Christoph Schmitz: 1913 ist ein besonderes Jahr. Es ist das letzte Jahr der Unschuld. Es ist der Vorabend der europäischen Katastrophe. 1914 beginnt der große Krieg, der eine große Weltkrieg bis 1945. 1913 läutete auch in vielen anderen Bereichen des Lebens, der Kunst, auch des Tanzes, des klassischen Balletts eine Epochenwende ein. 1913 wurde Igor Strawinskis wildes, hochexpressives, erotisch aufgeladenes Ballett "Le Sacre du Printemps" uraufgeführt. Das avantgardistische Stück war ein Bruch mit der Tradition. Die hatte genau 200 Jahre lang gewährt. Der tanzbegeisterte französische König Ludwig XIV. hatte kurz vor seinem Tod die École de Danse an der Pariser Oper gegründet und damit den Grundstein zu einer der traditionsreichsten Ausbildungsstätten für Tänzer gelegt. Das Deutsche Tanzarchiv in Köln zeigt diese Epoche nun in einer Ausstellung. "Die Verzauberung der Welt. Die Klassik des Tanzes von 1713 bis 1913" heißt die Schau, kuratiert von Thomas Thorausch. Ihn habe ich gefragt: Hatte der Sonnenkönig nicht schon früher, nämlich 1661, die Académie Royal de Danse gegründet, war das etwas Anderes als die École de Danse von 1713?
Thomas Thorausch: Ja. Ludwig XIV. war ja ein begeisterter Tänzer und er war einfach unzufrieden mit der Art, wie am Hof getanzt wurde. Er hat erst versucht, das mit dieser Akademie zu beheben, indem er 13 renommierte Tanzmeister berufen hat …
Schmitz: Das waren die höfischen Tänzer, oder das waren schon professionelle berufliche Tänzer, die für den Hof getanzt haben?
Thorausch: Das war beides. Und später hat er einfach gemerkt, dass das nicht genügt, diese 13 Tanzmeister, und er hat dann, zusammen mit Jean-Baptiste Lully, die Überlegung angestellt, dass es doch sinnvoller ist, eine professionelle Schule zu gründen, und so ist es kurz vor seinem Tode zur Gründung der Schule an der Pariser Oper gekommen, der Ballettschule, die bis heute existiert.
Schmitz: Das war dann 1713. – Welche Entwicklung des Tanzes, des klassischen Balletttanzes zeichnen Sie denn in der Ausstellung nach? Welche Schritte gab es?
Thorausch: Was wir gemerkt haben, Klaus-Jürgen Sembach und ich, in der Recherche ist, dass diese bestimmenden Personen, Könige, Reformer, Ballettmeister, Choreografen, dass die eigentlich unserer Zeit ungeheuer nahe sind, denn die haben alle eine Vision vom Tanz, die sie ganz unterschiedlich umsetzen: in ganz unterschiedliche Dramaturgien, in ganz unterschiedliche Körperkonzepte. Das Ganze mündet natürlich schließlich im klassischen Ballett, in den Ballerinenkult des 19. Jahrhunderts, und natürlich lassen wir bei der Ausstellung auch die soziale Frage nicht ganz außen vor, denn das Wort Ballettratte kommt ja nicht von ungefähr in unseren Sprachgebrauch. Das bezeichnet natürlich nicht nur das Trippeln der Schülerinnen der Ballettschule der Pariser Oper über die Theaterflure, sondern wirft ein Schlaglicht auf die soziale Lage der Tänzer und Tänzerinnen gerade auch im 19. Jahrhundert.
Schmitz: Dann werden wir doch konkreter. 100 Exponate zur Entwicklung des klassischen Balletts zwischen 1713 und 1913 zeigen Sie. Welche besonderen Objekte haben Sie denn, also wirklich die besonderen Objekte, und was wollen Sie mit denen anschaulich machen, vielleicht an ein, zwei Beispielen?
Thorausch: Wir haben uns ja wieder bedient an dem reichen Fundus des Deutschen Tanzarchivs Köln und wir sind diesmal vor allem in der grafischen Sammlung fündig geworden. Wir haben historische Abbildungen von Tanzmeistern aus dem 17. und 18. Jahrhundert bis wie gesagt zu faszinierenden Grafiken, Porträts von Tänzerinnen und Ballerinen aus dem 19. Jahrhundert. Was wir damit anschaulich machen wollen? Ich glaube, gerade bei einer Tanzausstellung muss man sich auf das Feld der Imagination begeben. Die Zeugnisse sind ja im Grunde auch idealisierende Bilder vom Tanz. Wir haben also versucht, auf der einen Seite den historischen Weg zu verfolgen, zu belegen mit diesen Exponaten, zugleich aber ein bisschen auch immer eine kritische Konnotation vorzunehmen zu diesen manchmal eben auch idealisierenden Zeugnissen der Tanzkunst.
Schmitz: Sie haben den Ausstellungsraum des Tanzmuseums für diese Schau komplett neu gestaltet.
Thorausch: Ja.
Schmitz: Und Sie sprechen von theatralen Inszenierungen. Was genau machen Sie?
Thorausch: Wir haben an den Schluss der Ausstellung eine "danse(use) mécanique" gestellt. Das ist eine Installation: auf dem Boden ein überdimensionales schwarzes Tutu, das ganze wird umrahmt von schwarzen, leer gewischten Lehrtafeln und von der Decke hängen Stahlseile, die sich auf wundersame Weise mit diesem Tutu verbinden lassen, und in der Mitte sehen Sie eine Tänzerin in einer Videoinstallation, deren Bild von Sprüngen, grazilen Bewegungen abgelöst wird durch ein offenes schlagendes Herz. Das nimmt Bezug auf die Literatur der Romantik, wie zum Beispiel den Literaten E. T. A. Hoffmann, der ja wie kein anderer zum einen die Nachtseiten des menschlichen Fortschritts vorgenommen hat und dem gegenübergestellt hat, einen entfesselten Automatenmenschen, und ich glaube, nicht ohne Hintergedanken hat er dabei Rekurs genommen auf die Figur der Tänzerin, die jetzt gerade durch diese Körperbeherrschung, diese fast schon unmenschliche Körperdisziplinierung ihm als Gegenbild eines entfesselten Automaten vorkam.
