordneten der Meinung, dass die Regelungen in START II Russland benachteiligen. Außerdem stieß die NATO-Osterweiterung auf scharfe Gegner in der Duma.

    Beobachter der Moskauer Politikszene meinen, dass die im Dezember neugewählte Duma und der von Jelzin am 31. Dezember als Interimspräsident eingesetzte Wladimir Putin den Weg für die Ratifikation von START II freimachen könnten. Der Newcomer Putin wies bereits im vergangenen Jahr als Premierminister mehrfach die Dringlichkeit einer Ratifikation von START II hin. In einem Beitrag für eine große deutsche Tageszeitung bestätigte der ehemalige Geheimdienstchef vor kurzem seinen Abrüstungswillen:

    "Im ersten Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts wird im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Staaten die Lösung der globalen Probleme stehen. Hierzu gehören die Festigung des Friedens und die Fortsetzung der Abrüstung."

    Wladimir Putin wird also, wie es scheint, zumindest bis zu den Präsidentschaftswahlen am 26. März der Stimme seines ehemaligen Mentors Boris Jelzin treu bleiben, der sich in den vergangenen Jahren mehrfach für eine weitere Reduzierung der Atomsprengköpfe beider Seiten auf je 3.000 bis 3.500 im Rahmen von START II aussprach.

    Allerdings sind es nicht die weitreichenden strategischen Nuklearwaffen, die der größte Risikofaktor in dem Atompoker sind. Sondern es sind die taktischen Nuklearwaffen, auch substrategische Waffen genannt, die nach Meinung der Experten der nuclear community das wirkliche Gefahrenpotential ausmachen.

    Taktische Nuklearwaffen sind nukleare Sprengkapseln, die in einem recht engen Umkreis, zum Beispiel von Kampfflugzeugen aus, eingesetzt werden können. Ihr politisch-militärischer Nutzen ist umstritten. Nikolai Sokov, Nuklearwaffenexperte am Monterey-Institut für internationale Studien in Kalifornien, der als Berater an den START I-Verhandlungen teilnahm, meinte:

    "Taktische Nuklearwaffen sind nur für den Einsatz in einem Krieg vorgesehen, als Abschreckungswaffe haben sie dagegen keine Funktion. Im Gegensatz zu den strategischen Nuklearwaffen, die Abschreckungswaffen sind, sollen die taktischen Nuklearwaffen in einem frühen Stadium eines Konfliktes eingesetzt werden. Sie sollten in erster Linie in Europa eingesetzt werden und sind Überbleibsel aus den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges, als das Gespür für Atomwaffen noch sehr, sehr primitiv war, wie in den fünfziger Jahren."

    Beim amerikanisch-russischen Helsinki-Gipfel im März 1997 waren sich US-Präsident Clinton und Russlands damaliger Präsident Jelzin einig, dass die taktischen Nuklearwaffen nach der Ratifikation von START II in die nächste Verhandlungsrunde über den Abbau der strategischen Nuklearwaffen mit eingebunden werden sollen, also in die START III-Verhandlungen. Bislang befinden sich die taktischen Nuklearwaffen in einem abrüstungspolitischen Niemandsland, tauchen also in keinen Verhandlungen auf.

    Eines der größten Probleme bei diesen Verhandlungen wird die Frage der Reduzierung und der Verifikation von Sprengköpfen sein. Bislang haben sich die Verhandlungen nur auf die sicht- und zählbaren Trägersysteme konzentriert. Die Sprengköpfe, die die eigentlichen Waffen sind, blieben außen vor. Bei taktischen Nuklearwaffen handelt es sich aber um Waffen, deren Träger einen Mehrzweck, also auch eine konventionelle Rolle haben, so dass das entscheidende Element im Gefechtskopf liegt.

    Die Atommächte Großbritannien und Frankreich haben ihren Bestand an taktischen Nuklearwaffen mittlerweile nahezu völlig abgebaut. Während die USA angeblich bis zu 7.000 taktische Nuklearwaffen auf ihrem Territorium lagern, haben die beiden Europäer nur noch knapp 200 luftgestützte taktische Atomwaffen. Sie stehen der NATO zur Verfügung und sind auf Stützpunkten in sieben Nato-Staaten, darunter der Bundesrepublik, gelagert. Außerdem haben die USA noch eine kleine Zahl dieser Waffen in Korea. Der große Rest aber - die Schätzungen schwanken hier zwischen 3.000 und 20.000 - befindet sich auf dem Boden der Russischen Föderation. Die renommierte amerikanische Fachzeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists geht davon aus, dass sich rund die Hälfte dieser Waffen im europäischen Teil Russlands befinden.

