Sie kommt aus dem nasskalten Wuppertal in ihr Büro geweht, einen leuchtend roten Schal passend zur Farbe ihres Lippenstiftes lässig um den Hals gelegt. Eben noch hat sie an einem Workshop mit dem Tanztheater teilgenommen. Jetzt beschließt sie noch ein wenig atemlos von den Treppen zu ihrem Büro im dritten Stock, aber eben ganz die Macherin: 'Fangen wir an'. Begehung im Wuppertaler Schauspielhaus. Bettina Wagner-Bergelt:
"Toll, ist ja unglaublich groß!"
Bettina Wagner-Bergelt ist das erste Mal in Pina Bauschs früherer Lieblingsspielstätte.
"Sehr besonders, dieses Foyer und dieses Schwarz-Weiß."
Seit fünfeinhalb Jahren ist das schöne Theater geschlossen.
"Das gefällt mir eigentlich und auch, dass das ein bisschen abgeschabt ist alles dahinten."
Die künstlerische Zukunft? Noch eine Baustelle
Es müffelt ein wenig. Die große Bühne ruht hinter dem halbrunden eisernen Vorhang wie eingesargt. Aber die kleinen Innengärten im Foyer werden offenbar noch immer gepflegt.
"Man merkt bei dem Gebäude auch, also gerade was die Sichtlinien im Zuschauerraum selber angeht, dass der Graubner, der das ja entworfen hat, wirklich ein Theaterarchitekt gewesen ist und einfach sich sehr gut ausgekannt hat", so ein Techniker der Hauses.
Wagner-Bergelt: "Der wusste, was er tat."
Wie schon ihre Vorgängerin Adolphe Binder möchte auch Bettina Wagner-Bergelt das Gebäude so bald wie möglich wieder nutzen, auch für öffentliche Veranstaltungen. Es soll nicht in Vergessenheit geraten, schließlich soll hier 2025 das Pina-Bausch-Zentrum eröffnet werden - eine Baustelle von vielen für die neue Leiterin des Tanztheaters. Eine andere: Die künstlerische Zukunft.
"Hier ist eben ganz klar, wenn man hierher geht: In erster Linie setzt man sich mit Pina Bauschs Werk auseinander."
Sagt die Managerin zur leidigen Frage, nach dem, was die Kompanie neben dem Oeuvre von Pina Bausch tanzen soll.
"Ich denke aber, dass diese kreativen Impulse eben nicht nur durch neue Stücke - was natürlich für die Presse immer wichtig ist, weil es was Spektakuläres ist - entstehen, sondern dass kreative Prozesse auch durch ganz viele andere Formen und Formate in so ein Ensemble hineingetragen werden können."
"Das haut mich jedes Mal wieder um"
Genaueres will sie über diese Formen noch nicht verraten. Überhaupt war sie in den letzten Wochen noch als Leiterin des Bauhaus-Festivals beschäftigt und musste innerhalb kürzester Zeit einen Spielplan für das Tanztheater entwickeln, den es nach Aussage von Wagner-Bergelt so nicht gegeben habe. Ihre Vorgängerin Adolphe Binder erklärte öffentlich das Gegenteil. Aber jetzt bloß nicht die Wuppertaler Tradition des hässlichen Intrigen-Stadls aufleben lassen. Stattdessen Themenwechsel. Wagner-Bergelt interessiert vor allem eines: die wissenschaftliche Begleitung bei den Neueinstudierungen des Alten. Was bedeutet:
"Ich denke einfach, dass es ganz wichtig ist, dass man einen dramaturgischen Blick drauf wirft. Man muss auch analysieren, wie ist so ein Stück gebaut? Es geht nicht nur drum, dass man Menschen findet wie hier und ja auch wie im Falle von Balanchine oder Cunningham, die sozusagen aus der eigenen Erinnerung schöpfen und das weitergeben, weil sie selber wissen, wie es geht, weil sie es mal gemacht haben. Sondern ich denke, es ist auch wichtig, so eine Position zu haben in einem Ensemble, wo man sozusagen noch mal einen Blick von außen drauf wirft und ganz unabhängig von der Erinnerung der Einzelnen."
Eine Rolle, die Wagner-Bergelt wenn möglich selbst übernehmen möchte. Etwa bei der interessantesten Neueinstudierung dieser Spielzeit: Pina Bauschs Macbeth-Adaption, die seit 29 Jahren nicht mehr gezeigt wurde.
"Jetzt gerade beschäftige ich mich ja mit alten Stücken, unter anderem mit Macbeth. Und ich finde einfach, formal sind die von einer Radikalität immer noch, die ist einfach unglaublich, das haut mich jedes Mal wieder um, wenn ich das sehe."
Den Welten von Pina Bausch auf die Spur kommen
Sagt die Chefin, während ihr von hinten Pina Bausch über die Schulter blickt. Dort lehnt ein Poster an der Wand, das die zarte Tanzpoetin zeigt. Ernst, der Welt entrückt, im dünnen weißen Hemdchen. Ihr berühmter Auftritt im Stück "Café Müller". Keine Dekorationswahl von Bettina Wagner-Bergelt. Das Bild sei schon vor ihr hier gewesen, lächelt die 1,80 Meter große Frau, die mit gesunder Gesichtsfarbe, amüsiert blitzenden blauen Augen und begeisterter Eloquenz so sehr ein Gegenmodell zur asketisch-scheuen Künstlerin zu sein scheint. Die Wuppertaler Sphinx ruht, die neue Regentin hütet ihre Rätsel.
"Ich glaube, dass das bei Pina Bausch eben einfach ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man alle diese Welten, die sie da gebaut hat, dass man denen wieder auf die Spur kommt, was da alles brodelt im Untergrund und ungesagt bleibt, aber letztlich zu spüren ist, wenn es wirklich gut gemacht ist und wenn man genau hinguckt."