Die Chancen, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Gesetz kippen wird, sieht Baumann-Hasske gut. Er sieht den Zwang für kleinere Gewerkschaften, sich in Tarifauseinandersetzungen der Mehrheitsmeinung anzuschließen, kritisch. Das Gesetz zur Tarifeinheit ist in seinen Augen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Im Deutschlandfunk sagte er: "Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf nachher dazu führen wird, dass die Rechte vor allen Dingen kleinerer Gewerkschaften in unzulässiger Weise beschnitten werden."
Dass sich seine Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen innerhalb der SPD mit dieser Auffassung nicht habe durchsetzen können, erklärte Baumann-Hasske mit den ganz unterschiedlichen Standpunkten, die es zu diesem Thema innerhalb der partei gebe. Auch im Gewerkschaftslager gebe es solche unterschiedlichen Ansichten. So fände der Deutsche Gewerkschafts-Bund das Gesetz gut, weil er eher davon profitieren würde. Das Gesetz mache seinen Gewerkschaften das Leben leichter. "Aber das sollte nicht das Ziel der Gesetzgebung sein", so Baumann-Hasske.
Der SPD-Politiker sieht auch die Gefahr, dass Unternehmen ihre Betriebe so zurechtschneiden, dass die ihnen genehme Gewerkschaft dort die Mehrheit hat. Diese sei nicht unbedingt betriebswirtschaftlich entscheidend, könne aber Einfluss haben.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Nach monatelangen Diskussionen hat es die Große Koalition geschafft: Das Gesetz zur Tarifeinheit wurde gestern vom Kabinett auf den Weg gebracht. Tarifeinheit, das heißt: Wenn Gewerkschaften in einem Betrieb konkurrieren, dann soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die über die meisten Mitglieder verfügt. Ist das ein Verstoß gegen die Verfassung, gegen das Recht auf die Tarifautonomie, und wie sozialdemokratisch ist so ein Gesetz? Darüber hat mein Kollege Gerd Breker mit Harald Baumann-Hasske gesprochen. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen. Erste Frage: Ist der Gesetzentwurf mit dem Grundrecht der Tarifautonomie vereinbar?
Harald Baumann-Hasske: Das halte ich für problematisch. Ich glaube, dass er nicht damit vereinbar ist. Wir haben in Artikel neun Absatz drei die Koalitionsfreiheit und darin enthalten den Grundsatz der Tarifautonomie, und ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf nachher dazu führen wird, dass die Rechte vor allen Dingen kleinerer Gewerkschaften in unzulässiger Weise beschnitten werden.
Gerd Breker: Herr Baumann-Hasske, schon Mitte November haben Sie vor diesem Gesetz gewarnt. Hat die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen keinen Einfluss auf die sozialdemokratische Sozialministerin? Werden Sie nicht gehört?
Baumann-Hasske: Ich denke schon, wir werden gehört, aber Sie wissen aus der allgemeinen Diskussion, die ja auch in den Medien wahrgenommen wird, dass es da ganz unterschiedliche Standpunkte gibt, und es ist nicht nur eine Auseinandersetzung innerhalb der SPD. Sie haben ja auch aus dem Gewerkschaftslager ganz unterschiedliche Ansichten dazu. Deswegen denke ich, natürlich ist die andere Position vertretbar, aber ich halte sie nicht für unproblematisch.
Baumann-Hasske: Tarifeinheit macht großen Gewerkschaften das Leben einfacher
Breker: Sie haben es gesagt: Drei der acht Gewerkschaften lehnen das Vorhaben ab. Das scheint, die SPD aber nicht zu beeindrucken. Der Beifall der Arbeitgeber scheint, wichtiger zu sein.
Baumann-Hasske: Na ja, es ist ja nicht nur der Beifall der Arbeitgeber. Der DGB und eine ganze Reihe weiterer Gewerkschaften finden das auch gut und richtig. Es ist eine Position, die vor allen Dingen für größere Gewerkschaften oder für Gewerkschaften, die in Betrieben mit vielen Mitgliedern vertreten sind, natürlich auch ein Schritt in eine Richtung hinein, die ihnen das Leben einfacher macht. Nur das sollte eben nicht das Ziel der Gesetzgebung sein.
