Nach dem Tod von Pina Bausch im Sommer 2009 rückten die Ensemble-Mitglieder des Tanztheaters Wuppertal in Schock und Trauer eng zusammen. Professor Lutz Förster, einer der größten Protagonisten in einer Gruppe voller unverwechselbarer Individuen, ließ sich von seiner Leitungsposition in der Folkwang-Hochschule beurlauben und verantwortete in den letzten Jahren die künstlerischen Geschicke. Bis zum letzten Herbst, volle sechs Jahre also, spielte man ein aus den vierzig aufführbaren Werken der verstorbenen Tanztheater-Ikone zusammengestelltes Repertoire, das jede Saison wechselte und auch mit dem nach wie vor umfangreichen Tourneespielplan des 34-köpfigen Ensembles abzustimmen war.
Gefragt wie eh und je, weltweit wie in der eigenen Stadt, entschloss man sich doch im vergangenen Jahr, einen großen Schritt in die Zukunft zu tun. Drei neue Choreographien wurden uraufgeführt, zum ersten Mal seit vierzig Jahren wurden von den Wuppertaler Tänzern Choreographien gezeigt, die nicht von Pina Bausch geschaffen waren. Tim Etchells, Theo Clinkard und das Team Chaignaud/Bagnolea traten künstlerisch auf Zehenspitzen an das Ensemble heran und die Wirkung war eher therapeutisch als ästhetisch. So weit, so zweifelhaft, vielleicht auch ein bisschen verzweifelt. Sechs Mal wurde das Programm gegeben, für Gastspiele waren die Stücke gesperrt, dann ließ man den Abend wie geplant in der Versenkung verschwinden.
Garantin für reibungslose Abläufe
Angekündigt ist, dass jedes Jahr ein solcher neuer Versuchsballon in Wuppertal steigen soll. Es war ein Gremium künstlerischer Berater, das diese Choreographen auswählte: Alistair Spalding vom Londoner Saddler's Wells Theatre, Miriam de Kloppe vom De Singel in Antwerpen und Stefan Hilterhaus vom Choreographischen Zentrum in Essen. Dieses Trio hat nun eine weitere Besetzungskuh vom Eis geholt. Da der tapfere Lutz Förster endlich zu seinen Aufgaben als Chef der Tanzabteilung der Folkwang-Hochschule zurückkehren will und muss, war die Stelle der Künstlerischen Direktion zu besetzen. Die 46-jährige Adolphe Binder, seit 2011 Chefin von 38 Tänzern an der Göteborger Oper, wird künftig entscheiden, welche Bausch-Werke gespielt werden, welche Choreographen in Wuppertal Uraufführungen erarbeiten, welche Tänzer eingestellt und welche entlassen werden.
Binder ist, was Kulturpolitiker erleichtert aufatmen lässt, eine Garantin reibungsloser Abläufe. Beim Berlinballett wie auch in Göteborg hat sie mit dramaturgischen Texten zusammengefügt, was ästhetisch nichts oder wenig miteinander zu tun hatte und ein Programm nach dem anderen produziert. In der laufenden Spielzeit etwa heißt ein schwedischer Tanzabend bei ihr "Northern (De)-Light", wobei das DE eingeklammert ist. Licht und Entzücken, beides nordisch, so könnte ein neuer Smoothie oder Latte to Go heißen. Und das muss man wohl anstelle eines Programms nehmen bei Binder.
Seit Jahren trifft man sie auf allen Premieren, in Gremien, Jurys, auf Tanzplattformen und Festivals rund um den Globus, eine Marketing-Frau, eine Managerin, die weiß, welche Knöpfe der Verwaltung man drücken muss. Das sprach für sie, so die Jury: Sie sieht viel Tanz, kennt viele Leute, kann Deutsch und hat in Göteborg bewiesen, dass sie einen solchen Laden leiten kann. Willkommen, Tanztheater Wuppertal, in der schönen neuen Kulturtourismusstadtmarketingsexportschlagerwelt. Als du mal so wild angefangen hast in den Siebzigern hättest du dir auch nicht träumen lassen, dass du mal von einer Sales-Managerin geleitet würdest. Wow.