"Ich finde es eine Unverschämtheit, dass das auf Kosten der Passagiere ausgetragen wird hier."
"Bei den Gehältern der Flugkapitäne kann man das auch nicht verstehen. Jede Bundeskanzlerin, jeder Minister verdient weniger, also für den Streik habe ich kein Verständnis."
Aufgebrachte Passagiere Anfang April am Frankfurter Flughafen: 5.400 Lufthansa-Piloten streiken drei Tage lang, sie kämpfen, weil die Lufthansa die bisherige Altersgrenze erhöhen und die Piloten an der Finanzierung beteiligen will. Es geht auch um den Erhalt ihrer Übergangsversorgung. 3.850 Flüge fallen aus, 425.000 Passagiere sind betroffen.
Wenn es um die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen oder höhere Gehälter geht, dann streiken sie: Die Ärzte, die im Marburger Bund organisiert sind, die Fluglotsen, die sich in der GdF zusammengetan haben, das Kabinenpersonal mit der Ufo, der Unabhängigen Flugbegleiter-Organisation oder die Lokführer, die sich zum großen Teil von der GdL, der Gewerkschaft der Lokomotivführer vertreten lassen: Eine jeweils kleine Gruppe von Arbeitnehmern hat wegen ihrer spezifischen Berufsfelder die Macht, große Teile des öffentlichen Lebens lahmzulegen. Die Arbeitgeber schlugen schon vor vier Jahren Alarm:
"Unsere Sorge ist, dass diese Entwicklung zunehmen könnte, und wir englische Verhältnisse bekommen, mit dauernden Tarifauseinandersetzungen für einzelne Berufsgruppen, wie das in den 70er-Jahren in England der Fall war. Dort hat das zur vollständigen Zersplitterung der Tariflandschaft geführt und die Deindustrialisierung beschleunigt.
So warnte Dieter Hundt, der damalige Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, schon im Juni 2010. Da hatte das Bundesarbeitsgericht gerade die sogenannte Tarifeinheit gekippt. Der über Jahrzehnte gültige Grundsatz: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag, hat seitdem keinen Bestand mehr. Tarifpluralität statt Tarifeinheit, heißt das neue Leitmotiv.
Mehrere Gewerkschaften, die in einem Betrieb für die Rechte der Beschäftigten kämpfen – kein Problem, sagten damals die Arbeitsrichter – und ebneten damit den Weg für kleine kampfbereite Berufsgewerkschaften, was nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch den Deutschen Gewerkschaftsbund DGB alarmierte.
Ungewöhnliche Allianz von Gewerkschaften und Arbeitgebern
Denn wenn die Eliten im Betrieb ihre Interessen auf eigene Faust durchsetzten, dann gehe das zu Lasten der übrigen Beschäftigten, fürchtete Michael Sommer, der damalige DGB-Chef. Und forderte gemeinsam mit Arbeitgeberchef Hundt, die Tarifeinheit per Gesetz wieder herzustellen.
Michael Sommer:
"Sie verhindert, dass einzelne Belegschaftsteile gegeneinander ausgespielt werden. Die Schwachen brauchen die Starken, das gilt nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Betrieb. Auch dafür steht die Tarifeinheit."
Arbeitgeber und Gewerkschaften zeigten auch einen konkreten Weg auf, wie die Tarifeinheit im Betrieb gerettet werden könnte.
"Wenn mehrere Tarifverträge von unterschiedlichen Gewerkschaften in einem Betrieb existieren, soll der Vertrag gelten, der von der Gewerkschaft geschlossen wurde, die die meisten Mitglieder in dem Betrieb hat."
Die ungewöhnliche Allianz von Gewerkschaften und Arbeitgebern blieb nicht ohne Wirkung. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Hilfe zu, eine gesetzliche Regelung zur Wiederherstellung der Tarifeinheit scheiterte aber am Koalitionspartner FDP – und an verfassungsrechtlichen Bedenken. Jetzt, vier Jahre später, will die Große Koalition den Faden wieder aufnehmen. Zitat:
"Soweit sich im Betrieb Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, kommt nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft zur Anwendung, die im Betrieb mehr Mitglieder hat."
