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Tarifeinheitsgesetz
BDA: Nur Rückkehr zu alten Regeln

Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, begrüßt den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit. Bei der Regelung, dass nur die mitgliederstärksten Gewerkschaften im jeweiligen Unternehmen Tarifverträge durchsetzen dürfen, gehe es keinesfalls darum, die Macht kleiner Gewerkschaften einzugrenzen, sagte Kramer im DLF.

Ingo Kramer im Gespräch mit Gerhard Schröder |
    Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände
    Ingo Kramer: "Es geht darum, dass sich nicht um ein und denselben Arbeitnehmer in einem Unternehmen zwei Gewerkschaften streiten und sozusagen ihren Streit auf dem Rücken der Unternehmen und der Kunden durch Streiks ausüben." (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Schröder: Herr Kramer, die Große Koalition, das war ja auch die Wunschkoalition der Deutschen Wirtschaft, sind Sie zufrieden mit dem, was Union und SPD in den ersten zwölf Monaten auf den Weg gebracht haben?
    Kramer: Also wenn man es allein hätte entscheiden können, wäre uns sicherlich das eine oder andere eingefallen, was wir anders gemacht hätten, vielleicht vor allen Dingen, was wir unterlassen hätten. Insofern ist "zufrieden" immer sehr relativ.
    Schröder: Konkret, was hätten Sie sich gewünscht?
    Kramer: Naja, es sind ja – wie bekannt – eine Reihe von Entscheidungen gefällt worden, die die Wirtschaft belasten, aber nicht die Wettbewerbsfähigkeit steigern gerade.
    Schröder: Das Rentenpakt und der Mindestlohn zum Beispiel?
    Kramer: Genau, so ist es. Wenn Sie das Rentenproblem nehmen und sich gleichzeitig die demografische Entwicklung in Deutschland anschauen und wissen, dass in kurz bevorstehender Zeit schon die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, dann müssen wir versuchen, möglichst lange die Menschen in Arbeit zu halten. Nicht umsonst haben frühere Regierungen das Renteneintrittsalter auf 67 schrittweise hochgefahren – was ja bis 2030 erst wirken wird. Und das ist nun rückwärts gedreht worden. Die Menschen müssen ja den Eindruck gewinnen: 'Das, was früher entschieden worden ist, ist völlig falsch, die demografische Entwicklung ist gar nicht so, wie sie uns vorgegaukelt wurde.' Das ist natürlich Unsinn. Die Große Koalition hat einfach nur etwas zurückgenommen, was vorher einmal richtig entschieden worden war.
    Schröder: Die Arbeitsministerin sagt: "Das ist alles solide finanziert. Die Rentenversicherung hat Überschüsse von über 33 Milliarden Euro." Hat sie nicht Recht?
    Kramer: Die Ministerin hat richtig hingeschaut, aber diese Rentenreserven waren vorgesehen für zukünftige Jahre, wenn die geburtenstarken Jahrgänge eben in die Rente reingehen, und sie waren nicht dafür vorgesehen, vorzeitig verplempert zu werden. Und das ist das Problem, wenn der Staat Geld zur Verfügung hat und gibt es aus, selbst wenn er sich einmal vorgenommen hat, dieses Geld für etwas anderes anzusparen.
    Schröder: Aber der Rentenbeitrag wird im kommenden Jahr von 18,9 auf 18,7 Prozent sinken. Also von zusätzlichen Lasten für die Unternehmen kann da keine Rede sein, sie werden sogar entlastet.
    Kramer: Das ist eine Momentaufnahme – die ist richtig. Aber wenn ich von Nachhaltigkeit spreche, dann sprechen wir über die nächsten Jahrzehnte, und da gibt es ein Problem. Aber da sind wir nicht die Einzigen, die das der Bundesregierung vorhalten. Ich glaube, die Volkswirte unisono, die Rentenversicherungsträger unisono, alle haben die gleichen Argumente der Bundesregierung vorgetragen. Und die Bundesregierung ist jetzt schon erstaunt darüber, dass es nicht, wie ursprünglich prognostiziert, 50.000 Menschen waren, die in diesem Jahr den vorgezogenen Ruhestand angewählt haben, sondern bis Oktober waren es schon über 160.000 Menschen.
    Schröder: Welche Folgen hat das für die Unternehmen?
