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Tarifeinheit
"Streikbruch per Gesetz"

Der Gesetzentwurf zur Tarifeinheit sei im Kern ein Eingriff ins Streikrecht, sagte Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der Linken, im DLF. Auch wenn er persönlich kein Freund von Spartengewerkschaften sei, sei der Eingriff unverhältnismäßig. Außerdem glaube er, dass das Gesetz spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern werde.

Bernd Riexinger im Gespräch mit Peter Kapern |
    Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, redet am 10.05.2014 auf dem Parteitag in Berlin.
    Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, redet am 10.05.2014 auf dem Parteitag in Berlin. (Hannibal Hanschke, dpa picture-alliance)
    Für Bernd Riexinger ist eines klar: Der von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegt Gesetzentwurf zur Tarifeinheit sei die falsche Konsequenz aus den wenigen Streiktage, die aufgrund der Spartengewerkschaft GDL entstanden sei. "Hier greift man ein wegen einem Konflikt in einem Betrieb. Ich glaube, das ist nicht zulässig und das wird auch nicht durchgehen."
    Mit Blick auf die Bahn betonte Riexinger, dass dieser Konflikt eine Ausnahme darstelle. Die Bahn könne das Problem durch ein ordentliches Angebot lösen.
    Dass das Gesetz jemals wirklich zur Anwendung kommt, glaubt Riexinger eher nicht. Die kleinen Gewerkschaften würden vors Bundesverfassungsgericht ziehen - und spätestens dann werde das Gesetz scheitern, so seine Überzeugung.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Zuletzt ist das Verständnis der Deutschen für streikende Piloten und Lokführer merklich geschrumpft. Seit Monaten dauern deren Tarifauseinandersetzungen jetzt schon an, ohne dass eine Lösung absehbar ist, und die Ziele der streikenden Gewerkschaften muss man sich als Bahnkunde oder Lufthansa-Passagier ja auch nicht unbedingt zu eigen machen, nämlich dass die Lokführer-Gewerkschaft GDL auch für die Kellner im Bordbistro zuständig sein will und dass die Piloten auch weiterhin mit 55 in den Vorruhestand wollen. Mit Unbehagen verfolgt auch Arbeitsministerin Andrea Nahles die Macht der Spartengewerkschaften. Gestern hat sie durchblicken lassen, wie sie die Tarifeinheit gesetzlich verankern will.
    Ministerin Nahles sagt, das Gesetz soll verhindern, dass Gewerkschaften auf Kollisionskurs gehen, aber es soll nicht das Streikrecht beschneiden. Und was Bernd Riexinger dazu sagt, der Chef der Linkspartei, das hat er gestern getwittert: "Frau Nahles lügt!" So lautete sein Tweet. Starker Tobak, Herr Riexinger. Guten Morgen!
    Bernd Riexinger: Guten Morgen!
    Kapern: Wo machen Sie die Lüge der Ministerin aus?
    Riexinger: Bei uns ist es ja nur erlaubt für Gewerkschaften, für Tarifverträge zu streiken. Wenn der Tarifvertrag aber gar nicht mehr zur Anwendung kommt, macht der Streik weder Sinn, noch dürfte er von den Gerichten erlaubt werden. Also ist es im Kern ein Eingriff in das Streikrecht. Wir haben ja in dem Sinn gar kein gesetzliches Streikrecht bei uns. Das Streikrecht ist ja durch Richterrecht geregelt. Und Frau Nahles greift hier in der Tat ganz direkt in das Streikrecht ein.
    "Nicht die richtige Konsequenz"
    Kapern: Woher wissen Sie, wie zukünftig Gerichte entscheiden werden?
    Riexinger: Das liegt in der Logik der Sache. Bei uns kann man ja nicht einfach die Arbeit niederlegen, sondern bei uns kann man nur streiken, wenn Friedenspflicht herrscht. Der Tarifvertrag muss ausgelaufen sein, man muss für einen neuen Tarifvertrag streiken. Jetzt sagen Sie mir mal, wie eine Gewerkschaft zum Streik aufrufen kann, wenn ihr Tarifvertrag gar nicht zur Anwendung kommt. Das ist ja völlig widersinnig.