So steht es in einem noch unveröffentlichten Eckpunktepapier von Arbeitsministerin Andrea Nahles, das noch in diesem Jahr in einen Gesetzentwurf münden soll. Das Ziel ist klar: Die Macht kleiner Berufsgruppen wie Lokführer, Fluglotsen oder Krankenhausärzte soll per Gesetz begrenzt werden. Innerbetriebliche Verteilungskämpfe könnten sonst den Betriebsfrieden gefährden und damit die Tarifautonomie nachhaltig beschädigen, heißt es zur Begründung.
Deshalb will die Große Koalition nun handeln.
"Dies schließt insoweit auch eine Erstreckung der Friedenspflicht aus dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft auf die Minderheitsgewerkschaft ein."
Heißt übersetzt: Wenn die größere Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, dürfen kleinere Gewerkschaften in dem Betrieb nicht mehr für einen eigenen Tarifvertrag streiken.
Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hält das für den richtigen Ansatz:
"Weil es keinen Sinn macht, dass Arbeitnehmergruppen im Betrieb gegeneinander ausgespielt werden auf Basis unterschiedlicher Tarife. Dass im Zweifelsfall kleine konfliktfähige Gruppen Partikularinteressen gegen die Allgemeinwohlinteressen im Betrieb vertreten. Hierfür brauchen wir faire Spielregeln."
Faire Spielregeln heißt: Die Politik soll den kleinen Berufsgewerkschaften Fesseln anlegen. Rudolf Henke, der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, sieht darin einen Frontalangriff auf gewerkschaftliche Grundrechte:
"Das bedeutet, dass ein Zwei-Klassenrecht unter den Gewerkschaften eingeführt wird. Die Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder im Betrieb vertritt, kann ihre Forderungen mit Streik durchsetzen, und die klingen so, als ob man Minderheitengewerkschaften den Saft abdrehen will und in ihrer gewerkschaftlichen Existenz beseitigen möchte."
Viele der heute starken Berufsgewerkschaften sind in ehemaligen Staatsbetrieben entstanden. Als vor zehn Jahren die Flugsicherung privatisiert wurde, stellten sich die Fluglotsen schnell auf die neue Lage ein, sagt David Schäfer, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Bremer Kanzlei Weißmantel & Vogelsang:
"Das hat natürlich auch zur Folge gehabt, dass die Arbeitnehmer dort sich zusammengeschlossen haben und ihre entsprechenden grundgesetzlichen Rechte wahrnehmen, natürlich trifft das einen neuralgischen Punkt, aber das ist eben an der Stelle eine logische Folge."
Eine logische Folge, die das Selbstbewusstsein der Berufsgewerkschaften gestärkt hat. Das gilt auch für andere ehemalige Staatsunternehmen: Besonders betroffen ist die Deutsche Lufthansa: Da vertritt die große Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zwar vor allem die Mitarbeiter am Boden und bei den Catering-Gesellschaften. Das fliegende Personal aber war unzufrieden mit der Interessenvertretung durch die großen Gewerkschaften, deshalb entstand 1992 die Flugbegleitergewerkschaft Ufo, seit 1999 tritt die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit als eigenständiger Tarif- und Sozialpartner der Fluggesellschaften auf. Und da gehe es eben nicht nur um die Gehälter, sagt Ilona Ritter, Vorsitzende Tarifpolitik der Vereinigung Cockpit, sondern vor allem um die Arbeitsbedingungen:
"Einfaches Beispiel: das Arbeitszeitgesetz in Deutschland: 40 Stunden in der Woche darf man arbeiten, am Tag maximal zehn Stunden, das geht für Piloten nicht. Da gibt es europäische Richtlinien, und da ist es eben so, dass da Minima festgeschrieben sind. Die Flugzeuge haben immer mehr Reichweite, aber der Mensch, der im Flugzeug sitzt, hat sich nicht wesentlich verändert, um es mal einfach zu beschreiben."
Auch bei der ältesten Gewerkschaft Deutschlands, der GdL, der Gewerkschaft der Lokomotivführer, fühlen sich die Mitglieder über die Berufsgewerkschaft besser vertreten als von der EVG, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.
