Die Kamerafahrt nimmt uns mit durch einen langen Korridor. Wir sehen nur geschlossene Türen, dafür hören wir umso mehr: Schlösser knallen ins Gehäuse, grobes Schuhwerk knirscht bei jedem Tritt, Leder knarzt, metallene Ausrüstung klappert. Wo befinden wir uns eigentlich? Und: Wohin führt dieser bedrohliche Gang?
Diese filmische Sequenz der Berliner Gruppe "Wilhelm Groener" ist die Ouvertüre für ihr Stück "Hotel Hassler". Auf der Bühne exerzieren sie anschließend eine Studie im Fallen, Manipulieren, Aufstellen: Einer faltet die Füße über Kreuz, ein anderer zieht dessen Arme nach vorn und richtet den dazugehörigen Oberkörper auf, bis er nach vorne sackt. Dann stellt er ihn auf, aber nicht ganz, nur mit einer Ferse, und so bleibt der Körper in Balance, zittern die Muskeln, bis der Körper schreit vor Verzweiflung.
Doch nicht naturalistisch wirkt dieses Stück, sondern technisch abstrahiert, absolut kühl und mechanistisch. Und gerade deswegen berührt die Klarheit der Performer, die zwischen Täter und Opfer oszillieren, sich treten und dann selbst ohrfeigen, Vokale ausstoßen, bis ein undefinierbares Geräusch sie auslöscht.
Wie stehen die Körper zueinander in unserer heutigen Zeit?, scheinen sich viele der für die diesjährige Tanzplattform eingeladenen Choreografen zu fragen. Und widmen sich vermehrt dem letzten Refugium des Körpers, den nicht-steuerbaren, unwillkürlichen Regungen: Dem Lachen etwa, oder: dem Atmen.
Jared Gradinger und Angela Schubot untersuchen das Atmen. In ihrer Produktion "What they are instead of" bleiben sie fünfzig Minuten lang eng umklammert, und: hyperventilieren. Sie atmen lautstark drei Mal pro Sekunde ein und aus, sie drückt dabei sein Knie, er zieht ihren Hintern an seinen Oberkörper, sie umfasst und presst seinen Kopf – es ist dies ein lautstark hechelndes, zuweilen pornografisch anmutendes Stück Schwerstarbeit ohne erlösenden Höhepunkt. Es ist vor allem aber ein unermüdliches, ziel- und atemloses "Wurschteln" als Zeichen unserer Zeit, und: ein Dranbleiben an menschlicher Beziehung als heutige, schweißtreibende Herausforderung.
Konsequent sind diese Soli und Duette. Es ist eine Schau der kleinen, ehrlichen Arbeiten – die meisten aus Hamburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Der Süden ging diesmal leer aus – wegen mangelnder Qualität, meint jedenfalls die Jury. Sie wollte diesmal keine thematische Ausrichtung diagnostizieren und auf keinen Fall eine Schau der Superlative zeigen. Doch schon mit ihrem Auftakt konterkariert sie diese Entscheidung: Den Auftakt nämlich machte VA Wölfl mit seinem jüngsten Stück "Ich sah: Das Lamm auf dem Berg Zion, Offenbarung 14.1". Ein stärkeres Statement hätte man kaum setzen können, denn es zeigte: VA Wölfl ist immer noch der innovativste zeitgenössische Choreograf landauf, landab. Und: Der einzige, der gesellschaftlichen und künstlerischen Weitblick zusammenbringt mit technischer Perfektion, mit Darstellern, bei denen jeder Ton, jede Bewegung sitzt.
"Madrigale" von John Dowland geben den Rahmen für einen martialischen Raum der Zeichen, in dem Luft und Feuer zu zentralen Themen werden. Schwarze Engelsflügel hängen verheißungsvoll an selbstgebastelten Maschinen, aus denen - über Bohrmaschinen angetrieben – wie aus einer Filmspule Kupferdraht abspult, der sich bald meterlang wie schillernde Wolken auf den Boden legt. Bunsenbrenner spenden beharrlich ihre Flamme und erinnern mit ihrem Zischen an die Endlichkeit des Atems. Ihre schwarzen Revolver legen die Darsteller nie aus der Hand, auch nicht, wenn sie in schwarzem Tutu als corps-de-ballet mit aufgerissenen playback-Mündern "flow my tears" singen – und die Frauen sich dabei in der Arabesque gegeneinander heben und drehen lassen wie die verfeindete Hofgesellschaft einer Romeo-und-Julia-Produktion. Dieses Werk ist eine Karikatur jeglicher Betroffenheit, jeglicher bürgerlichen Tanzkunst, auch der von deutschen Stadttheatern. Und dabei ein gelungenes, ein großes Kunstwerk.
An diesem Superlativ der Eröffnung gemessen, kann kaum einer der auf der deutschen Tanzplattform geladenen Performer mithalten. Kaum einer kann so gezielt mit Raum umgehen. Kaum einer verfügt über die Ressourcen eines kontinuierlich arbeitenden Ensembles. Und das fehlt eindeutig im zeitgenössischen Tanz, das wurde deutlich sichtbar durch die Entscheidung der Jury, die Altvorderen nicht mehr einzuladen – nicht mehr Sasha Waltz, nicht mehr Meg Stuart, nicht Jo Fabian, nicht Urs Dietrich, nicht Raimund Hoghe. Es fehlen die großen Alten des zeitgenössischen Tanzes. Aber ohne sie geht es nicht: Nur elf Stücke waren es diesmal, in Hamburg waren es noch 20 – das ist gerade mal ein Jahrzehnt her.
