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Tanja Tetzlaff
"Jede Musik löst bei mir Erinnerungen aus"

Die Cellistin Tanja Tetzlaff reist mit ihrem Instrument ständig um die Welt. Heimat sei dabei für sie der Ort, an dem Menschen lebten, mit denen sie sich wohlfühle, sagte die Musikerin im DLF. Es gebe aber auch Musik, die sie mit Heimatgefühlen verbinde. So zum Beispiel Werke von Bach, Mozart oder Schütz.

Tanja Tetzlaff im Gespräch mit Karin Fischer |
    Die Cellistin Tanja Tetzlaff (r) und der Geiger Florian Donderer spielen in einer Bremer Grundschule.
    Die Cellistin Tanja Tetzlaff (r) und der Geiger Florian Donderer spielen in einer Bremer Grundschule. (dpa / picture alliance / Carmen Jaspersen)
    Karin Fischer: Die Cellistin Tanja Tetzlaff ist mit ihrem Instrument zwischen Berlin, Paris, Zürich, Cincinnati und Heimbach unterwegs, dort gibt es das Kammermusik-Festival "Spannungen", das der Deutschlandfunk mit ausrichtet und zu dessen Kernbesetzung sie gehört. Außerdem ist sie seit 1994 Mitglied des renommierten Tetzlaff Quartetts, in dem außer ihrem Bruder Christian auch noch Elisabeth Kufferath und Hanna Weinmeister spielen. Im Spannungsfeld zwischen internationalen Konzertreisen und der eigenen kleinen Musikerfamilie leben viele Musikerinnen und Musiker, weshalb man so häufig den Satz hört: "Die Musik ist ihre wahre Heimat." Tanja Tetzlaff habe ich gefragt, was sie unter Heimat versteht.
    Tanja Tetzlaff: Ja, das ist für mich eine sehr interessante Frage, weil ich eigentlich so aufgewachsen bin, dass alles, was mit Heimat oder Heimatliebe zu tun hatte, mir in so einem ganz seltsamen Licht erschienen ist. Ich hab mich immer gefragt, warum soll man sich eigentlich da wohler fühlen, wo man alles schon kennt, gehört dazu auch die Angst, woanders zu sein als da, wo man alles kennt. Ich war da sehr kritisch. Ich bin dann auch irgendwie mit 17 schon weggegangen aus Hamburg und nach Salzburg gezogen und hatte immer dieses so ein bisschen Getriebene, dass ich am liebsten … also länger als drei oder vier Tage zu Hause sein, das war nicht so meine Sache. Und das kam natürlich meinem Beruf auch irgendwie sehr gelegen, denn als Musiker und besonders als freischaffende Musikerin muss man eigentlich die ganze Zeit reisen, wenn man seinen Beruf ausübt. Das hat sich dann tatsächlich geändert, als ich wieder in den Norden zurückgegangen bin und jetzt in Bremen lebe. Was zum Beispiel Heimat für mich bedeutet, ist der norddeutsche Himmel, so blöd das klingt und so romantisch.
    "Wenn meine Kinder irgendwo auf mich warten, ist dort meine Heimat"
    Fischer: Gar nicht blöd.
    Tetzlaff: Es ist einfach, wenn ich die Wolken hier angucke, dann fühlt sich das sehr, sehr vertraut an, und es wäre ein Hauptgrund, hier nicht wegzugehen. Die andere Sache ist natürlich, dass ich das erste Mal in meinem Leben überhaupt Heimweh erfahren habe, als ich Kinder bekommen habe und jetzt jedes Mal, wenn ich länger als fünf, sechs Tage weg bin, mir wirklich das Herz blutet vor Sehnsucht nach Zuhause.
    Fischer: Sie haben jetzt schon zweimal Zuhause gesagt, Tanja Tetzlaff, Zuhause und Heimat ist tatsächlich ein Unterschied.