    Es sind vor allem diese Waffen, die in den westlichen Hauptstädten Beunruhigung hervorrufen, allein schon, weil sie von ihrer Reichweite und den geographischen Zusammenhängen her in Europa eingesetzt werden können. Zwar hat Moskau versichert, die einseitigen Erklärungen von 1991 und 1992 zum Abbau dieser Waffen in erheblichem Umfang erfüllt zu haben, es sind auch Prozentsätze genannt worden. Aber es ist nicht gesagt worden, von welchen Basisdaten diese Prozentsätze berechnet wurden.

    Am Moskauer Zentrum für internationale Studien, dem PIR-Center, wurde erstmals eine Studie über die russischen taktischen Nuklearwaffen veröffentlicht. Aber auch hier kann man keine Angaben darüber machen, wie hoch die Zahl der russischen taktischen Nuklearwaffen ist. Ivan Safranchuk vom PIR-Center erklärt, warum das so ist:

    "Es gibt keine Methode, wie man die russischen Lagerbestände messen kann. Selbst wenn es eine geben würde, dann hätten wir keine Basis, von der aus wir beginnen könnten. Das liegt daran, dass wir in keinem Jahr eine Gesamtzahl dieser Waffen hatten. Wir wissen also nicht, wie viele wir zum Beispiel im Jahr 91 oder 87 hatten."

    Ein weiterer Anlas zur Beunruhigung ist, dass in der neuen Militärdoktrin Russlands von militärischer Seite Atomwaffen - und hierzu gehören auch die taktischen Nuklearwaffen - aufgewertet werden. Seit Jahren bereits stellt sich die Frage, wie die sub-strategischen Waffen, die die Europäer besonders beunruhigen, rüstungskontrollpolitisch berücksichtigt werden können.

    Eine Lösung dieses Problems ist besonders dringlich, da eben die taktischen Nuklearwaffen in den Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen nicht auftauchen. Diesen rechtsfreien Raum wollte der damalige US-Präsident Bush am 27. September 1991 beseitigen, indem er eine einseitige Abrüstungsinitiative verkündete. Die USA, so Bush, würden alle landgestützten taktischen Nuklearwaffen vernichten, die seegestützten taktischen Nuklearwaffen sollten von Schiffen und U-Booten abgezogen und zum Teil zerstört werden. Allerdings, so Bush, wolle sich die US-Regierung die Möglichkeit offen halten, die luftgestützten taktischen Nuklearwaffen zu modernisieren. Bezogen auf die europäischen NATO-Staaten bedeutete der Vorstoß von Bush, dass ungefähr 3.500 taktische Nuklearwaffen abgezogen oder vernichtet werden sollten.

    Die von der Weltöffentlichkeit begrüßte Bush-Initiative war nicht uneigennützig. Nach dem gescheiterten Augustputsch 1991 in Moskau lag das riesige Sowjetreich bereits in Agonie. Die US-Initiative sollte vermutlich die angeschlagene Stellung Gorbatschows stärken und somit u.a. verhindern, dass die unzähligen taktischen Nuklearwaffen, die auf dem gesamten Sowjetgebiet verstreut lagen, in die falschen Hände gerieten. Zudem machten diese Waffen militärstrategisch und abschreckungspolitisch keinen Sinn mehr. Der Warschauer Pakt existierte nicht mehr.

    Die Sowjetunion hatte die taktischen Nuklearwaffen, die in Polen, der früheren DDR, Ungarn und der Tschechoslowakei stationiert waren, zurückgezogen. Demnach konnten sie NATO-Gebiet nicht mehr erreichen. Es bedeutete also keinen Nachteil für die USA, ihre landgestützten Waffen aus Europa abzuziehen und zu vernichten.

    Bushs Rechnung ging auf. Nur zwei Wochen später legte der damalige sowjetische Präsident Gorbatschow eine eigene Abrüstungsinitiative vor, ein halbes Jahr später schob sein Amts-Nachfolger Jelzin eine weitere hinterher. Danach sollten die landgestützten taktischen Nuklearwaffen der Sowjetunion zerstört sowie luft- und seegestützte abgezogen und teilweise zerstört werden. Im Frühjahr 1992 wurden sämtliche in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen auf russischen Boden zurückgezogen.

    Zwar enthielten die drei Abrüstungsinitiativen keine verbindlichen Abmachungen. Die USA hielten sich aber an ihre Erklärung. Das einzige, was blieb, waren luftgestützte taktische Nuklearwaffen.

