Wer diesen Sender hört, hat ein Recht darauf, auf den neuesten Erkenntnisstand gebracht zu werden. Das ist die Aufgabe der Literaturkritik, und deshalb sei keine Sekunde gezögert, den Kollegen von der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und vom "Spiegel" zuvorzukommen und mich als Trüffelschwein, als eine Art Matthias Horx des Buchwesens zu betätigen.
Jedes Frühjahr und jeden Herbst geht es um die gleichen tiefsinnigen Fragen: Wohin bewegt sich die deutschsprachige Gegenwartsliteratur? Wie lässt sich deren schrecklich unüberschaubare Flut an Texten auf einen einfachen, leicht zu kapierenden Nenner bringen? Was ist der Trend? Worauf müssen wir uns einstellen?
Das Jahr 2008 - ich verrate dies hier exklusiv - ist literarisch gesehen nicht das Jahr der Wiedervereinigungs-, Liebes-, Familien- oder Schrebergartenromane. Wir erleben weder die lang erwarte Renaissance der politischen Literatur noch - trotz Christiane Neudeckers und Lukas Bärfuss' Burma- und Ruanda-Büchern - die Abkehr von provinzieller Nabelschau.
Nein, diese Büchersaison steht ganz im Zeichen der rapide steigenden Benzinpreise und der neu erwachten Furcht vor Immobilität. Die Literatur hat, schneller als gedacht, die Hand am Puls der Zeit und zeigt uns - das Schreckbild autofreier Sonntage vor Augen - schonungslos die Plätze, an denen sich die wahren Gegenwartsdramen abspielen: die Tankstellen.
Kaum haben wir Karen Duves "Taxi"-Heldin durch den Hamburger Großstadtdschungel begleitet und verstanden, warum der Fahrgast als natürlicher Feind des Taxichauffeurs zu gelten hat, da lesen wir in Ingo Schulzes "Adam und Evelyn", wie ein ostdeutscher Maßschneider und Nicht-Kostverächter mit seinem Wartburg-Oldtimer Tankstellen bis hin zum Plattensee abklappert und seine 20-Liter-Kanister füllt, um mit schicken Westautos konkurrieren zu können und den Herausforderungen des Augusts 1989 gewachsen zu sein.
Und mit wem haben wir es in Karl-Heinz Otts "Ob wir wollen oder nicht" zu tun? Natürlich, mit Richard, der auf eine Vergangenheit als Tankstellenpächter im Südschwarzwald zurückblickt und frustriert erleidet, wie sich sein einstiges Spritdorado in eine Zivilisationsruine verwandelt, und er - deswegen - in Untersuchungshaft gerät.
Damit nicht genug: Robert Seethalers "Die weiteren Aussichten" treibt den Trend auf die Spitze und platziert das recht komische Geschehen in eine Provinztanke, wo der 27-jährige Herbert Szevko zusammen mit seiner Mutter meist vergeblich nach Kunden Ausschau hält und die matt aussehenden Blumen am Straßenrand allmorgendlich gießt - ein Bild der Tristesse oder in den Worten des Romans:
"Das Tankstellengeschäft hat bessere Zeiten gesehen. Viel bessere. Die Leute tanken lieber in Polen. Oder in noch viel dubioseren Ländern. Oder sie saugen in nächtlicher Heimlichkeit dem Nachbarn mit dünnen Schläuchen das Benzin aus dem Mercedes."
Dass wenig später eine Frau in Herberts Leben tritt und er das Interesse verliert, Öl und Wischanlagenflüssigkeiten aufzufüllen, ändert nichts an der Bedeutung der Tankstelle als magischen Ort für Seethalers Roman.
So eigenartig sieht es aus in der deutschen Literatur. Fehlt nur noch, dass die Verlage beginnen, ihre Schutzumschläge mit Edward-Hopper-Bildern zu illustrieren, mit diesen einsamen Gestalten, die melancholisch auf Zapfsäulen starren, ohne zu merken, dass hier schon lange kein Super mehr fließt.