So hatten die Lokomotivführer Ende März bei der Deutschen Bahn durchgesetzt, dass sie für ein spezielles Berufsrisiko besser abgesichert sind: Denn statistisch gesehen erlebt jeder Lokführer zwei- bis dreimal in seinem Berufsleben, dass sich jemand vor seinen Zug wirft. Pro Jahr gibt es auf den Gleisen 800 bis 900 Suizide in Deutschland. Auch das sollte bei Verhandlungen über Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden. Die Deutsche Bahn nimmt dieses sehr spezielle Anliegen der Lokführer jetzt ernst. Den Durchbruch dazu hatte die GdL bei ihrem Streik vor sieben Jahren erreicht, erinnert sich Lokführerin Andrea B.:
"Dann hat man Warnstreiks veranstaltet, und da gab's keine Reaktion. Und irgendwann kam dann die Urabstimmung, dass wir zum großen Streik aufrufen. Und da hat man das Gefühl gehabt, nachdem der Tarifvertrag unterschrieben wurde, dass wir ernst genommen wurden."
Nur jeder vierte Lokführer Mitglied der EVG
Allerdings könnte sich das bald wieder ändern: Seit 2008 hatte die EVG der GdL zwar zugestanden, die Tarifverträge für die Lokführer aushandeln zu dürfen. Doch nun läuft der entsprechende Grundlagentarifvertrag aus, und der Streit beginnt von vorn, sagt Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft:
"Meine Kollegen von der EVG, obwohl sie wenig Mitglieder haben, sind der festen Überzeugung, Lokführer wieder tarifieren zu wollen und zu müssen, und da sage ich einfach mal: Die Realität sieht anders aus. Ich habe bei der Deutschen Bahn knapp 80 Prozent Organisationsgrad. und ich glaube, die Aktivlegitimation für eine Gewerkschaft sind die Mitglieder. Und wer die Mitglieder hat, schließt die Tarifverträge ab."
Die EVG verweist jedoch darauf, dass sie mit insgesamt 210.000 Mitgliedern etwa sechsmal so groß ist wie die GdL. Sie möchte deshalb alle Bahnbeschäftigten vertreten, auch die Lokführer, obwohl nur jeder vierte Lokführer Mitglied der großen EVG ist. So hätten es auch die Arbeitgeber gern. Sie argumentieren, dass die kleinen Spartengewerkschaften kaum Rückhalt in der Bevölkerung hätten und dass sie ihre Macht missbrauchten.
Das sehen Vertreter der kleinen Gewerkschaften natürlich ganz anders. Nicoley Baublies von der Flugbegleitergewerkschaft Ufo erinnert an den Arbeitskampf vor zwei Jahren bei der Lufthansa, als es neben höheren Löhnen auch um den Einsatz von Leiharbeitern ging. Die Geschäftsleitung der Lufthansa habe es damals nach 18 Monaten Verhandlungen mit der Ufo darauf ankommen lassen und auch nach einem ersten kurzen Streik nicht reagiert, sagt Baublies:
"Wenn weiterhin nicht gesprochen werden soll, dann müssen wir auch mal zeigen, das machen die Flugbegleiter auch mal länger als vier Stunden, und als das nicht geklappt hat, da haben wir gesagt, dann zeigen wir auch, das machen bundesweit alle Flugbegleiter 24 Stunden, und erst da hieß es dann, okay, das scheint wirklich zu funktionieren, wir müssen reden."
Der Umgang mit dem Streikrecht erfordere eine besondere Verantwortung, und das gelte nicht nur für die Luftfahrt, sondern für alle Bereiche wie etwa Kindertagesstätten, Müllentsorgung oder Energieversorgung. Darauf verweist Arbeitsrechtler Schäfer von der Kanzlei Weißmantel und Vogelsang, der die Gewerkschaft der Fluglotsen berät:
"Überall betreffen sie unschuldige Dritte. Aus unserer Sicht liegt es in der Natur des Arbeitskampfes, dass man sich mit den Folgen auseinandersetzt und da gibt es also keine Besonderheit, die im Luftverkehr da Berücksichtigung finden müsste, die jetzt bedeuten würde, dass man dort besonderen Einschränkungen unterworfen ist. Ein Arbeitskampf ist immer die Frage des Einzelfalls, da gibt es keinen Grund, die Luftfahrt besonderen Regelungen zu unterwerfen."