    Kramer: Na ja, es hat für die Unternehmen die Folgen, dass der Fachkräftemangel, der in Zukunft eintreten wird, nun vorgezogen wird und noch früher stattfinden wird. Wir müssen uns in Deutschland schon sehr genau überlegen, wie wir die volkswirtschaftliche Leistungskraft aufrecht erhalten. Wenn wir heute etwa 43 Millionen Menschen in Beschäftigung haben in Deutschland und in Zukunft in den nächsten zehn, 15 Jahren etwa vier Millionen weniger Erwerbstätige in Deutschland haben werden, weil die geburtenstarken Jahrgänge in die Rente eintreten, dann muss man darauf reagieren. Das bedeutet, man muss noch mehr Menschen in die Arbeit hineinbekommen. Also man muss aufpassen, dass nicht so viele Jugendliche unversorgt bleiben und als nicht ausbildungsreif aus der Schule entlassen werden.
    Schröder: Da sind dann ja auch die Unternehmen gefragt?
    Kramer: Ja, aber dass sie als nicht ausbildungsreif aus der Schule kommen, ist nun auch nicht direkt unser Problem – wir müssen mit den Folgen leben, da haben Sie allerdings Recht. Und wir bemühen uns ja auf die ein oder andere Weise, das nachzuholen, was in der Schule nicht stattgefunden hat. Aber das Gesamtproblem muss man im Auge behalten. Dazu gehört eben auch, dass man versucht, die Menschen so lange wie möglich im Arbeitsleben zu halten. Und dazu gehört eben auch, dass man die Lücke, die sich mathematisch einfach öffnen wird, versucht zu schließen. Es sei denn, Deutschland möchte sich darauf einstellen, einfach in Zukunft mit vier Millionen weniger Menschen erwerbstätig zu sein. Das würde allerdings Schwierigkeiten bedeuten bezüglich aller unserer Sozialleistungen, denn die Anzahl der Rentner steigt ja gleichzeitig, während die Erwerbstätigen weniger werden. Das wird Schwierigkeiten bringen bei den gesamten Strukturmaßnahmen, die wir halten, die Infrastruktur. Alles muss sozusagen von weniger Menschen aufrecht erhalten werden. Das wird nicht funktionieren. Also ist unser Interesse daran, möglichst viele Menschen im Arbeitsleben zu halten, um die Leistungsfähigkeit dieser gesamten Volkswirtschaft hochzuhalten.
    Schröder: Nun denkt ja die Bundesregierung auch darüber nach, den Rentenausstieg flexibler zu gestalten, heißt: Wer länger arbeiten will, der soll das künftig einfacher tun können. Ist das der richtige Schritt?
    "Um die zehn Prozent Auszubildende in unserem Unternehmen"
    Kramer: Das ist in jedem Fall richtig. Es ist ein alter Wunsch, und das ist ein richtiger Schritt, und da wird richtig drauf reagiert.
    Schröder: Herr Kramer, Sie sind ja selbst Unternehmer. Werden Sie denn im kommenden Jahr weniger investieren, weniger neue Leute einstellen wegen Rentenpaket und Mindestlohn?
    Kramer: Ich stelle doch nicht weniger Leute ein, weil dieses Problem entsteht. Ich versuche natürlich den Zustand der Leistungsfähigkeit meines Unternehmens auch hochzuhalten, das ist doch klar. Wir stellen seit eh und je eine hohe Anzahl von Auszubildenden ein. Wir haben immer um die zehn Prozent Auszubildende in unserem Unternehmen, woraus wir den Nachwuchs im Grunde genommen fürs eigene Unternehmen schöpfen. So machen das andere Unternehmen auch. Aber wir sind natürlich auch daran interessiert, dass die älteren Mitarbeiter, so lange sie möchten und dem Unternehmen hilfreich sein können, auch im Unternehmen bleiben – ist doch klar.
    Schröder: Ab dem 1. Januar gilt ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro. Die einen sagen: "Das ist ein Job-Killer!" Die anderen sagen: "Das ist endlich der richtige Schritt, um Hungerlöhne zu bekämpfen!" Was sagen Sie?