    Tetzlaff: Es ist ein Unterschied, denn ich finde, eine gewisse Heimat hängt auch damit zusammen, mit wem man sich, egal wo, besonders wohlfühlt. Also wenn meine Kinder jetzt irgendwo im Urlaub sind oder auf mich warten, ist dort meine Heimat. Wenn ich in Heimbach bin, ist es absolut meine Heimat, weil da sind geliebte Menschen, mit denen ich toll Musik machen kann und viel Spaß haben kann. Wenn ich zum Beispiel jetzt in Japan spiele, wo ich relativ oft bin und auch relativ bekannt oder angesehen, da könnte man ja denken, das wäre der prädestinierte Ort, um furchtbar Heimweh zu kriegen oder sich nicht zu Hause oder heimatlich zu fühlen, aber sobald ich da die Menschen treffe, die sich so wahnsinnig für meine Musik interessieren, und sobald ich da Schumann und Brahms und Mozart und Bach aufführe, ist das natürlich absolut meine musikalische Heimat. Das ist dann so ein bisschen wie bei Harry Potter die Zauberwelt, und die Leute, die sich nicht damit auskennen oder keinen Zugang zu klassischer Musik haben, das sind so ein bisschen die Muggles. Und das ist eigentlich egal, wo auf der Welt man sich befindet, das gibt es immer wieder.
    Fischer: Daran wollte ich gerade anknüpfen, Frau Tetzlaff, Sie sind unglaublich viel unterwegs, im September allein in Tokio, in Reykjavik, in Bremen und in Gateshead in England, Sie haben mit dem Cello auch nicht gerade ein kleines Instrument, sondern eher so was wie ein Möbelstück dabei, und Sie haben Hunderte von Konzertsälen schon gesehen mit dazugehörigen Künstlerinnen-Garderoben und den dazugehörigen Hotels. Jenseits der Musiksprache, was tun Sie, um diese Orte das jedes Mal zu den Ihren zu machen? Gibt es da die Teddybären der Kinder oder gibt es einfach Ihr Cello?
    Tetzlaff: Also, es gibt mein Cello und es gibt heutzutage natürlich Handys, wobei wir gemerkt haben, dass zum Beispiel, was viele Kollegen von mir machen, dass sie dann ständig mit zu Hause in Kontakt sind, skypen, mit den Kindern sprechen, das ist eigentlich bei uns nicht so in, weil ich merke, dass die Kinder dann das eigentlich nicht ganz verstehen – ich bin nicht da, aber ich bin doch irgendwie da –, die sollen lieber ihren eigenen Kram machen, wenn ich weg bin, und dann freut man sich, wenn man sich wiederhat. Ich versuche eigentlich eher, meine andere Seite auszuleben, wenn ich unterwegs bin. Ich genieße es wahnsinnig, neue Städte kennenzulernen, oder wie jetzt zum Beispiel, wenn ich jetzt wieder nach Reykjavik fahre, dieselben Restaurants wieder aufzusuchen wie letztes Mal, vielleicht ein bisschen mehr vom Land jetzt zu sehen. Ich würde jetzt nicht in der Zeit, wo ich unterwegs bin, mich an irgendwas festklammern, was ich zu Hause vermisse.
    Jede Musik löst Erinnerungen aus
    Fischer: Ich wollte noch mal kurz nachfragen nach Japan, weil ich das so ein interessantes Phänomen finde: Junge Musikerinnen und Musiker kommen von dort ganz häufig nach Deutschland, sind verrückt nach deutscher Musik überhaupt und stellen natürlich auch nicht geringen Teil der Leute in den Orchestern und in den Opernchören und so weiter heutzutage. Also der Musikmarkt ist international aufgestellt, die Konkurrenz ist auch heftig, trotzdem sagen Sie, wenn ich dort bin, ist das auch meine Heimat und wahrscheinlich umgekehrt.
    Tetzlaff: Ja, ich glaube, ganz, ganz stark gibt es eine riesige Verbundenheit zwischen gerade den japanischen Musikern und den europäischen Musikern oder speziell sogar deutschsprachigen Musikern. Es gibt tatsächlich kein anderes Land, wo ich hinkomme und fühle eine solche Hochachtung gegenüber unserer Musik und auch uns Musikern. Man spricht hinterher mit dem Publikum, und die Leute kennen sich viel besser aus als die meisten Deutschen in der europäischen Musik, und ich glaube, das macht, dass man sich wirklich so zu Hause und aufgehoben fühlt und jedes Mal wieder gerne hinfährt. Was ich liebe an den japanischen Musikern und dem Publikum, ist diese wahnsinnige Ernsthaftigkeit, dass man nicht spielt, um sich selber in den Vordergrund zu spielen, sondern einfach, ja, so als Diener der Musik im Grunde genommen oder der Kunst.