Auch das Argument, dass eine kleine Zahl von Beschäftigten, die Schlüsselpositionen besetzen, zu viel Macht haben, lassen die Berufsgewerkschaften nicht gelten. Ilona Ritter von der Vereinigung Cockpit:
"Wenn Sie alle Berufsgewerkschaften zusammennehmen, sind das mehrere 100.000 Mitglieder, die auch eigenständig Interessenvertretung sind, Tarifverhandlungen führen für ihre Mitglieder. Das heißt über mehrere 100.000 Menschen haben sich entschieden – und das lässt die Verfassung zu – dass sie von einer Berufsgewerkschaft vertreten werden, und das kann man nicht per Gesetz, per ordre de Mufti einfach so nonchalant wegwischen und sagen: Aber die große Mehrheitsgewerkschaft macht das dann schon für euch. Das geht nicht."
Denn käme ein Gesetz zur Tarifeinheit, dann würde das die Existenzberechtigung der kleinen Gewerkschaften in Frage stellen, heißt es in einer Petition, die der Marburger Bund, die Interessenvertretung der Ärzte, schon im November initiiert hatte, als die ersten Pläne aus dem Koalitionsvertrag öffentlich wurden. Eine Gewerkschaft könnte dann jedenfalls nicht mehr frei agieren, sagt auch Arbeitsrechtler Schäfer:
"Das ist natürlich die maximale Einschränkung der Gewerkschaft Marburger Bund in diesem Fall. Dass das verfassungsrechtlich kaum haltbar ist, weil diese Gewerkschaft zwar theoretisch ein Grundrecht auf Koalitionsfreiheit hat, aber dieses in diesem konkreten Betrieb grundsätzlich nicht mehr ausüben kann, das dürfte inzwischen auch der Gesetzgeber realisiert haben."
Denn die Berufsgewerkschaften berufen sich auf das Grundgesetz: In Artikel 9, Absatz 3 ist die Koalitionsfreiheit festgeschrieben. Sollte der Gesetzgeber also den Grundsatz "Ein Betrieb, eine Gewerkschaft" vorschreiben wollen, dann wäre der erste Schritt der betroffenen Vereinigungen eine Verfassungsklage. Das hat der Marburger Bund schon angekündigt:
"Wir werden zum frühestmöglichen Zeitpunkt, wenn wirklich ein solches Gesetz kommt, Klage gegen ein solches Gesetz erheben. Wir werden die frühestmögliche Chance zum Rechtsschutz nutzen."
Neuregelung der Gewerkschaften sei nicht notwendig
Ein Gang zum Bundesverfassungsgericht wäre aber wohl nicht alles. Ilona Ritter von der Vereinigung Cockpit :
"Es gibt allerdings auch andere Möglichkeiten. Gehen Sie mal davon aus, dass auch eine Vereinigung Cockpit immer einen Plan B oder sogar einen Plan C hat."
Eigentlich aber sei eine Neuregelung der Gewerkschaften nicht notwendig, glaubt Arbeitsrechtler Schäfer, der für die Gewerkschaft der Flugsicherung schon mehrfach vor dem Arbeitsgericht das Streikrecht für die Fluglotsen eingeklagt hat:
"Nicht jede Organisation, die sich für eine Gewerkschaft hält, wird von der Rechtsprechung als eine Gewerkschaft anerkannt. Die Maßstäbe, die die Rechtsprechung da anlegt, sind sehr hoch. Das heißt auch die Gefahr einer Balkanisierung der Tariflandschaft, wie man so schön sagt, dadurch, dass sich noch und nöcher Berufsgewerkschaften bilden, da ist auch die Rechtsprechung davor, diese Gefahr besteht nicht wirklich. Die Rechtsprechung ist in der Lage, dieses Thema zu lösen, und auch alle maßgeblichen Faktoren in Rechnung zu stellen. Der Gesetzgeber wird das mit einer pauschalen und über alle Gewerkschaften und über alle Fälle gehenden Regelung im Zweifel nicht können."
Sigmar Gabriel: Tarifeinheit voranbringen
Trotz aller Bedenken, die Große Koalition scheint entschlossen, die Macht der kleinen Gewerkschaften per Gesetz einzuschränken. Wirtschaftsminister Gabriel versicherte vor einer Woche, nach einem Treffen mit Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer:
"Dass ich nach wie vor der Überzeugung bin, dass das eine kluge Initiative von DGB und BDA gewesen ist und dass ich der festen Überzeugung bin, dass wir die Tarifeinheit gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften voranbringen müssen.