    Kramer: Also der Mindestlohn trifft nicht die Breite der deutschen Wirtschaft. Überall da, wo es Tarifverträge gibt – so wie in meiner Branche, der Metall- und Elektroindustrie –, sind wir weit entfernt von dem, was im Moment an Mindestlohn im Raum steht. Aber es gibt in Deutschland Regionen und es gibt in Deutschland Branchen, die am heutigen Tage noch mit den Gewerkschaften vereinbarte Tarifverträge haben, die Löhne haben, die unterhalb dem angestrebten Wert von 8,50 Euro liegen. Also abgestimmte Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, das heißt doch nichts anders, als dass es Regionen und Branchen gibt, in denen höhere Löhne zurzeit nicht am Markt unterzubringen sind. Höhere Löhne bedeutet immer auch, dass die Dienstleistung oder das Produkt, das damit erwirtschaftet wird, teurer werden wird. Und wenn man Sorge hat, dass dieser Preis für dieses Produkt oder diese Dienstleistung am Markt nicht unterzubringen ist, dann gibt es ein Problem mit diesen Löhnen. Das heißt, aus unserer Sicht wird es Regionen und Branchen geben, in denen dann auch die Arbeitslosigkeit zunehmen wird.
    Schröder: Aber gerade tariflich fixierte Löhne von weniger als 8,50 Euro, die können ja noch zwei Jahre in Kraft bleiben. Also reichen diese Übergangsfristen, die die Regierung eingezogen hat, nicht aus, damit sich die Unternehmen darauf einstellen können?
    Kramer: Also das ist eine Hilfestellung – ob es dann reichen wird, werden wir in zwei Jahren sehen. Ich hoffe, dass wir nicht allzu viele Einschläge haben, aber ich befürchte, wir werden in ganzen Bereichen steigende Arbeitslosigkeit haben.
    Schröder: Wie viele Jobs könnten verloren gehen?
    Kramer: Das ist Spekulation. Fragen Sie einen Volkswirt, was sich übermorgen entwickelt und Sie kriegen von zehn Volkswirten zwölf verschiedene Antworten. So ist das mit den Prognosen.
    Schröder: Fünf Millionen Beschäftigte, so errechnen Arbeitsmarktexperten, verdienen derzeit weniger als 8,50 Euro. Ist das nicht ein Luxus, den sich ein reiches Land wie Deutschland nicht mehr leisten können sollte, sondern haben die Gewerkschaften nicht Recht, wenn sie sagen: "Arbeit muss auch zum Leben reichen"?
    Kramer: Ich hatte gerade erklärt, es gibt Gewerkschaften, die genau solche Löhne vereinbart haben, die noch heute gelten. Das heißt, die Gewerkschaften haben in diesen Regionen oder in diesen Branchen genau erkannt, was machbar ist und was nicht machbar ist.
    Schröder: Das heißt, Sie würden sagen: Auch mit Löhnen mit weniger als 8,50 Euro sollten wir uns abfinden?
    Staatlicher Mindestlohn lässt Marktmechanismen außen vor
    Kramer: Nein, das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, dass möglichst viele Menschen von dem Geld leben können, was sie erwirtschaften. Aber wenn es Regionen und Branchen gibt, wo die Preise am Markt nicht erzielbar sind, dann haben sie nur zwei Alternativen: Entweder die Menschen werden arbeitslos oder, wie in der Agenda 2010 einmal beschlossen unter dem Stichwort "Wir finanzieren lieber Arbeit als Arbeitslosigkeit", der Staat gibt einen Obolus dazu. Das war die Regel, die vor zehn Jahren erfolgreich eingeführt wurde und in Deutschland zu einer ganz besonders hohen Beschäftigtenzahl geführt hat.
    Schröder: Nun sind Mindestlöhne in Deutschland ja auch kein Fremdwort. Es gibt zahlreiche Branchen, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften Mindestlöhne vereinbart haben. Sehen Sie da Hinweise, dass da massenhaft Jobs verloren gegangen sind?
    Kramer: Nein, überhaupt nicht, weil in jedem Tarifvertrag Mindestlöhne vereinbart werden. Und wir haben, ich glaube, 14.000 laufende Tarifverträge zurzeit. Und jeder einzelne Tarifvertrag – auch meiner – hat Mindestlöhne. Nur diese Mindestlöhne sind zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften entsprechend der Marktmöglichkeiten gemeinsam ermittelt worden. Und an dieser Stelle des staatlich verordneten Mindestlohns – nur um den geht es –, hat der Staat entschieden: 'Wir lassen mal die Marktmechanismen außen vor, wir entscheiden jetzt, was am Markt umzusetzen ist und was nicht.' Na, hoffentlich klappt das.
    Schröder: Das Interview der Woche mit Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände. Herr Kramer, in dieser Woche hat Arbeitsministerin Andrea Nahles einen Gesetzentwurf für die Tarifeinheit vorgelegt: "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag". Dieses Prinzip, dass 2010 vom Bundesarbeitsgericht gekippt wurde, das soll nun gesetzlich verankert werden. Warum ist das für Sie so wichtig?
