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Tanzfestival in Israel
Persiflagen aus grober Hand

Israel hat eine aufblühende Tanzszene. Beim "International Dance Exposure Tel Aviv" gab es Stücke voller Anspielungen und Ironie, aber auch reinen, schnörkellosen Ausdruckstanz. Die Geschichte des Volkes Israel spielt in der heimischen Tanzkunst eine wichtige Rolle.

Von Christian Gampert |
    Wenn israelische Frauen ein Stück über die Emanzipation tanzen, dann spielen sie zuallererst einmal arabische Musik. Denn die islamischen Schwestern müssen zumindest im Geiste mit ins Boot geholt werden. Die Tänzerinnen haben lange Gewänder an, von denen der untere Teil aber sehr durchsichtig ist. Frauen, die sich in Nischen, Bänken, Mauerecken zunächst verstecken und dann freitanzen. Danielle Agami hat das mit den Mädchen des "Batsheva Ensemble" choreografiert, das ist die Nachwuchs-Truppe der großen Batsheva Dance Company. Eine sehr schöne, vorsichtige und doch selbstbewusste Arbeit, auch politisch voll des guten Willens.
    Diese Bereitschaft, sich immer wieder neu zu erfinden, ist in Israel ungeheuer groß. Im letzten Jahr reiste die "International Dance Exposure" nach Mitzpe Ramon, in die Wüste, um dort ein Tanzprojekt zu besichtigen; in diesem Jahr hat die "Choreographers Association" im Hafen von Jaffa einen alten Schiffs-Hangar aufgetan, aus dem nun eine weiträumige Tanzbühne geworden ist. Was dort geboten wird, ist so vielfältig, dass man fast keinen gemeinsamen Nenner für den israelischen Tanz mehr findet - bis auf ein untergründiges, vielleicht auch angstvolles Missbehagen an der Gegenwart. Idan Cohen vergrub sich in die Einsamkeit von Mahlers "Liedern eines fahrenden Gesellen", Ronit Ziv arbeitete sich an Aischylos ab und inszenierte eine strenge, verdoppelte Seherin Kassandra.
    Es gab rüde Conceptual Art mit 20 Minuten Hyperventilation auf der Bühne, aber auch psychoanalytisch vertanzte Mutter-Kind-Forschung. Die Maria-Kong-Company enterte einen Nachtklub und dröhnte uns mit Rockmusik zu, andere erkundeten die Ästhetik des unbekleideten Körpers auf der Bühne, wobei es weniger um Erotik als um Wahrhaftigkeit ging. Wieder andere zeigten bodenverhafteten, feministisch orientierten Bauchtanz für Mutter Erde.
    Was ist los in Israel? Große Gefechtspause, große künstlerische Freiheit. Die wird vor allem vom "Suzanne Dellal Center" garantiert, dem Zentrum aller Tanzzentren, das dieses wunderbare Festival beherbergt; die dort Verantwortlichen wissen genau, dass die Choreografen bisweilen komplizierte Wege gehen, auf denen man sie stützen muss - das Einzige, was man von ihnen verlangt, ist technische Seriosität. Aber der israelische Tanz reagiert verwirrt auf die Möglichkeit, sich endlich mit sich selbst zu beschäftigen. Bisweilen ist er erstaunlich sexy - auch die mitunter ins Tragische abdriftenden Beziehungsanalysen junger Choreografen wie Michael Getman, Idan Sharabi oder Dafi Altabeb, egal ob es sich um Zweier- oder Dreierbeziehungen handelt, egal ob homo- oder heterosexuell.
    Die im Lande gebliebenen suchen nach neuen Pfaden
    Aber es zeigen sich auch Ungleichzeitigkeiten: Während man in Europa einen Choreografen wie Hofesh Shechter zum Propheten einer neuen, dynamischen, brutalen Körperlichkeit macht, weiß man in Israel genau, dass Shechter trotz seiner Jugend im Grunde etwas Altes repräsentiert - den Stand der israelischen Szene vor 10 Jahren, als man voller Selbstanklage immer wieder die auch psychische Militarisierung der Gesellschaft auf die Bühne brachte. Immerhin ehrte seine alte Kompanie, das Batsheva Ensemble, den jetzt in London lebenden Shechter, indem es eine seiner ersten Choreografien tanzte: "Uprising", "Aufstand" heißt sie, aber im Grunde ist es der alte Kampf aller gegen alle, der da aufgeführt wird, eine Mischung aus heiligem Ritual und aggressiver, energetischer Wollust.
    Die im Lande Gebliebenen suchen neue Pfade: Rami Be’er von der Kibbutz Contemporary Dance Company hat noch einmal sein Konzept verändert. Er ist lockerer, leichter geworden. Keine militärische Phalanx mehr, sondern fein durcheinandergewirbelte Individuen, Paare und Gruppen. Im Grunde vollzieht Be’er da Teile seiner eigenen Biografie nach, von der ersten Liebe bis zum verhassten Militärdienst, vom Leben in der Kibbutzgemeinschaft bis zur Sehnsucht nach Alleinsein und Geborgenheit.
    Auch Yasmeen Godder, die schon immer eigene Wege ging, leistet sich eine Reflexion über das Älterwerden: drei Frauen, Anfang 20, Anfang 30, Anfang 40, probieren verschiedene Rollen der Weiblichkeit und bisweilen auch des Exzentrischen. Als man die Aufführung letztes Jahr im Studio, im Probierstadium sah, war sie allerdings viel frischer als in der jetzigen ausgewalzten Version.
    Schlussendlich aber obsiegte doch die Politik: Hillel Kogan erzählte die Geschichte Palästinas und Israels anhand von Igor Stravinskys "Sacre du Printemps“, eine bissige Persiflage auf die offizielle Geschichtsschreibung. Kogan ist ein großer Tänzer, der wie ein Vogel oder wie der erste Mensch sich zu dehnen beginnt und dann plötzlich israelische Fähnchen in der Hand hält, ein Brautkleid und US-Ketchup-Flaschen, mit deren Inhalt er sich blutig zu beschmieren beginnt. Trotz solcher plakativer Teile hält Kogan meist eine feine Balance zwischen Ernst und Ironie und oft auch minimalistischer Bewegungs-Technik. Und wenn er unter dem Titel "We love Arabs" sowohl den Berufsstand des Choreografen als auch das israelisch-palästinensische Verhältnis parodiert, ist auch das ein wenig grob, dramaturgisch und tänzerisch aber eine der besten Aufführungen des Festivals.