    Russland hat seine Ankündigung ebenfalls umzusetzen begonnen. Es ist allerdings nicht möglich zu sagen, wie viele dieser Waffen tatsächlich abgebaut wurden. Denn, so Ivan Safranchuk vom Moskauer PIR-Center:

    "Ohne eine Zahl zu kennen, haben wir nur den Prozentsatz der gesamten Waffen, aber wir kennen eben nicht den Gesamtbestand. Vor zwei Jahren bestätigte Verteidigungsminister Igor Sergejew zwar, dass Russland sowohl Gorbatschows als auch Jelzins Initiative bis zum Jahr 2001 umsetzen wird. Das Problem ist aber, dass Russland auch nach der Implementierung dieser zwei Initiativen immer noch eine unbekannte Anzahl von taktischen Nuklearwaffen besitzen wird. Die meisten von ihnen sind wohl in Depots, aber einige stehen der Luftwaffe und der Marine zur Verfügung."

    Da die Befehlsgewalt über die taktischen Nuklearwaffen in der Zuständigkeit des Kommandeurs vor Ort lag, befürchteten Experten, dass angesichts der mangelhaften Kommunikation ein nervös gewordener Kommandeur einen Nuklearkrieg auslösen könnte. Diese Gefahr ist jetzt laut Iwan Safranchuk gebannt.

    "Nach den letzten Änderungen der Militärstruktur der Russischen Föderation haben wir strategische Kommandos eingerichtet. Die Hälfte dieser strategischen Kommandos wird mehr Machtbefugnisse erhalten, was bedeutet, dass sie das Kommando und die Kontrolle über die taktischen Nuklearwaffen übernehmen werden - zumindest in Krisenzeiten."

    Seit mehreren Jahren ist eine Renuklearisierung der russischen Sicherheitspolitik zu beobachten. Nach der Abkehr von der Vorstellung eines massiven Schlagabtausches ist mit Blick auf die Peripherie Russlands eine Neustrukturierung mobilerer und flexiblerer Atomarsenale gefolgt. Steven Miller, Nuklearwaffenexperte und Direktor am Zentrum für Naturwissenschaften und Internationale Politik an der Harvard Universität, erklärt:

    "Die großen Schwierigkeiten, in denen sich das russische Militär befindet und die Erkenntnis, wie schwach Russland gegenüber seinen Nachbarn geworden ist, hat die russische Militär- und Sicherheitselite veranlasst, wieder stärker ihre Nuklearwaffen in die Militärstrategie einzubeziehen. Es sind vor allem die taktischen Nuklearwaffen, weil sie die konventionelle Unterlegenheit ausgleichen. Dies war viele Jahre NATO-Politik und dies scheint heute russische Politik zu sein."

    Bei der NATO in Brüssel verweist man darauf, dass die russischen taktischen Nuklearwaffen zwar keine Bedrohung für die westliche Allianz, wegen ihrer wahrscheinlich sehr hohen Zahl aber sehr wohl ein Grund zur Beunruhigung sind. Welche Funktion kommt angesichts dieser Beunruhigung den in Europa rund 200 amerikanischen luftgestützten taktischen Nuklearwaffen, Atombomben vom Typ 61, zu? NATO-Sprecher Jamie Shea sagt, dass diese Waffen eine Rückversicherung dafür sind, dass niemals ein größerer Krieg in Europa ausbrechen kann:

    "Wir meinen, dass eine sehr kleine Zahl für Stabilität und Rückversicherung steht. Diese Zahl ist zu gering um eine Bedrohung für jemanden zu sein. Andererseits aber ist sie ein Zeichen für die nukleare Lastenteilung innerhalb der Allianz. Es ist wichtig, dass nicht allein die USA die nukleare Verantwortung tragen. Und schließlich behalten wir einige luftgestützte taktische Nuklearwaffen, einfach um den Umgang mit ihnen nicht zu verlernen."

    Die B-61 können auch zur Bekämpfung von eventuellen Angriffen mit Massenvernichtungswaffen aus den sogenannten Schurkenstaaten wie dem Irak oder dem Iran eingesetzt werden. Laut der neuen Atomwaffenstrategie der USA vom vorletzten Jahr ist der präventive atomare Schlag gegen Massenvernichtungswaffen mit taktischen Nuklearwaffen auf regionalen Gefechtsfeldern vorgesehen. Sind die B-61, die taktischen Nuklearwaffen der NATO, eine Bedrohung für Russland? Ivan Safranchuk vom Moskauer PIR-Center.

    "Normalerweise werden sie überhaupt nicht als eine Bedrohung gesehen. Allerdings sehen wir es als eine Bedrohung an, dass die NATO möglicherweise ihre nukleare Infrastruktur in die neuen Beitrittsländer ausweitet."