    Ein streikender Lufthansa-Pilot im April 2014 in Frankfurt am Main
    Ein streikender Lufthansa-Pilot im April 2014 in Frankfurt am Main (afp / Daniel Roland)
    Kramer: Na ja, weil es bis 2010 etwa 60 Jahre lang sehr erfolgreich die Arbeitsbeziehungen in Deutschland gestaltet hat. Und im Jahre 2010 hat das Bundesarbeitsgericht alle früheren Entscheidungen in dieser Sache umgedreht und plötzlich das Gegenteil entschieden. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie das in der Juristerei möglich ist, dass man, ohne dass sich Gesetze ändern, plötzlich das Gegenteil von dem entscheidet, was man gestern entschieden hatte. Aber es ist so gekommen. Und das Einzige, was jetzt im Grunde genommen mit diesem Gesetzentwurf wieder vorbereitet wird ist, dass der Zustand, der bis 2010 60 Jahre lang erfolgreich in Deutschland funktioniert hat, wieder hergestellt werden soll.
    Schröder: Es geht ja dabei darum, die Macht der kleineren Berufsgewerkschaften, etwa die der Piloten, der Lokführer, der Krankenhausärzte, einzugrenzen.
    Kramer: Nein, darum geht es nicht!
    Schröder: Sondern?
    Kramer: Entschuldigung, dass ich dazwischenrede. Denn die Pilotengewerkschaft wie auch die Ärztegewerkschaft gab es bereits vor 2010 und sie haben erfolgreich ihre Politik gemacht. Es geht darum, dass sich nicht um ein und denselben Arbeitnehmer in einem Unternehmen zwei Gewerkschaften streiten und sozusagen ihren Streit auf dem Rücken der Unternehmen und der Kunden durch Streiks ausüben. Das ist das Problem, was wir versuchen müssen zu vermeiden. Die kleineren Gewerkschaften haben sehr erfolgreich auch vor 2010 ihre Arbeit gemacht – allerdings immer dann, wenn sie auch für ihren Bereich die stärkste Gewerkschaft waren. Und das trifft gerade auf die von Ihnen genannten Beispiele der Ärzte und der Piloten zu.
    Schröder: Das wird man noch zeigen müssen, welche Folgen das hat. Aber Sie plädieren doch sonst immer so gerne für Wettbewerb – was ist so schlimm daran, wenn es den auch unter Gewerkschaften gibt?
    Kramer: Weil Wettbewerb voraussetzt, dass er – wie das mit der Wirtschaft gehandelt wird – immer auch Regeln sich unterwerfen muss. Und diese Regeln, die galten ja bis vor Kurzem. Diese Regeln wurden einfach aufgelöst. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie es dazu kommt, dass man Regeln einfach auflöst ohne eine Gesetzesänderung, aber das ist nun mal 2010 passiert. Wir machen nichts anderes – wenn ich das richtig verstehe, sieht das die Arbeitsministerin genauso –, als den Zustand, der bis 2010 gegolten hat und eine beispielhafte Entwicklung in Deutschland, was die volkswirtschaftliche Entwicklung angeht, seit dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht hat, den wieder herzustellen. Das Gegenteil haben Sie vor Jahrzehnten in England erlebt, wo ein Unternehmen permanent von irgendeiner Seite, von irgendeiner Gewerkschaft bestreikt wurde, am Ende hat es zur Deindustrialisierung weiter Bereiche in England geführt. Und Sie erleben das heute noch teilweise in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, wo Gewerkschaften miteinander so sehr im Konflikt liegen, dass dadurch ganze Betriebe lahmgelegt werden, die diesen Konflikt auch nicht lösen können, weil es ein Konflikt zwischen zwei Gewerkschaften ist.
    Schröder: Verfassungsrechtler sagen: "Hier wird per Gesetz ein Grundrecht angegriffen, das in der Verfassung garantiert ist: Das Recht auf Koalitionsfreiheit." Beeindruckt Sie das nicht?
