Der Sonntags-Chor in Usa River im nördlichen Tansania. Die Schüler singen im sogenannten "Diakonischen Dorf" von Usa River. Das liegt am Fuße des Mount Meru, des zweithöchsten Berges des Landes. Bei gutem Wetter kann man von hier aus auch den berühmten Kilimandscharo sehen, der fast 6000 Meter hoch ist. Rund 150 Menschen wohnen und lernen hier zusammen, viele von ihnen sind körperlich behindert. Dass sie hier zur Schule gehen und eine Ausbildung, etwa zum Schneider oder Bäcker, machen können, ist in der tansanischen Gesellschaft nicht selbstverständlich. Noch vor Jahren wurden Behinderte in den Familien versteckt.
"Dass Behinderte nicht so gerecht behandelt werden, ist verwurzelt in unserer Tradition und Kultur. Behinderte wurden als Last und Schande für die Familie gesehen und nicht als Menschen mit Würde", sagt Fredrick Shoo, leitender Bischof der lutherischen Kirche Tansanias.
Kirche als "Augenöffner für die Regierung"
Shoo hat im fränkischen Neuendettelsau Theologie studiert. Und bis heute erhält seine Kirche Hilfe, auch aus der bayrischen Landeskirche. Dass es in vielen Teilen des Landes mittlerweile Schulen und Ausbildungsstätten für Behinderte gibt, habe viel mit dem Engagement der rund sechs Millionen Lutheraner im Land zu tun.
"Wir versuchen, auch die Regierung mit einzubeziehen. Manchmal funktioniert es, manchmal funktioniert es nicht. Die Arbeit mit den behinderten Menschen zum Beispiel. Es hat ewig gedauert, bis wir eine kleine Unterstützung von der Regierung bekommen haben, um die Schule für die behinderten Kinder zu unterstützen. In diesem Bereich muss die Kirche ein Augenöffner für die Regierung sein."
Tansania entwickle sich, sagt der Bischof, es gehe bergauf. Das Land ist im Smartphone-Zeitalter angekommen. In vielen Städten ist die Internet-Verbindung besser und erschwinglicher als in manchen Regionen Deutschlands. Außerdem können sich immer mehr Menschen Krankenversicherungen leisten. Und so kann der Onkologe Oliver Henke im lutherischen Krankenhaus Moshi eine moderne Chemotherapie anbieten. Bald wird es am Fuße des Kilimandscharo für Krebspatienten auch eine Strahlenbehandlung geben - mit Unterstützung von Bischof Shoo und des tansanischen Präsidenten John Magufuli. Oliver Henke sagt:
"Der Bischof Shoo, der hat das Ohr des Präsidenten und hat sich eingesetzt. Und der Präsident hat zumindest angekündigt, dass die Bunker, die man braucht für die Bestrahlungseinheit, dass die finanziert werden sollen."
Und auch bei der Krebs-Prophylaxe arbeiten Kirche und Staat zusammen, sagt der aus Berlin stammende Arzt.
"Wir haben den medizinischen Bereich dabei, wir haben die Kirche mit an Bord, die die Leute rekrutiert und da hinbringt, wir haben die Krankenversicherung dabei und den 'regional officer', was der regionale Vertreter des Gesundheitsministers ist."
Keine offenen Konflikte - aber auch keine offenen Debatten
Die Kirche unterstützt die Bemühungen der Regierung, das Land voranzubringen. Etwa mit dem Programm des "Lutherischen Radios". Es erreicht schätzungsweise acht der 50 Millionen Einwohner Tansanias. Martin Ahnert arbeitet hier seit fast 30 Jahren mit.
"Wir versuchen, möglichst viel Wortbeiträge zu haben, auch interaktive Programme: Zum Beispiel haben wir ein Verkehrserziehungsprogramm, da ist die Polizei bei uns. Da können dann die Leute anrufen und ihre Lage schildern. Damit versuchen wir, den Verkehr sicherer zu machen. Wir haben Programme zum Beispiel von der Steuerbehörde - die versucht, den Zuhörern zu erklären, dass jeder, der ein kleines Business hat, Steuern abführen muss. Nur so kann die Regierung dann weiter Straßen bauen. Oder sauberes Wasser. Und da müssen die Leute verstehen, dass man fürs Wasser Geld zahlen muss."
1961 wurde der Staat Tansania gegründet. Seitdem gibt es keine offenen Konflikte zwischen den rund 130 Ethnien, auch nicht zwischen Christen, 60 Prozent der Bevölkerung, und Muslimen, 40 Prozent. Die gemeinsame Sprache ist Kisuaheli. Bei allen Erfolgen ist Tansania aber alles andere als eine Demokratie im westlichen Sinne. Die sozialistisch geprägte Ein-Parteien-Regierung ist an politischen Auseinandersetzungen und Debatten nicht interessiert. Erst im September wurde ein schweres Attentat auf den Oppositionsführer verübt. Schon 1994 hatte sich die lutherische Kirche in ihrer sogenannten Bagamoyo-Deklaration gegen Missmanagement, Korruption und für mehr Meinungsfreiheit eingesetzt.
Missionare nach Deutschland schicken?
Bischof Fredrick Shoo: "Und jetzt wegen der neuen Verfassung haben wir uns auch geäußert. Jetzt auch gegen die Verletzung von Menschenrechten. Und manchmal erwartet auch die Bevölkerung und auch die Menschen, dass die Geistlichen, dass die Kirche sich äußert. Wir denken, es ist wichtig, dass die Kirche eine Aufgabe hat, in der Öffentlichkeit für Gerechtigkeit einzutreten, für Menschenrechte einzutreten. Und das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche."
Für die Zukunft kann sich Bischof Shoo aber auch noch ganz andere Aufgaben vorstellen:
"Vielleicht geht die Zahl der Kirchenmitglieder oder Christen in Deutschland und Europa zurück. Aber hier in Afrika wächst die Kirche. Und das sollte uns allen Freude und Hoffnung geben. Wer weiß, irgendwann werden diese Kinder auch als Missionare nach Deutschland und nach Europa kommen."