    Kapern: Andererseits muss man sagen, die Spartengewerkschaften sind ja bislang nicht von den Gerichten an die kurze Leine genommen worden. Als jetzt kürzlich die Piloten bei der Lufthansa wieder in den Ausstand getreten sind, da ist ja die Lufthansa vor Gericht gezogen und das Gericht hat gesagt, der Streik ist verhältnismäßig und rechtens.
    Riexinger: Ja natürlich. Da hat sich die Rechtsprechung geändert. Ich persönlich bin auch gar kein Anhänger von Spartengewerkschaften. Aber diesen Eingriff ins Streikrecht ursächlich damit in Zusammenhang zu bringen, dass ein paar Tage von Spartengewerkschaften im Jahr gestreikt wird, das halte ich für völlig unverhältnismäßig. Außerdem trifft es nicht nur die Spartengewerkschaften; es kann durchaus sein, dass auch die großen Gewerkschaften in verschiedenen Betrieben oder gar Sparten in der Minderheit sein können, und dann sind sie selber betroffen. Ich glaube nicht, dass es eine richtige Konsequenz ist, wegen der wenigen Streiktage, die wir im Jahr erleben, in das Streikrecht einzugreifen. Ich glaube im Übrigen auch gar nicht, dass das verfassungskonform ist.
    Kapern: Herr Riexinger, gleichwohl stellt sich doch die Frage: Wenn es denn so ist, dass die Pilotengewerkschaft Cockpit auch künftig streiken wird können, weil sie die große Mehrzahl der Piloten und das auch noch in Absprache mit der Gewerkschaft Verdi vertritt, dann ist das die eine Sache. Warum aber muss es hinnehmbar sein, wenn irgendeine Spartengewerkschaft, die nur eine kleine Minderheit von Beschäftigten vertritt, einen ganzen Betrieb lahmlegt?
    Riexinger: Der Sinn von Streiks ist ja, dass sie ganze Betriebe lahmlegen können. Wir können ja nicht irgendwie so diskutieren, wir dürfen zwar streiken, es darf dem Unternehmen aber nicht weh tun. Der Sinn von Streiks ist ja, dass es den Unternehmen weh tut. Ich glaube nicht, dass wir das Problem der Spartengewerkschaften durch gesetzliche Eingriffe lösen können. Wenn wir die Bahn jetzt zum Beispiel angucken, müssen wir ja auch den Blick ein bisschen auf die Bahn richten. Ich bin absolut überzeugt: Wenn die Bahn ein vernünftiges Angebot für die Lokführer macht, werden die Lokführer nicht allein für die Tarifgültigkeit anderer Beschäftigtengruppen in den Streik gehen. Das wird ein bisschen verzerrt in der Öffentlichkeit. Die Bahn soll mal ein vernünftiges Angebot machen. Im Übrigen könnte man das Problem der Tarifeinheit auch durch andere Maßnahmen lösen. Wir haben ja bei uns inzwischen das Problem, dass die Mehrheit der Beschäftigten gar nicht mehr unter Tarifverträge fällt. Das wäre das wirklich wichtige Betätigungsfeld, dem sich Frau Nahles mal widmen sollte.
    "Spartengewerkschaften wurde ja von den Arbeitgebern selber gezüchtet"
    Kapern: Bleiben wir noch mal beim Bahnstreik. Da hat man ja den Eindruck, es geht eben nicht um tarifliche Errungenschaften für Lokführer, sondern es geht darum, dass zwei konkurrierende Gewerkschaften ihre Reviere gegeneinander abstecken wollen. Warum muss das hinnehmbar sein für all die Millionen, die auf den Bahnsteigen stehen bleiben und nicht fahren können?
    Riexinger: Die Geschichte mit den Spartengewerkschaften wurde ja von den Arbeitgebern selber gezüchtet. Sie wollten ja mehrere Gewerkschaften haben. Zum Teil haben sie sie sogar gegründet, jetzt nicht bei der Bahn, aber woanders. Und jetzt kommt es als Bumerang für sie zurück. Ich glaube auch im Übrigen nicht, dass das durchhaltbar ist für die GDL, um diesen Konflikt zu streiken, aber in Wirklichkeit haben sie ja Forderungen. Sie haben ja Gehaltsforderungen. Sie haben die Forderungen, die Überstunden abzubauen, alles Dinge, die ja positiv sind. Und das Angebot der Bahn auf diesem Feld ist bisher sehr, sehr schlecht. Sie bieten gerade mal 2,1 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung im Jahr und viel zu wenig Angebote auf Neueinstellungen von Lokführern. Ich glaube, wenn die Bahn dieses Problem lösen würde, ein vernünftiges Angebot macht, könnte die GDL diesen Kurs, den ich auch nicht für richtig halte, gar nicht mehr durchhalten.