    Fischer: Dann lassen Sie uns zur Musik speziell kommen, Tanja Tetzlaff: Welche Musik spricht in Ihren Ohren von Heimat – wir kennen alle die etwas abgenudelte "Moldau" von Smetana, deren Töne ja auch sozusagen Bilder evozieren –, gibt es das?
    Tetzlaff: Das gibt es. Einerseits gibt es die Musik, mit der ich als Kind aufgewachsen bin in meinem Heimathaus sozusagen, das war ganz stark Bach, Kirchenmusik, alte Musik, dann aber auch Mozart oder Schütz-Motetten oder Ähnliches. Wenn ich schlecht drauf bin und ich lege zum Beispiel die Goldberg-Variationen von Bach auf, die CD, dann weiß ich, dass ich da irgendwie ein Aufgehobensein fühle, was ich sonst nicht so kenne vielleicht. Das andere ist, dass jede Musik bei mir Erinnerungen auslöst. Das kann auch eine Mahler-Sinfonie sein, die ich im Frühjahr im EG-Orchester gespielt habe, Jugendorchester der EG früher gespielt habe, es kann Musik sein, die mich besonders an Natur erinnert, es gibt einfach ganz unverhofft plötzlich Sachen, wo man denkt, oh, da wird irgendwas von ganz früher angerührt. Und das ist dann eigentlich so ein Heimatgefühl.
    Musiker haben eine besondere Verbindung
    Fischer: Über ein Konzert in Salzburg im Jahr 2015, wo Sie mit Ihrem Bruder an der Geige und mit Lars Vogt am Piano das Es-Dur-Trio von Schubert gegeben haben, schrieb ein Kritiker, die Geige keuchte und das Cello hätte sich vor Verzweiflung heiser geschrien. Das ist ja eine überaus bildhafte Beschreibung von Emotionen in der Musik. Wie erleben Sie diese Emotionen, wenn Sie sie spielen?
    Tetzlaff: Das kommt auch sehr auf die Stücke an. Also gerade mit diesen sehr, sehr vertrauten Schubert-Trios und in dieser Kombination mit den sehr, sehr vertrauten Mitspielern, nämlich meinem Bruder und meinem sehr, sehr guten Freund Lars Vogt, ist es tatsächlich so, dass wir uns sehr lösen von "Die Sache richtig machen" oder auf die Noten achten, ob wir sauber spielen, ob wir zusammenspielen. Da kommt dann schon so was, dass es pure Emotion ist. Und je nachdem, was man in seinem echten Leben, würde ich jetzt mal sagen, gerade erlebt an auch Schrecknissen oder Trauer, wird das sicherlich zu spüren sein, wenn wir solche Stücke spielen, da ist nichts aufgesetzt. Andererseits gibt es manchmal auch schrecklicherweise Konzerte, wo man dann nicht so emotional involviert ist und wo man natürlich wie ein guter Schauspieler das trotzdem abrufen kann. Vielleicht ist es sogar so, dass wenn man zu sehr involviert ist mit den Gefühlen, dass es dann auch nicht mehr so gut rüberkommt. Ein Schauspieler hat mal zu mir gesagt, in dem Moment, wo er selber weinen muss auf der Bühne, ist eigentlich die Aufführung schon kaputt.
    Fischer: Ist das ein Klischee, wenn man sagt, die Musik ist die Heimat aller Musiker, weil man da halt die gleiche Sprache spricht – oder ist das wirklich so?
    Tetzlaff: Es ist bestimmt ein Klischee, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen, alle Leute, die Musik machen, aber ich denke, wenn wir mit einer ähnlichen Art da rangehen, auf die Bühne zu gehen und uns mit den Stücken zu beschäftigen, dann ist es tatsächlich so, dass wir uns sehr ähnlich sind in der emotionalen Art, Mensch zu sein. Ich finde es immer ganz verblüffend, wenn ich zum Beispiel auf einer Party bin, ich werde mit den anderen Musikern mich sofort wohlfühlen.
    Fischer: Die Cellistin Tanja Tetzlaff über "Heimat".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.