    Kramer: Nein, das beeindruckt mich nicht, weil es Verfassungsrechtler gibt, die das behaupten und es gibt andere Verfassungsrechtler, die das Gegenteil behaupten. Und so haben wir es eben in der Juristerei: Wenn sie fünf Anwälte fragen, kriegen sie sechs verschiedene Meinungen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Und wir werden, wie in nahezu allen anderen Fällen von Gesetzgebungsmaßnahmen, immer damit rechnen müssen, dass der eine oder andere sein Recht wahrnimmt – zurecht – und vor dem Verfassungsgericht klagt, und dann wird das Verfassungsgericht entscheiden müssen, ob ein Gesetzentwurf grundgesetzfest ist oder nicht. Ich bin kein Jurist, ich kann das nicht beurteilen, aber es haben so viele hochvermögende Juristen aus verschiedenen Ministerien daran mitgewirkt, dass ich großes Vertrauen darin habe, dass die Gesetzesmaßnahme auch grundgesetzfest ist.
    Schröder: Aber klar ist doch, dass Gewerkschaften, die nicht die Mehrheit stellen, aber vielleicht eine relevante Minderheit vertreten, die haben, wenn das Mehrheitsprinzip im Betrieb gilt – das ist ja das Ziel: Nur noch die Mehrheitsgewerkschaften sollen einen Tarifvertrag abschließen können –, die haben dann dort nichts mehr zu melden.
    Kramer: So hat es 60 Jahre lang, bis zum Jahre 2010, fabelhaft funktioniert.
    Schröder: Wäre das denn so schlimm, wenn ein Arbeitgeber mit mehreren Gewerkschaften verhandeln müsste? Das ist ja derzeit auch schon durchaus Realität. Zum Beispiel im Öffentlichen Dienst, da verhandeln ver.di und der Beamtenbund bei den Sozialversicherungen; selbst bei der Bundesbank wird das praktiziert und offenbar ohne gravierende Probleme aufzuwerfen?
    Kramer: Gegenfragen: War es denn so schlimm die letzten 60 Jahre?
    Schröder: Die Realität hat sich vielleicht verändert – es gibt mittlerweile Berufsgewerkschaften, die eine doch beachtliche Anzahl von Mitgliedern haben.
    Kramer: Ja, aber die Frage ist nicht, ob sie eine beachtliche Anzahl von Mitgliedern haben, sondern wer die stärkere Gewerkschaft in einem Unternehmen ist. Sie müssen sich als Unternehmen ja darauf einstellen können, dass wenn sie mit einer Gewerkschaft einen Vertrag abschließen, der eine Laufzeit von üblicherweise irgendwo zwischen zehn und 20 Monaten hat, dass während dieser Vertragslaufzeit auch der andere Teil des Vertrages eingehalten wird, nämlich dass es einen Betriebsfrieden gibt und man planmäßig seine Kunden bedienen kann. Wenn sie das nicht mehr können, weil die Planbarkeit verloren geht – denn aus irgendeiner Ecke kann zu jederzeit irgendjemand einen Betrieb stilllegen –, wie sollen sie denn dann noch irgendwelche Verträge mit ihren Kunden eingehen? Das können sie nicht machen.
    Schröder: Das Interview der Woche mit Ingo Kramer, dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Herr Kramer, die Konjunktur schwächelt, die Auftragsbücher der Unternehmen sind nicht mehr ganz so prall gefüllt. Ist das nur eine Delle oder droht ein Ende des Aufschwungs?
    Langsam wende sich die Konjunktur in der EU zum Positiven
    Kramer: Ich bin Unternehmer und Unternehmer sind Optimisten, deswegen spreche ich lieber von einer Delle als vom Ende des Aufschwungs. Wir unterliegen verschiedenen Einflüssen zurzeit, die wir auch nicht selber beeinflussen können. Beispielsweise Unsicherheiten, die aus dem Ausland kommen, Unsicherheiten durch die unklare Situation gar nicht so weit östlich von hier, Konflikte zwischen der Ukraine und Russland, Unsicherheiten, die aus dem arabischen Raum durch terroristische Einflüsse kommen, aber auch Unsicherheiten dadurch, dass die Europäische Union in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung nicht so schnell in Gang kommt, wie wir uns das alle wünschen. Das sind Einflüsse, unter denen immer eine Wirtschaft liegen wird, die können sich aber auch zum Positiven wenden. Gerade in der Europäischen Union sehe ich, dass es – vielleicht langsamer als erhofft, aber doch – sich langsam zum Positiven wendet. Wir müssen nur aufpassen, dass wir die Entscheidungen, die wir im eigenen Land fällen können, wo wir also mit keinem Finger auf andere zeigen können, dass wir die so treffen, dass die Wettbewerbsfähigkeit bei uns nicht beeinträchtigt, sondern gestärkt wird, dass wir Möglichkeiten von Aufschwungphasen auch wirklich erfolgreich nutzen können für unsere Wirtschaft. Dann muss man sich keine Sorgen machen. Nein, ich sehe eher eine Delle als eine langfristige wirtschaftliche Schwierigkeit auf uns zukommen.
