Zwei Männer posieren im Scheinwerferlicht – der eine ist weiß, der andere schwarz. Als Trommelmusik einsetzt, schwingt der Weiße die Hüften.
"Wir spielen damit, was die Zuschauer denken. Ich bin der Weiße. Da wundern sich viele, dass ich derart hüftbetont tanze. Aber Afrika ist meine Welt. Ich bewege mich viel afrikanischer als Bráulio, der eher auf Rock und Techno steht – also auf Musik, die eher als weiß betrachtet wird."
Das Stück zeigt, wie unsinnig kulturelles Schubladendenken ist. António Onio und Bráulio Bandeira stammen beide aus Portugal. Sie leben seit drei Jahren in Berlin.
"Also, die Tanztage sind ein Festival für den Berliner Nachwuchs. Wir präsentieren da lauter junge Leute, die man bisher noch nicht gesehen hat in größerem Rahmen",
erklärt Anna Mülter, die Leiterin des Festivals.
"Bei den Tanztagen haben wir in diesem Jahr einen Themenschwerpunkt und das ist das Thema Exotismus."
In Gedanken auf Reisen
Wenn António Onio und Bráulio Bandeira am Anfang ihres Stücks zu singen beginnen, geht man bereits gedanklich auf die Reise. Der Song ist ein portugiesischer Schlager mit einem extrem schnulzigen Text. Doch wer die Sprache nicht versteht, kann in der Melodie schwelgen. António Onio betont:
"Uns geht es um die Sinnlichkeit. Der Text ist gar nicht so wichtig. Wenn wir für unsere Produktionen Musik auswählen, denken wir nicht lange über den kulturellen Kontext nach.
Wichtig ist uns nur, dass es viele Bedeutungsschichten gibt. Was für den einen romantisch ist, ist für den anderen Kitsch – das kommt ganz auf die Wahrnehmung an. Wir surfen durch verschiedene Musik- und Tanzstile, wie wir auch im Internet durch die ganze Welt surfen können."
Trend zum Exotismus
Das Aneignen fremder Kunststile ohne eine tiefer gehende Auseinandersetzung ist das, was man gemeinhin Exotismus nennt – in der Kunstszene zurzeit ein großes Thema. Was für die einen ein rotes Tuch ist, empfinden andere als ganz normale Arbeitsweise.
"Also wir benutzen natürlich das Wort Exotismus nicht einfach so naiv, sondern wir hinterfragen das in dem Festival. ... Wir haben ein Special in den diesjährigen Tanztagen, das ist das Julius-Hans-Spiegel-Zentrum.
Das ist eine mobile Forschungsinstitution, die forschen zum Exotismus im modernen Tanz, weil: In den Anfängen des modernen Tanzes hat Exotismus eine große Rolle gespielt, zum Beispiel auch ein rein fiktiver Exotismus, wo deutsche Choreografen sich asiatische, afrikanische Tänze einfach ausgedacht haben, die aber als authentisch verkauft haben, und das wurde auch so geglaubt."
Julius Hans Spiegel zum Beispiel, der Namensgeber des Forschungszentrums, trat in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts als indonesischer Prinz in Berliner Varietétheatern auf.
Die Kunst der Täuschung
Damals war es leicht, das Publikum zu täuschen – schließlich gab es weder Fernsehen, noch Internet. Und heute? Die koreanische Tänzerin Olivia Hyunsin Kim zeigt in ihrem Stück "She came, she saw, she said" erfundene asiatische Tänze.
"Wenn jemand asiatisch aussieht und etwas tanzt, was wir erst einmal fremd finden, dass man dann erst einmal denkt, das ist ein authentischer traditioneller Tanz, diesen unhinterfragten Blick, den gibt es heute genauso wie früher. Natürlich haben wir Zugang zu allen Informationen, aber das heißt nicht, dass wir, nur weil wir Zugang haben, auch alles wissen."
Tanzen und diskutieren
Darüber soll bei den Tanztagen auch diskutiert werden. Publikumsgespräche gehören fest zum Konzept. Vor allem die Zuschauer sollen zu Wort kommen.
"Es geht darum, dass das Publikum sich austauscht und nicht, dass die Tänzer erklären, was sie gemeint haben. Das ist wirklich ein Format für Austausch der Zuschauer untereinander."
Kein richtig oder falsch
Bei der Beurteilung von Tanzproduktionen gibt es kein "richtig" und kein "falsch", sagt Anna Mülter. Der Festivalleiterin geht es um die Vielschichtigkeit der Perspektiven. In der Produktion "Idiosyncrasies" der deutschen Tänzerin Rike Flämig und des Jamaikaners Zwoisy Mears-Clarke geht es um Migrationserfahrungen. Rike Flämig zog als Teenager mit ihren Eltern kurz nach der Wiedervereinigung von Ost- nach Westdeutschland. Zwoisy Mears-Clarke siedelte aus Jamaika in die USA über. Und beide machten ähnliche Erfahrungen ...
"Wir sind von einer gemeinschaftsorientierten in eine individualistische Kultur gewechselt und waren desorientiert und verwundert und haben eine ganze Weile gebraucht, um uns die kulturellen Codes zu erschließen und uns in der anderen Welt zu bewegen."
Auf der Bühne umkreisen sich Rike Flämig und Zwoisy Mears-Clark mit schroffen, abgehackten Bewegungen. Sie beobachten sich gegenseitig. Jeder reagiert auf die Schritte des anderen.
"Wir arbeiten sehr intensiv mit Improvisationen – also einem sehr spontanen Eingehen auf das, was sich ereignet. Wir haben eine große Fähigkeit, schnell auf das einzugehen, was wir vorfinden, weil wir uns natürlich trainiert haben wahrzunehmen und zu beobachten, was passiert gerade und wie können wir uns da zu verhalten."
Der Bewegungsfluss wird immer wieder unterbrochen. Das Stück erzählt von einem Gefühl der Fremdheit, das unsicher macht.
"Das ist ein lebenslanger Prozess, diese Codes, die andere für normal halten, zu entziffern. Deswegen würde ich gern behaupten, es gibt nicht eine Sorte normal, sondern sieben Milliarden Menschen, die alle verschieden sind."
Doch natürlich kann man bei den Tanztagen nicht nur kulturelle Codes, sondern vor allem neue Talente entdecken. Für den Tanznachwuchs in Berlin ist das Festival ein echtes Karrieresprungbrett.