Vergessen Sie alle anderen Trends. An den Tankstellen zwischen Flensburg und Murnau leuchten im schmutzigen Neonlicht die die Zeichen der Zeit, egal, was "Der Spiegel" oder sonst wer demnächst schreibt.
Jedes Frühjahr und jeden Herbst geht es um die gleichen tiefsinnigen Fragen: Wohin bewegt sich die deutschsprachige Gegenwartsliteratur? Wie lässt sich deren schrecklich unüberschaubare Flut an Texten auf einen einfachen, leicht zu kapierenden Nenner bringen? Was ist der Trend? Worauf müssen wir uns einstellen?
Das Jahr 2008 - ich verrate dies hier exklusiv - ist literarisch gesehen nicht das Jahr der Wiedervereinigungs-, Liebes-, Familien- oder Schrebergartenromane. Wir erleben weder die lang erwarte Renaissance der politischen Literatur noch - trotz Christiane Neudeckers und Lukas Bärfuss' Burma- und Ruanda-Büchern - die Abkehr von provinzieller Nabelschau.
Nein, diese Büchersaison steht ganz im Zeichen der rapide steigenden Benzinpreise und der neu erwachten Furcht vor Immobilität. Die Literatur hat, schneller als gedacht, die Hand am Puls der Zeit und zeigt uns - das Schreckbild autofreier Sonntage vor Augen - schonungslos die Plätze, an denen sich die wahren Gegenwartsdramen abspielen: die Tankstellen.
Kaum haben wir Karen Duves "Taxi"-Heldin durch den Hamburger Großstadtdschungel begleitet und verstanden, warum der Fahrgast als natürlicher Feind des Taxichauffeurs zu gelten hat, da lesen wir in Ingo Schulzes "Adam und Evelyn", wie ein ostdeutscher Maßschneider und Nicht-Kostverächter mit seinem Wartburg-Oldtimer Tankstellen bis hin zum Plattensee abklappert und seine 20-Liter-Kanister füllt, um mit schicken Westautos konkurrieren zu können und den Herausforderungen des Augusts 1989 gewachsen zu sein.
Und mit wem haben wir es in Karl-Heinz Otts "Ob wir wollen oder nicht" zu tun? Natürlich, mit Richard, der auf eine Vergangenheit als Tankstellenpächter im Südschwarzwald zurückblickt und frustriert erleidet, wie sich sein einstiges Spritdorado in eine Zivilisationsruine verwandelt, und er - deswegen - in Untersuchungshaft gerät.
Damit nicht genug: Robert Seethalers "Die weiteren Aussichten" treibt den Trend auf die Spitze und platziert das recht komische Geschehen in eine Provinztanke, wo der 27-jährige Herbert Szevko zusammen mit seiner Mutter meist vergeblich nach Kunden Ausschau hält und die matt aussehenden Blumen am Straßenrand allmorgendlich gießt - ein Bild der Tristesse oder in den Worten des Romans:
"Das Tankstellengeschäft hat bessere Zeiten gesehen. Viel bessere. Die Leute tanken lieber in Polen. Oder in noch viel dubioseren Ländern. Oder sie saugen in nächtlicher Heimlichkeit dem Nachbarn mit dünnen Schläuchen das Benzin aus dem Mercedes."
Dass wenig später eine Frau in Herberts Leben tritt und er das Interesse verliert, Öl und Wischanlagenflüssigkeiten aufzufüllen, ändert nichts an der Bedeutung der Tankstelle als magischen Ort für Seethalers Roman.
So eigenartig sieht es aus in der deutschen Literatur. Fehlt nur noch, dass die Verlage beginnen, ihre Schutzumschläge mit Edward-Hopper-Bildern zu illustrieren, mit diesen einsamen Gestalten, die melancholisch auf Zapfsäulen starren, ohne zu merken, dass hier schon lange kein Super mehr fließt.
Vergessen Sie alle anderen Trends. An den Tankstellen zwischen Flensburg und Murnau leuchten im schmutzigen Neonlicht die die Zeichen der Zeit, egal, was "Der Spiegel" oder sonst wer demnächst schreibt.