    Diese Befürchtung Moskaus versuchte der damalige amerikanische Außenminister Warren Christopher 1996 bei einer seiner letzten Pressekonferenzen in Europa mit den berühmten drei "No's" entgegenzutreten:

    "Es gibt keine Absicht, keinen Grund und keine Pläne, nukleare Streitkräfte auf dem Territorium der Beitrittsländer zu stationieren."

    Dies bekräftigte auch Roberto Zadra, Mitglied des Direktorats für nukleare Politik im Internationalen Stab der NATO, fügte aber hinzu:

    "Wir können nicht wissen, was die Zukunft uns bringt. Und sollte etwas passieren, das wir nicht wollen und das nicht vorauszusehen war, dann wollen wir alle Optionen offen halten. Das heißt aber nicht, dass es einen verborgenen Passus gibt. Wir wollen keine Nuklearwaffen in den Beitrittsländern stationieren. Wenn sich das sicherheitspolitische Umfeld nicht ändert, werden wir dies nie tun. Das ist der Grund, weshalb eine politische Zusage stark ist, sie ist bindend und ein gesetzliches Stück Papier würde dem nichts hinzufügen."

    Die drei No's sind also eine politische Zusage. Völkerrechtlich sind sie allerdings nicht verbindlich. Seit gut zwei Jahren treffen sich Vertreter der NATO und Russlands im Ständigen NATO-Russland-Rat in Brüssel, um auch über Nuklearfragen zu reden. Die taktischen Nuklearwaffen stehen auch auf diesem Programm. Ziel der Gespräche ist es, Vertrauensbildung und Transparenz zu schaffen. Konkrete Ergebnisse aber gibt es bis heute nicht.

    Wegen der Differenzen im Hinblick auf den Kosovo-Krieg lagen die Gespräche zunächst auf Eis, das brutale Vorgehen der Russen in Tschetschenien hat die Beziehungen zwischen Washington und Moskau noch frostiger werden lassen. Erst Mitte Februar wurde zwischen NATO-Generalsekretär Lord Robertson und Russlands Außenminister Iwanow vereinbart, diese Kontakte langsam wieder aufzunehmen. Im Hauptquartier der NATO wartet man darauf, dass die Duma den START II-Vertrag ratifiziert.

    Die Aussichten hierfür sind, wie gesagt, mit der neuen Duma gestiegen. Allerdings behält sich das russische Parlament nach dem Entwurf des Ratifikationsgesetzes vor, unter außerordentlichen Umständen einseitig aus dem Abrüstungsabkommen auszusteigen. Dies wäre der Fall, sollten die USA oder andere Nato-Staaten militärische Entscheidungen treffen, die eine Bedrohung für die nationale Sicherheit Russlands darstellen. Hierzu gehört die Stationierung von Atomwaffen in den neuen NATO-Ländern. Eine weitere Bedingung lautet, dass eine einvernehmliche Regelung beim ABM-Vertrag, also dem 1972 auf unbegrenzte Zeit geschlossenen amerikanisch-russischen Raketenabwehrvertrag, getroffen wird.

    Dies dürfte der heikelste Punkt werden. Im Juni will die Clinton-Administration über eine Nationale Raketenabwehr, die die USA vor Interkontinentalraketen mit biologischen, chemischen oder atomaren Sprengköpfen schützen soll, entscheiden. Eine Nationale Raketenabwehr aber verstößt eindeutig gegen den ABM-Vertrag. Die amerikanischen Pläne zum Aufbau einer eigenen Raketenabwehr stießen bei der Herbsttagung der NATO-Außenminister im Dezember auch bei den Verbündeten auf Widerspruch. Außenminister Fischer erklärte, dass die europäischen NATO-Staaten doppelte Sicherheitsstandards befürchteten. Bei der Diskussion um den Raketenschutzschild müsse berücksichtigt werden, was dies für den Zusammenhalt des Bündnisses, das Verhältnis zu Russland und die Weiterverbreitung von Atomwaffen bedeute.

    Im US-Kongress werden aber die Stimmen immer lauter, die für eine einseitige Kündigung des amerikanisch-russischen Raketenabwehrvertrages plädieren, sollten die Russen nicht einer Anpassung des ABM-Vertrages zustimmen. Das Warten auf den Verhandlungsbeginn von START III und damit endlich auch die Einbeziehung der taktischen Nuklearwaffen in die Verhandlungsmasse könnte sich also, je nach politischer Großwetterlage, weiterhin verzögern.