    Schröder: Wie stark treffen die Russland-Sanktionen die Deutsche Wirtschaft?
    Kramer: Das ist sehr stark unterschiedlich von Branche zu Branche, von Unternehmen zu Unternehmen. Es wird Unternehmen geben – und es gibt sie heute schon –, die davon stärker betroffen sind, und es gibt ganze Branchen, die gar nicht davon betroffen sind. Das ist sehr individuell verschieden. Wir müssen sehen, dass das Handelsvolumen, das wir mit Russland haben, in den letzten Jahren etwa dem entspricht, was wir mit Holland haben.
    Schröder: Also für Sie kein Grund, die Sanktionen infrage zu stellen?
    "Zu ganz normalen Handelsbeziehungen wieder zurückkehren"
    Kramer: Nein, nein, das ist überhaupt nicht der Maßstab. Der Maßstab, ob wir Sanktionen infrage stellen oder nicht, ist, ob die politische Grundhaltung der EU und damit auch die der Bundesregierung richtig oder falsch ist. Und die halte ich für richtig, weil sie, glaube ich, im Moment nicht viele Alternativen haben dazu. Wenn sie Grenzen mit militärischer Gewalt verändern, dann können wir als Unternehmer auch nicht immer davon ausgehen, dass andere Rechtszustände – bezogen auf Investitionen oder Handelsverträge – gültig sind. Also das Recht ist nicht teilbar. Entweder man hält sich an Rechtszustände oder man hält sich nicht dran.
    Schröder: Nun ist eine Lösung der Krise ja nicht in Sicht, sogar von einer Verschärfung der Sanktionen ist die Rede. Das würden Sie also auch mittragen?
    Kramer: Meine Hoffnung ist, dass all diese politischen Aktivitäten, die stattfinden, die meines Erachtens auch mit relativ enger Kontaktpflege mit Russland stattfinden, eines guten Tages und eines hoffentlich nicht so fernen Tages dazu führen, dass wir wieder zu friedlichen Umständen in unserer Nachbarschaft kommen und damit auch zu ganz normalen Handelsbeziehungen wieder zurückkehren können. Das ist das Entscheidende.
    Schröder: Herr Kramer, wir haben über Rente und Mindestlohn gesprochen, die Russland-Sanktionen, das sind ja alles Faktoren, die die Wirtschaft belasten. Was kann denn die Bundesregierung tun, damit die Konjunktur angekurbelt wird?
    Kramer: Die Bundesregierung könnte sich darauf konzentrieren, dass sie keine weiteren Maßnahmen ergreift, die die Wirtschaft belasten, die Flexibilität der Wirtschaft, die gerade, wenn die Zeiten etwas unsicherer werden, von besonders großer Bedeutung ist. Dass man sich möglichst schnell auf sich verändernde Marktbedingungen einstellen kann, das ist wichtig für uns. Also all so etwas zu unterlassen, was dieses beeinträchtigt und gleichzeitig Dinge befördert, die die Wettbewerbsfähigkeit steigern, die die Investitionsbereitschaft steigern. Auf dem einen Gebiet werden die ersten Schritte gemacht: Der Bundesfinanzminister hat im Rahmen seines Haushaltes, in dem er ohne Neuverschuldung auskommen will, weitere zehn Milliarden Euro für Investitionen für die nächste Jahre zur Verfügung gestellt.
    Schröder: Reicht das?
    Kramer: Das ist ein wichtiger Schritt, weil es auch ein wichtiges Signal ist. Wirtschaft besteht immer noch – da hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert –, was die Zukunftsentwicklung angeht, zur Hälfte aus Psychologie. Das heißt, wenn wir das Gefühl haben, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen uns in unserer Aktivität unterstützen, dann steigert das am Ende auch die Investitionsbereitschaft und den Mut, sich wieder auf neue Märkte hinzubewegen. Und wenn das Gegenteil der Fall ist, dann ist man vorsichtig und hält sein Pulver trocken. Das macht jeder Privatmann so und das macht die Wirtschaft nicht viel anders.