    Kapern: Nun könnte man natürlich auch der Meinung sein, dass für den Konkurrenzkampf der Gewerkschaften zunächst mal Gewerkschaften zuständig sind und nicht der Vorstand der Bahn. Der Grundsatz des Gesetzes, das Andrea Nahles da vorlegen will, lautet ja, Gewerkschaften sollen besser kooperieren, sich einigen, wer welche Berufsgruppe in welchem Betrieb vertritt und wie man in diesem Sinne zusammenarbeiten kann. Das klingt ja nach dem Grundsatz Einigkeit macht stark. Das hat doch auch irgendwas mit gewerkschaftlicher Macht zu tun.
    Riexinger: Ja. Ich bin auch absolut dafür, dass die Gewerkschaften kooperieren. Das klappt ja auch überall, zum Beispiel mit dem Beamtenbund und Verdi. Das Beispiel Cockpit haben Sie selber gesagt. Die Bahn ist hier ja eine Ausnahme und die Frage ist, greift man wirklich in das Koalitionsrecht, also in das Recht der Beschäftigten, sich zu organisieren und für Tarifverträge zu streiken, greift man in dieses Recht ein wegen eines Konfliktes in einem Betrieb. Ich glaube, das ist nicht zulässig, und ich glaube auch im Übrigen nicht, dass das durchgehen wird. Wir haben ja ein grundgesetzlich garantiertes Recht, sich zusammenzuschließen, also ein Koalitionsrecht, und da steht nicht drin, dass man nur das Recht hat, sich in einer Gewerkschaft zusammenzuschließen. Frau Nahles greift hier ein, das ist völlig unverhältnismäßig. Ich würde sagen, das ist Streikbruch per Gesetz.
    "Gesetz kann in Karlsruhe kaum bestätigt werden"
    Kapern: Nun müssten ja eigentlich die Gewerkschafter gesammelt aufstehen in dieser Republik und massiv protestieren gegen das, was Andrea Nahles da vorhat, wenn man Ihrer Argumentation folgt, Herr Riexinger. Nun haben sich gestern erstaunlicherweise die IG BCE und die EVG, also die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, sehr lobend geäußert. Haben die keine Ahnung, was da auf sie zukommt, oder wie kommt es dazu?
    Riexinger: Ich glaube, dass hier das kurzfristige Interesse über dem langfristigen steht. Hier geht es um Organisationsstreitigkeiten innerhalb der Gewerkschaften. Die sind wirklich ein Problem. Ich habe ja gesagt, ich bin auch ein Anhänger der Einheitsgewerkschaften. Aber die Einheitsgewerkschaften müssen das lösen, dass sie einfach mehr für ihre Mitglieder tun, aktiver werden, die Auseinandersetzungen entschlossener führen. Dann werden sich die Spartengewerkschaften von selbst überflüssig machen. Wir können nicht die Organisationsstreitigkeiten der Gewerkschaften über das Gesetz und schon gar nicht über den Eingriff in das Streikrecht lösen. Und im langfristigen Interesse kann es von keiner DGB-Gewerkschaft sein, diesen Kurs zu gehen. Wie gesagt, zum Beispiel im Bereich der Krankenhäuser kann es durchaus sein, dass dort die Gewerkschaft Verdi auch in der Minderheit ist, und dann trifft dieser Eingriff eben nicht mehr nur die kleinen Spartengewerkschaften, sondern auch die große Einheitsgewerkschaft Verdi.
    Kapern: Welche Zukunft prophezeien Sie dem Gesetzesprojekt von Andrea Nahles?
    Riexinger: Ich glaube, die kleinen Gewerkschaften werden vors Bundesverfassungsgericht gehen, und wenn man der bisherigen Logik der Rechtsprechung dort folgt, dann kann dieses Gesetz kaum bestätigt werden. Ich vermute, dass es spätestens in Karlsruhe scheitern wird.
    Kapern: Bernd Riexinger, der Vorsitzende der Linken, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Riexinger, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Riexinger: Ich bedanke mich auch. Tschüss!
    Kapern: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.