Die Angst geht um in den Waidgründen im Süden Tansanias. Bald soll es wieder zu Vertreibungen kommen. Die Ureinwohner vom Volk der Barabaig und der Massai haben es schon erlebt. Mindestens 5.000 von ihnen mussten ihr Land bisher verlassen. Es kam zu Menschenrechtsverletzungen und Landkonflikten mit der Regierung.
"In Tansania ist es, als würden wir nicht existieren, als wäre es nicht unser Land", klagt der 60-jährige Rinderhirte Salumu Kundaya Kidomwita. "Sie haben uns erzählt, dass wir hier kein Land haben, selbst wenn wir uns verweigern. Wir mussten also wegziehen – egal, ob wir das akzeptierten. Wie bösartig ist das bitte?”. Jetzt fürchtet der Ureinwohner, dass er bald für ein Mammutprojekt erneut weichen muss. In einem Gebiet so groß wie Italien sollen Agrarinvestitionen unter anderem von Nestlé, Unilever und Bayer das Land in eine riesige Produktionsfläche verwandeln.
Die Weltbank fördert das Projekt der tansanischen Regierung mit einem Kredit über 70 Millionen Dollar. Den Ureinwohnern bereitet das große Sorge, denn die Entwicklungsbank hat bei der Kreditvergabe ihren Standard zum besonderen Schutz von Indigenen ausgesetzt. Die tansanische Regierung wollte das so. Sie begründet das mit der Verfassung. Die garantiere allen Einwohnern die gleichen Rechte, zusätzlicher Schutz sei nicht nötig.
Ungeheuerlich findet das Edward Loure. "Tansania hat schon verschiedene internationale Verträge unterschrieben, die die Rechte von Indigenen hier im Land schützen. Es akzeptierte also die Rechte von Indigenen, als sie Geld wollten", wettert der tansanische Menschenrechtler, "aber wenn es - wie hier - um Bauern und Landwirtschaft geht, dann ist ihm das egal."
Tansanias Regierung will im fruchtbarsten Drittel des Landes mit dem auf 20 Jahre angelegten Großprojekt SAGCOT ausländische Investitionen für die Landwirtschaft fördern und damit die Armut bekämpfen. Schon vor Projektbeginn wurden nach Berichten lokaler Hirten und Menschenrechtsorganisationen aber mindestens 5.000 Ureinwohner vertrieben oder ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Bei Aktionen auch staatlicher tansanischer Kräfte sei es außerdem zu Todesfällen, Vergewaltigungen und anderen Menschenrechtsverletzungen gekommen. Die Landkonflikte wurden in den vergangenen Jahren durch Studien des katholischen Hilfswerks Misereor und der Indigenen-Organisation IWGIA sowie durch ein Gutachten der tansanischen Regierung dokumentiert.
Das Bundesentwicklungsministerium erklärte auf Anfrage von NDR, WDR und SZ, ihr seien Berichte von Vertreibungen nicht bekannt. Die tansanische Regierung habe zugesichert, Landrechte nicht zu beeinträchtigen und gefährdete Gruppen zu schützen. Die deutsche Vertreterin im Weltbankdirektorium stimmte deshalb nach Angaben eines Ministeriumssprechers bei der Bewilligung eines 70-Millionen-Dollar-Kredits im März für die Aussetzung der Schutzregeln, obwohl die Bundesregierung grundsätzlich gegen solche Ausnahmen sei.
Standards nur auf dem Papier?
Die US-Regierung dagegen enthielt sich der Stimme und nannte es "nicht überzeugend", dass die Weltbank der Argumentation Tansanias folgte und damit einen "bedauerlichen Präzedenzfall" schaffe.
Oxfam spricht von einer "Ausnahmeregelung durch die Hintertür", die deutsche Menschenrechtsorganisation Urgewald von einer "bedenklichen" Entscheidung. "Das scheint ein Weg zu werden, wie man zwar auf dem Papier diese Standards beibehält, aber sie immer, wenn es opportun erscheint, einfach außer Kraft setzt, sobald sich irgendein Staat gegen die Anwendung wehrt", sagte der Urgewald-Weltbankexperte Knud Vöcking und warf der Bundesregierung Doppelzüngigkeit vor, wenn sie betone, wie wichtig ihr der Schutz von Ureinwohnern sei.
Oxfam spricht von einer "Ausnahmeregelung durch die Hintertür", die deutsche Menschenrechtsorganisation Urgewald von einer "bedenklichen" Entscheidung. "Das scheint ein Weg zu werden, wie man zwar auf dem Papier diese Standards beibehält, aber sie immer, wenn es opportun erscheint, einfach außer Kraft setzt, sobald sich irgendein Staat gegen die Anwendung wehrt", sagte der Urgewald-Weltbankexperte Knud Vöcking und warf der Bundesregierung Doppelzüngigkeit vor, wenn sie betone, wie wichtig ihr der Schutz von Ureinwohnern sei.
Für "völlig unglaubwürdig" hält der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat die Auskunft der Bundesregierung, sie wisse nichts von Vertreibungen im Umfeld des Projekts. "Die Bundesregierung hält nur Sonntagsreden", meint der Entwicklungspolitiker, "sie ändert nichts und sie ist sozusagen Teil des Problems bei der Weltbank und nicht Teil der Lösung."
Weltbank-Präsident Kim hatte als Reaktion auf Recherchen des ICIJ in Zusammenarbeit mit NDR, WDR und SZ im Frühjahr 2015 Fehler eingeräumt und Reformen angekündigt. Durch Entwicklungsprojekte der Bank waren laut der Auswertung offizieller Dokumente etwa 3,4 Millionen Menschen innerhalb von zehn Jahren umgesiedelt worden oder hatten ihre Lebensgrundlage verloren. Die Weltbank ist die größte Entwicklungsinstitution weltweit. Vergangenes Jahr vergab die UN-Sonderorganisation Kredite in Höhe von über 60 Milliarden Dollar.
Im Sommer sollen neue Umwelt- und Sozialstandards der Weltbank vorgelegt werden. Die Regel zum besonderen Schutz indigener Gruppen ist im letzten Entwurf noch enthalten.