Vor allem die Arbeitgeber machen Druck. Wenn sich nach Lokführern, Piloten und Krankenhausärzten weitere Berufsgruppen eigenständig machen, drohe Chaos in den Betrieben, warnte BDA-Chef Ingo Kramer – und mahnte zügiges Handeln an.
"Und wir erwarten, dass das zügig umgesetzt wird und wir noch in diesem Jahr zu einer Lösung kommen."
Doch das Vorhaben ist verfassungsrechtlich schwierig und politisch heikel. Denn die Tarifeinheit tangiert zwangsläufig das Streikrecht, und damit Artikel 9 des Grundgesetzes, in dem die Koalitionsfreiheit garantiert ist. Deshalb ist auch der Deutsche Gewerkschaftsbund inzwischen auf Distanz gegangen zu dem Vorstoß, den er einst selbst aus der Taufe gehoben hatte. Tarifeinheit ja, aber nur, wenn das Streikrecht nicht angetastet wird, hat der DGB-Bundeskongress, das oberste Entscheidungsgremium des Dachverbandes, Anfang Mai beschlossen. Verdi-Chef Frank Bsirske:
"Ich denke, es ist ein deutliches Signal, wenn dieser Kongress einen Eingriff ins Streikrecht ablehnt, und das nicht nur grundsätzlich, sondern ausnahmslos."
Nimmt der DGB also Abschied von der Idee, die Tarifeinheit per Gesetz retten zu können? Nein, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann Wie aber soll das gehen, die Tarifeinheit gesetzlich regeln, ohne das Streikrecht anzutasten, fragt Stefan Sell. Das komme der Quadratur des Kreises gleich, sagt der Sozialwissenschaftler aus Koblenz:
"Wenn man die Tarifeinheit so regelt, wie man das angedacht hat, dann muss das zwingend verbunden sein mit einer Einschränkung des Streikrechts eines Teils der Gewerkschaften, und zwar der kleineren. Das haben die Gewerkschaften jetzt im Endspurt erkannt. Dass der Preis, den sie zahlen müssten für eine Regelung, die sie anfangs unterstützten, eine Einschränkung des Streikrechts wäre."
Was aber kann eine sozialdemokratische Arbeitsministerin gewinnen, mit einer Gesetzesinitiative, hinter der nur noch die Arbeitgeber mit ganzem Herzen stehen? Nicht viel, sagt Sell. Aber andere Gründe könnten entscheidend sein, glaubt er:
"Den Arbeitgebern wurde versprochen im Herbst des vergangenen Jahres, wenn Gewerkschaften Mindestlohn bekommen, dann bekommt ihr Tarifeinheit, also eins dieser üblichen Tauschgeschäfte. Wenn dem so ist, dann könnte man Festhalten der Arbeitsministerin so interpretieren, dass sie versucht, dieses Versprechen einzulösen."
Eckpunktepapier kurzfristig von Tagesordnung genommen
Ob das gelingt, ist unklar. Die Verunsicherung in der Großen Koalition ist groß. So wurde das Eckpunktepapier der Arbeitsministerin, das die Grundlage für einen Gesetzentwurf sein soll, kurzfristig von der Tagesordnung der morgigen Kabinettssitzung genommen. Es soll später behandelt werden, heißt es, vielleicht in einer Woche, vielleicht erst nach der Sommerpause. Das alles macht deutlich: Es wird schwierig. Die juristischen Bedenken, die Absetzbewegungen der Gewerkschaften, die Proteste der kleinen Spartengewerkschaften – wird die Tarifeinheit überhaupt noch kommen? Es gibt noch zahlreiche Fragen, die offen sind, sagt Peter Weiß, der Sprecher des Arbeitnehmerflügels in der Union:
"Jetzt kommt es darauf an, was Nahles vorlegt, wie positionieren sich Gewerkschaften, wie Arbeitgeber, was sagen Verfassungsjuristen. Und danach werden wir entscheiden müssen in der Koalition: Wollen wir Gesetzgebungsverfahren beginnen oder lassen wir die Finger davon. Und ich würde sagen: Die Chancen stehen fifty-fifty."