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Tanzmanagerin über Corona-Hilfen
"Den gemeinsamen Langstreckentanz durchstehen"

Die Tanzszene sei dankbar für die Finanzhilfen der Bundesregierung, sagte Tanzmanagerin Madeline Ritter im Dlf. Doch decke das Geld bei Weitem nicht den Bedarf. Es sei nun wichtig, Arbeitsgrundlagen wie etwa gemeinsame Proberäume zu sichern. Sie hoffe auf die enorme Resilienz und Kreativität der Tänzer.

Madeline Ritter im Gespräch mit Dina Netz |
Drei Tänzerinnen mit Trainer an der Stange, der Trainer trägt einen Mundschutz.
Tanz ohne Berührung ist nur schwer denkbar, die Szene leidet daher besonders unter der Corona-Pandemie (picture alliance/Dylan Meiffret/MAXPPP/dpa)
Theater, Museen und Literaturhäuser werden Kultureinrichtungen der Unterhaltung zugerechnet und müssen daher im derzeitigen "Lockdown light" geschlossen bleiben - bei den aktuellen Corona-Infektionszahlen vermutlich länger als bis Ende November. Es wird darüber debattiert, ob Kulturbetriebe mit ihren Hygienekonzepten nicht doch ausreichend vorgesorgt haben für die Sicherheit ihres Publikums. Und ob Kultur nicht doch eher Bildung ist als Unterhaltung und daher auch in Pandemiezeiten gebraucht wird. Madeline Ritter, Leiterin des Förderprogramms "Tanzpakt Reconnect" im Rahmen des Programms "Neustart Kultur" und Direktorin des freien Ensembles "Dance On", spricht im Dlf darüber, wie die derzeitige Schließung der Bühnen besonders viele freie Tänzer und Choreografinnen ohne festes Anstellungsverhältnis trifft.
20.02.2020, Berlin: 70. Berlinale, Eröffnungsgala: Monika Grütters (CDU), Staatsministerin für Kultur und Medien, spricht bei der feierlichen Eröffnung der Internationalen Filmfestspiele.
Kulturstaatsministerin Grütters: "Kultur darf nicht zum Opfer der Krise werden"
Sie mache sich Sorgen, dass in der Krise die Künstler und Kreativen verloren gehen könnten, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Dlf. Sie seien das kritische Korrektiv der Gesellschaft, das nun dringend gebraucht werde.
Madeline Ritter: Ja, das ist massiv, wirklich. Man muss sich das ja auch so vorstellen, die Tänzer sind ja Nomaden, das heißt, die treten in ganz Europa, in der ganzen Welt auf – und allein dann, um zu einem Probenplatz zu kommen, wo man sich trifft, wenn man aus Belgien, Niederlande, Norwegen kommt und überall in Europa sind andere Quarantäneregeln.
Wir haben das zum Beispiel gerade jetzt: Eine unserer Tänzerinnen, die in Berlin noch proben dürfte. Zwar wurde die Premiere abgesagt - die Theater sind ja geschlossen. Die wollte nur nach vier Wochen Proben einmal drei Tage nach Hause, nach Amsterdam zu ihren kleinen Kindern. Und die müssen wir jetzt als Berufspendlerin deklarieren, damit sie ohne Quarantänezeit, aber natürlich mit einem aktuellen COVID-Test dann wieder die Proben bei uns aufnehmen kann. Das ist extrem kompliziert. Und natürlich ganz viele Aufführungen und damit auch die Existenzgrundlage für die Tänzer, die ja damit ihr Geld verdienen, ist vernichtet worden damit.
Tänzer auf der Bühne des Hamburg Balletts bei der Hauptprobe, in blaues Licht getaucht.
Getanzte Pandemie-Erfahrung John Neumeiers "Ghost Light" entstand nicht nur unter Coronabedingungen, es macht das Leben mit der Pandemie zum Thema. Der Choreograf kann der Krise aber auch Gutes abgewinnen: Sie habe mehr Spontanität ins Opernhaus gebracht.
Neun Milliarden für die Lufthansa, eine Milliarde für die Kultur
Dina Netz: Viele Theater proben ja eifrig weiter und haben fest vor, ihre Aufführungen trotzdem anzubieten, dann per Video. Geht das beim Tanz auch?
Ritter: Ja, das machen wir auch, aber natürlich ist das beim Tanz gerade – weil ich meine, wer immer mal in einer Tanzvorstellung gesessen hat - das überträgt sich ja direkt, auch die Gefühle und wie die Menschen miteinander umgehen. Man sitzt da gemeinsam eigentlich in einem bewegten Raum, und das lässt sich natürlich über Video nicht übertragen, denn es wird ja nicht gesprochen, sodass man hauptsächlich zuhört, sondern das ist eine sehr emotionale Kunstform.
Hunderte Personen haben sich am Königsplatz zu einer Demonstration versammelt. Unter dem Motto «Aufstehen für die Kultur» erinnern Künstler an die schwierigen Lebenssituationen, die aus der Coronakrise für viele Kulturschaffende entstanden sind.
Kulturschaffende fordern mehr Hilfe in der Coronakrise
Keine Finanzhilfen, keine Anlaufstellen, keine Unterstützung. Die Münchener Kulturschaffenden fühlen sich von der Politik allein gelassen. Achthundert gingen heute auf die Straße. "Aufstehen für Kultur!" forderten sie.