    Schröder: Sie fordern sozusagen ein Belastungsmoratorium: Die Regierung soll alles unterlassen, was die Wirtschaft in Zukunft belasten könnte. Das haben Sie auch auf dem Arbeitgebertag schon getan.
    Kramer: Richtig, genau.
    Schröder: Mit Blick auf Pläne der Arbeitsministerin, zum Beispiel Zeitarbeit und Werkverträge zu regulieren oder auch die Frauenquote, finden Sie bei der Regierung kein Gehör mehr?
    Kramer: Also bei der Regierung finden wir zunehmend Gehör, denn die Regierung übernimmt seit einiger Zeit einen Satz, den ich schon oft gesagt habe seit meiner Antrittsrede, nämlich: "Wir müssen wieder mehr ans Erwirtschaften denken, bevor wir ans Verteilen denken!" Diese Formulierung können Sie heute in verschiedenen Reden der verschiedensten Minister hören. Das ist allerdings eine Entwicklung der letzten Monate, und von daher ist mir schon klar, dass Verantwortungsträger in der Politik das Problem erkannt haben, sich aber ein bisschen in der Bredouille befinden, weil sie mit einem Koalitionsvertrag leben müssen, den sie zu einer Zeit geschlossen haben, wo sie scheinbar den Eindruck hatten, das könnte auch umgekehrt gehen: Man könnte verteilen, ohne ans Erwirtschaften zu denken. Und jetzt sehen wir, dass das nicht funktioniert, also versucht die Regierung den Koalitionsvertrag einzuhalten, ohne dabei der Wirtschaft noch mehr Belastung angedeihen zu lassen. Das ist eine Gratwanderung, die nicht ganz einfach sein wird für die Regierung.
    Schröder: Die Bundeskanzlerin hat auf dem Arbeitgebertag bestätigt: "Ja, wir werden die Zeitarbeit regulieren." Im Gespräch ist eine Obergrenze von 18 Monaten, nach neun Monaten sollen Zeitarbeiter in Zukunft dann gleich bezahlt werden wie Stammbeschäftigte. Was wäre so schlimm daran?
    Kramer: Also der letzte Punkt, den Sie angesprochen haben, da gibt es längst Tarifvereinbarungen, die – wenn ich das richtig weiß – für nahezu alle Zeitarbeiter gelten. Es gibt längst Tarifvereinbarungen in unseren Unternehmen, die die Bezahlung von Leiharbeiten entsprechend den Umständen in dem entleihenden Betrieb geregelt haben.
    Schröder: Also muss Sie das ja nicht schrecken?
    Kramer: Da brauchen wir jedenfalls keine gesetzlichen Regelungen. Es gibt einen Grundsatz, den wir Arbeitgeber eigentlich gerne nach vorne tragen: Alles das, was wir mit den Gewerkschaften vereinbaren können oder längst vereinbart haben, da sollte sich die Regierung raushalten. Sie ist einfach marktferner, als wir mit unseren Gewerkschaften sind. Auch wenn wir mit den Gewerkschaften häufig unterschiedliche Ansichten haben, sitzen wir doch etwas dichter gemeinsam an den Markterfordernissen und treffen deswegen ja auch solche Vereinbarungen. Und wenn es dabei bleibt, wie es angedacht ist, dass die 18 Monate Entleihzeit mit reichlich Ausnahmen versehen sind, dann werden wir damit besser leben können, als wenn diese Ausnahmen wieder kassiert werden. Es wird nachher am Ende sehr stark darauf ankommen, wie so ein Gesetz im Detail wirklich aussieht. Die Bundeskanzlerin hat nicht nur gesagt: "Das Gesetz zur Regelung der Zeitarbeit wird kommen", sondern sie hat auch gesagt: "Es wird nichts darüber hinaus kommen, was nicht wortwörtlich im Koalitionsvertrag drin steht." Und daran werden wir das messen.
    Schröder: Kommen wird aber die Frauenquote. Die Kanzlerin hat gesagt: "Die vielen Jahre der Selbstverpflichtung der Wirtschaft, die haben nichts gebracht, jetzt muss das gesetzlich geregelt werden." Klingt plausibel, oder?