Auch, wenn heute keiner mehr Zeit hat, sich so viele Stücke anzusehen: Die Plattform muss wieder umfangreicher werden, nur dann kann sie wirklich abbilden, was sich im zeitgenössischen freien Tanz tut.
Diese filmische Sequenz der Berliner Gruppe "Wilhelm Groener" ist die Ouvertüre für ihr Stück "Hotel Hassler". Auf der Bühne exerzieren sie anschließend eine Studie im Fallen, Manipulieren, Aufstellen: Einer faltet die Füße über Kreuz, ein anderer zieht dessen Arme nach vorn und richtet den dazugehörigen Oberkörper auf, bis er nach vorne sackt. Dann stellt er ihn auf, aber nicht ganz, nur mit einer Ferse, und so bleibt der Körper in Balance, zittern die Muskeln, bis der Körper schreit vor Verzweiflung.
Doch nicht naturalistisch wirkt dieses Stück, sondern technisch abstrahiert, absolut kühl und mechanistisch. Und gerade deswegen berührt die Klarheit der Performer, die zwischen Täter und Opfer oszillieren, sich treten und dann selbst ohrfeigen, Vokale ausstoßen, bis ein undefinierbares Geräusch sie auslöscht.
Wie stehen die Körper zueinander in unserer heutigen Zeit?, scheinen sich viele der für die diesjährige Tanzplattform eingeladenen Choreografen zu fragen. Und widmen sich vermehrt dem letzten Refugium des Körpers, den nicht-steuerbaren, unwillkürlichen Regungen: Dem Lachen etwa, oder: dem Atmen.
Jared Gradinger und Angela Schubot untersuchen das Atmen. In ihrer Produktion "What they are instead of" bleiben sie fünfzig Minuten lang eng umklammert, und: hyperventilieren. Sie atmen lautstark drei Mal pro Sekunde ein und aus, sie drückt dabei sein Knie, er zieht ihren Hintern an seinen Oberkörper, sie umfasst und presst seinen Kopf – es ist dies ein lautstark hechelndes, zuweilen pornografisch anmutendes Stück Schwerstarbeit ohne erlösenden Höhepunkt. Es ist vor allem aber ein unermüdliches, ziel- und atemloses "Wurschteln" als Zeichen unserer Zeit, und: ein Dranbleiben an menschlicher Beziehung als heutige, schweißtreibende Herausforderung.
Konsequent sind diese Soli und Duette. Es ist eine Schau der kleinen, ehrlichen Arbeiten – die meisten aus Hamburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Der Süden ging diesmal leer aus – wegen mangelnder Qualität, meint jedenfalls die Jury. Sie wollte diesmal keine thematische Ausrichtung diagnostizieren und auf keinen Fall eine Schau der Superlative zeigen. Doch schon mit ihrem Auftakt konterkariert sie diese Entscheidung: Den Auftakt nämlich machte VA Wölfl mit seinem jüngsten Stück "Ich sah: Das Lamm auf dem Berg Zion, Offenbarung 14.1". Ein stärkeres Statement hätte man kaum setzen können, denn es zeigte: VA Wölfl ist immer noch der innovativste zeitgenössische Choreograf landauf, landab. Und: Der einzige, der gesellschaftlichen und künstlerischen Weitblick zusammenbringt mit technischer Perfektion, mit Darstellern, bei denen jeder Ton, jede Bewegung sitzt.
"Madrigale" von John Dowland geben den Rahmen für einen martialischen Raum der Zeichen, in dem Luft und Feuer zu zentralen Themen werden. Schwarze Engelsflügel hängen verheißungsvoll an selbstgebastelten Maschinen, aus denen - über Bohrmaschinen angetrieben – wie aus einer Filmspule Kupferdraht abspult, der sich bald meterlang wie schillernde Wolken auf den Boden legt. Bunsenbrenner spenden beharrlich ihre Flamme und erinnern mit ihrem Zischen an die Endlichkeit des Atems. Ihre schwarzen Revolver legen die Darsteller nie aus der Hand, auch nicht, wenn sie in schwarzem Tutu als corps-de-ballet mit aufgerissenen playback-Mündern "flow my tears" singen – und die Frauen sich dabei in der Arabesque gegeneinander heben und drehen lassen wie die verfeindete Hofgesellschaft einer Romeo-und-Julia-Produktion. Dieses Werk ist eine Karikatur jeglicher Betroffenheit, jeglicher bürgerlichen Tanzkunst, auch der von deutschen Stadttheatern. Und dabei ein gelungenes, ein großes Kunstwerk.
An diesem Superlativ der Eröffnung gemessen, kann kaum einer der auf der deutschen Tanzplattform geladenen Performer mithalten. Kaum einer kann so gezielt mit Raum umgehen. Kaum einer verfügt über die Ressourcen eines kontinuierlich arbeitenden Ensembles. Und das fehlt eindeutig im zeitgenössischen Tanz, das wurde deutlich sichtbar durch die Entscheidung der Jury, die Altvorderen nicht mehr einzuladen – nicht mehr Sasha Waltz, nicht mehr Meg Stuart, nicht Jo Fabian, nicht Urs Dietrich, nicht Raimund Hoghe. Es fehlen die großen Alten des zeitgenössischen Tanzes. Aber ohne sie geht es nicht: Nur elf Stücke waren es diesmal, in Hamburg waren es noch 20 – das ist gerade mal ein Jahrzehnt her.
Auch, wenn heute keiner mehr Zeit hat, sich so viele Stücke anzusehen: Die Plattform muss wieder umfangreicher werden, nur dann kann sie wirklich abbilden, was sich im zeitgenössischen freien Tanz tut.