Netz: Mal abgesehen davon, dass die wenigsten für diese Videostreams dann Einnahmen erzielen, indem sie Eintrittsgelder nehmen. Jetzt gibt es ja zahlreiche Hilfsfonds für selbstständige Künstlerinnen und Künstler, aber deren Wirksamkeit wird auch immer wieder angezweifelt. Was können Tänzerinnen, Choreografinnen für Hilfen beantragen und wie wirksam sind die?
Ritter: Na ja, wir haben jetzt für den Tanzbereich zusammen mit Kollegen ein sogenanntes koordiniertes, das heißt aufeinander abgestimmtes Programm mit Höhe von insgesamt 20 Millionen Euro von diesem Kulturförderpaket von einer Milliarde ausgereicht, und da können sowohl Einzelkünstler ganz direkt für sich ein Solostipendium beantragen, aber auch ganze Kompanien, die sagen, wir müssen durchs nächste Jahr kommen, wir wissen ja gar nicht, wann wir wieder anfangen können, um dann ihre Tänzer, aber auch ihre Techniker und vor allen Dingen auch ihre Probenraummiete zu bezahlen.
Das ist jetzt unser eigenes Förderprogramm, "Tanzpakt Reconnect", aber man muss auch wissen, wir konnten 5,5 Millionen für dieses spezielle Programm ausweisen und 20 Millionen waren von der Antragslage her gebraucht. Das heißt, alle Förderprogramme, also diese gesamte Milliarde auch, die Frau Grütters zur Verfügung gestellt hat, ist weit überzeichnet. Der Bedarf ist viel, viel größer.
Vielleicht, wenn man sich das einmal vorstellt, im Mai gab es doch diese neun Milliarden für die Rettung der Lufthansa und eine Milliarde haben wir für die gesamte Kunst – das ist ein Unternehmen, und hier sprechen wir wirklich von allen Sparten. Da bleibt am Ende für das, was gebraucht wird, nicht so viel übrig, aber es viel, viel mehr auch, als wir es vielleicht in anderen europäischen Ländern haben. Also wir meckern nicht, wir sind da auch sehr dankbar.
Hoffnung auf Unternehmerlohn für die freie Kulturszene
Wer keine Betriebskosten hat, geht bei den Corona-Hilfen bisher leer aus. Eine Erfahrung, die viele freie Künstlerinnen und Künstler machen mussten. Ein Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums gibt Hoffnung und könnte diesen Solo-Selbständigen einen Unternehmerlohn ermöglichen.
Tänzer brauchen Platz zum Proben
Netz: Und wenn, auf hohem Niveau. Frau Ritter, nun haben Sie gerade selber schon gesagt, das Programm "Tanzpakt Reconnect", an dem Sie beteiligt sind, da geht es um ein Stipendium. Was sind denn überhaupt sinnvolle Formen der Förderung von Tänzerinnen und Tänzern, was geht vielleicht über reine Arbeitslosenhilfe hinaus?
Ritter: Na ja, ganz wichtig ist zum Beispiel, den Arbeitsraum zu sichern, in dem man gemeinsam tanzt. Man hat das vielleicht gesehen, es gab im ersten Lockdown so ein Video von der französischen Oper, da hat man dann lauter einzelne Tänzer, die zu Hause trainieren und sich dann an der Waschmaschine oder sonst wo festhalten, um ihre Übungen zu machen. Aber ich stehe gerade hier in einem Raum, und wenn ich mir vorstelle, Tanz ist ja wirklich Bewegung im Raum, nach drei Sprüngen lande ich im Bücherregal.
Das heißt, ich brauche wirklich diesen gemeinsamen Raum, und dafür fallen Mieten an. Zum Beispiel das, aber auch natürlich Regeln, die wir ja auch erarbeitet haben, wie man das sicher machen kann, denn wir werden ja noch etwas länger damit beschäftigt sein, jetzt nicht nur im November. Insofern ist die Sicherung der Arbeitsgrundlagen sowohl das eigene Honorar, aber auch das Miteinander-tanzen-Können ist ganz wichtig.
Netz: Was denken Sie, wie lange hält die Tanzszene eine Schließung der Bühnen durch, ohne nachhaltigen Schaden zu nehmen?
Ritter: Uiuiui, da stellen Sie eine gute Frage. Es ist ja auf unterschiedlichen Ebenen. Wir haben das gerade gemerkt mit dem Dance-on-Ensemble, im März, als der erste Lockdown war, standen wir zehn Tage vor der Premiere mit einer großen Produktion. Jetzt standen wir wieder vor der gleichen Premiere, zehn Tage vorher, und jetzt ist die wieder abgesagt, die sollte im Dezember stattfinden in Belgien. Also wie oft man das machen kann und auch die Tänzer noch bei der Stange zu halten, weil sie ja immer wieder sich zur Verfügung stellen, das ist wirklich eine gute Frage. Auf der anderen Seite, sind gerade die Tänzer, weil die immer auf sich selber angewiesen sind, das ist eine Kunst des eigenen Körpers, die haben eine enorme Resilienz und auch eine enorme Kreativität, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Insofern bin ich da ganz hoffnungsvoll, dass wir diesen gemeinsamen Langstreckenlauf oder Langstreckentanz auch durchstehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.