    "Pauschale Lösungen, die alles über einen Kamm scheren, führen meistens zu Kollateralschäden"
    Kramer: Weiß ich nicht, ob das plausibel klingt. Selbst die Gewerkschaften haben sich teilweise erheblich engagiert dagegen ausgesprochen, weil sie plötzlich erkannt haben, dass es in Betrieben, in denen generell wenig Frauen arbeiten, schwierig sein wird, aus diesen Belegschaften heraus Aufsichtsratsmandate für Frauen zu organisieren, wenn sie gar keine Frauen im Unternehmen haben. Das ist nicht so einfach, das müssen sie erstmal hinkriegen. Das heißt, es hängt auch sehr stark davon ab, in welcher Branche wie viele Frauen überhaupt tätig sind. Und es gibt nun mal Frauen, die sich in der einen Branche stärker sammeln und in einer anderen weniger sammeln. Das wird aber jetzt wieder pauschal gelöst vom Staat. Und pauschale Lösungen, die alles über einen Kamm scheren, führen meistens zu Kollateralschäden – so ist das.
    Schröder: Also werden da einige Aufsichtsratssitze in Zukunft frei bleiben?
    Kramer: Glaube ich nicht. Ich glaube, man wird sie besetzen, aber ob man sie so nach Kompetenz besetzen und Erfahrung besetzen wird, das kann im Einzelfall mit Zweifeln verbunden sein.
    Schröder: Die CDU hat auf ihrem Parteitag in dieser Woche beschlossen: "Ja. Wir wollen die Kalte Progression bekämpfen!" Gleichzeitig sagt der Bundesfinanzminister: "Die schwarze Null, die muss aber stehen!" Also ein bloßes Lippenbekenntnis?
    "Wir sind in der wirtschaftlichen Lage, ohne Kreditaufnahme auszukommen"
    Kramer: Nein, nein, nein, nein, überhaupt nicht. Ich teile sehr die Überzeugung des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung insgesamt der Nettokreditaufnahme = Null, also keine neuen Kredite aufzunehmen, wenn man sich sowieso in einer solch starken Steuereinnahmesituation befindet, wir wir das zurzeit haben. Also in der Zeit keine neuen Kredite aufzunehmen, ist eine Frage der Verantwortung gegenüber der nächsten Generation, auch eine Frage der Ehrlichkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung und übrigens auch den Nachbarstaaten, denen wir genau das alles empfehlen. Also man darf nicht selber Wasser predigen und Wein trinken. Wir sind in der wirtschaftlichen Lage, ohne Kreditaufnahme auszukommen. Wir sind noch weit entfernt von dem Maastricht-Standard mit 60 Prozent, dahin müssen wir uns entwicklen, und das hat der Bundesfinanzminister, denke ich, sehr gut aufgestellt.
    Schröder: Das heißt, im Zweifel würden Sie sagen: Dann lieber auf Steuerentlastung verzichten?
    Kramer: Nein, im Zweifel würde ich sagen: Man muss die Prioritäten setzen, dass man sowohl das Eine wie auch das Andere machen kann. Es ist keine drei Monate her, da haben mich Ihre Kollegen immer wieder gefragt: "Aber wie wollen Sie denn die Investitionen erhöhen, wenn Sie keine Steuererhöhungen haben wollen?" Und ich habe gesagt: "Nun bin ich ja kein Spezialist in allen Detailetats des Bundeshaushaltes, aber es ist eine Frage der Prioritätensetzung." Und genau das ist passiert. Wenige Wochen später hatten wir einen Haushaltsentwurfes des Bundesfinanzministers, der eben keine Steuererhöhung und keine Kreditaufnahme vorsieht, aber plötzlich zehn Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen kann. Es ist eine Frage, die Prioritäten richtig zu setzen. Das kann man tun – und die Aufforderung gilt natürlich.
    Schröder: Und die Prioritäten liegen bei Ihnen dann eher bei zusätzlichen Investitionen?
    Kramer: Zusätzliche Investitionen sind wichtiger als das eine oder andere, was an sozialpolitischen Maßnahmen vielleicht wünschenswert ist, aber eben nicht erwirtschaftet wird – und die kalte Progression gehört für mich auch dazu. Wenn ich Tarifverhandlungen mit der IG Metall in den letzten zehn Jahren geführt habe und mir immer wieder klar war, dass die Erhöhung, die wir vereinbart haben, eben nicht zu einem großen Teil den Mitarbeitern – auch meinen Mitarbeitern – zugute kommt, sondern zum überwiegenden Teil dem Staat zugute kommen, dann ist das eigentlich nicht der Sinn unserer Tarifverhandlungen gewesen. Die Tarifverhandlungen hatten eigentlich den Sinn und Zweck, den Mitarbeitern mehr zukommen zu lassen.
    Schröder: Herr Kramer, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Kramer: Gern geschehen. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.