Schmitz: Thomas Thorausch über die Ausstellung "Die Verzauberung der Welt" im Tanzmuseum Köln.
Thomas Thorausch: Ja. Ludwig XIV. war ja ein begeisterter Tänzer und er war einfach unzufrieden mit der Art, wie am Hof getanzt wurde. Er hat erst versucht, das mit dieser Akademie zu beheben, indem er 13 renommierte Tanzmeister berufen hat …
Schmitz: Das waren die höfischen Tänzer, oder das waren schon professionelle berufliche Tänzer, die für den Hof getanzt haben?
Thorausch: Das war beides. Und später hat er einfach gemerkt, dass das nicht genügt, diese 13 Tanzmeister, und er hat dann, zusammen mit Jean-Baptiste Lully, die Überlegung angestellt, dass es doch sinnvoller ist, eine professionelle Schule zu gründen, und so ist es kurz vor seinem Tode zur Gründung der Schule an der Pariser Oper gekommen, der Ballettschule, die bis heute existiert.
Schmitz: Das war dann 1713. – Welche Entwicklung des Tanzes, des klassischen Balletttanzes zeichnen Sie denn in der Ausstellung nach? Welche Schritte gab es?
Thorausch: Was wir gemerkt haben, Klaus-Jürgen Sembach und ich, in der Recherche ist, dass diese bestimmenden Personen, Könige, Reformer, Ballettmeister, Choreografen, dass die eigentlich unserer Zeit ungeheuer nahe sind, denn die haben alle eine Vision vom Tanz, die sie ganz unterschiedlich umsetzen: in ganz unterschiedliche Dramaturgien, in ganz unterschiedliche Körperkonzepte. Das Ganze mündet natürlich schließlich im klassischen Ballett, in den Ballerinenkult des 19. Jahrhunderts, und natürlich lassen wir bei der Ausstellung auch die soziale Frage nicht ganz außen vor, denn das Wort Ballettratte kommt ja nicht von ungefähr in unseren Sprachgebrauch. Das bezeichnet natürlich nicht nur das Trippeln der Schülerinnen der Ballettschule der Pariser Oper über die Theaterflure, sondern wirft ein Schlaglicht auf die soziale Lage der Tänzer und Tänzerinnen gerade auch im 19. Jahrhundert.
Schmitz: Dann werden wir doch konkreter. 100 Exponate zur Entwicklung des klassischen Balletts zwischen 1713 und 1913 zeigen Sie. Welche besonderen Objekte haben Sie denn, also wirklich die besonderen Objekte, und was wollen Sie mit denen anschaulich machen, vielleicht an ein, zwei Beispielen?
Thorausch: Wir haben uns ja wieder bedient an dem reichen Fundus des Deutschen Tanzarchivs Köln und wir sind diesmal vor allem in der grafischen Sammlung fündig geworden. Wir haben historische Abbildungen von Tanzmeistern aus dem 17. und 18. Jahrhundert bis wie gesagt zu faszinierenden Grafiken, Porträts von Tänzerinnen und Ballerinen aus dem 19. Jahrhundert. Was wir damit anschaulich machen wollen? Ich glaube, gerade bei einer Tanzausstellung muss man sich auf das Feld der Imagination begeben. Die Zeugnisse sind ja im Grunde auch idealisierende Bilder vom Tanz. Wir haben also versucht, auf der einen Seite den historischen Weg zu verfolgen, zu belegen mit diesen Exponaten, zugleich aber ein bisschen auch immer eine kritische Konnotation vorzunehmen zu diesen manchmal eben auch idealisierenden Zeugnissen der Tanzkunst.
Schmitz: Sie haben den Ausstellungsraum des Tanzmuseums für diese Schau komplett neu gestaltet.
Thorausch: Ja.
Schmitz: Und Sie sprechen von theatralen Inszenierungen. Was genau machen Sie?
Thorausch: Wir haben an den Schluss der Ausstellung eine "danse(use) mécanique" gestellt. Das ist eine Installation: auf dem Boden ein überdimensionales schwarzes Tutu, das ganze wird umrahmt von schwarzen, leer gewischten Lehrtafeln und von der Decke hängen Stahlseile, die sich auf wundersame Weise mit diesem Tutu verbinden lassen, und in der Mitte sehen Sie eine Tänzerin in einer Videoinstallation, deren Bild von Sprüngen, grazilen Bewegungen abgelöst wird durch ein offenes schlagendes Herz. Das nimmt Bezug auf die Literatur der Romantik, wie zum Beispiel den Literaten E. T. A. Hoffmann, der ja wie kein anderer zum einen die Nachtseiten des menschlichen Fortschritts vorgenommen hat und dem gegenübergestellt hat, einen entfesselten Automatenmenschen, und ich glaube, nicht ohne Hintergedanken hat er dabei Rekurs genommen auf die Figur der Tänzerin, die jetzt gerade durch diese Körperbeherrschung, diese fast schon unmenschliche Körperdisziplinierung ihm als Gegenbild eines entfesselten Automaten vorkam.
Schmitz: Thomas Thorausch über die Ausstellung "Die Verzauberung der Welt" im Tanzmuseum Köln.