Breker: Wer erinnert denn eigentlich künftig die Arbeitgeber daran, ihre Betriebe so zu strukturieren, dass die ihnen genehme Gewerkschaft auf jeden Fall die Mehrheit hat?
Baumann-Hasske: Im Grunde hindert sie niemand daran. Die Gefahr, dass auch solche Gestaltungsmöglichkeiten wahrgenommen werden, ist zweifellos vorhanden, nur dass Gestaltungsmöglichkeiten für sich genommen natürlich noch nicht unbedingt betriebswirtschaftlich entscheidend sind. Aber es kann Einfluss haben.
Breker: Das Gesetz wird, so haben es ja schon einige Spartengewerkschaften angekündigt, nach Karlsruhe wandern und die Chancen sind gar nicht so schlecht, dass Karlsruhe es kippen wird.
Baumann-Hasske: Ja, das sehe ich auch so. Ich denke, dass da tatsächlich hoch problematische Regelungen enthalten sind, dass der Zwang der kleineren Gewerkschaft, sich im Rahmen der Auseinandersetzungen der Mehrheitsmeinung anzuschließen, ohne möglicherweise auch entsprechend Einfluss genommen zu haben, möglicherweise mit der Verfassung nicht vereinbar ist.
"Nicht viel Sinn, das zu personalisieren"
Breker: Und dann hätte eine sozialdemokratische Sozialministerin gegen ihr Prinzip, was Sie genannt haben - ich habe es eben zitiert -, dass es Ziel sozialdemokratischer Rechtspolitik sein muss, Grund- und Bürgerrechte zu wahren, dagegen hätte sie verstoßen. Dann kann sie doch eigentlich gar nicht mehr Ministerin bleiben.
Baumann-Hasske: Na ja, ich denke, dass auch unsere Minister, die ja im Allgemeinen recht gut beraten sind, auch Fehler machen können und deswegen nicht gleich zurücktreten müssen oder so. Ich glaube, es geht auch hier um eine Auseinandersetzung in der Sache. Ich glaube, es hat gar nicht viel Sinn, das zu personalisieren. Wir stehen nicht im Wahlkampf und auch wir als sozialdemokratische Juristinnen und Juristen nehmen jetzt keine großen Rücksichten auf unsere Minister, sondern meinen, dass wir gerade an einem solchen Problem immer in der Sache diskutieren sollten.
Breker: Wie erklären Sie sich denn, dass trotz aller Warnungen dieses Gesetz zur Tarifeinheit von Andrea Nahles so forciert wird?
Baumann-Hasske: Ich glaube schon, dass es in der Tat auch aus dem gewerkschaftlichen Lager ja durchaus Interessen gibt, ein solches Gesetz kommen zu lassen, und ich glaube, dass die eben doch den größeren Einfluss gehabt haben als etwa die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen.
Breker: Auslöser sind ja offenbar die Tarifauseinandersetzungen bei der Bahn. Da ist der Bund auch in der Rolle des Arbeitgebers im Spiel. Ist das nicht ein seltsamer Zufall? Riecht das nicht nach einem Gefälligkeitsgesetz?
Baumann-Hasske: Das könnte man aus dem Zusammenhang heraus so verstehen. Nur muss man natürlich auch sagen, dass die Auseinandersetzung selbst ja schon längere Zeit andauert. Sie geht zurück auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2010 und ich denke, dass die Auseinandersetzung bei der Bahn, ich sage mal, in die Gesetzgebungsphase hineingekommen ist, so dass wir da eine Parallelität haben, aber ich glaube nicht Ursache und Wirkung.
Breker: Ist denn eigentlich die These, ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag, ist das noch ein Abbild der Realität heutzutage?
Baumann-Hasske: Wir haben ja ganz unterschiedliche Entwicklungen auch bei den Gewerkschaften. Die großen Gewerkschaften können in den letzten Jahren wieder Zuläufe verzeichnen, aber es gibt natürlich auch eine Tendenz zu mehr Spartengewerkschaften, mehr auf individuelle Berufsbilder zugeschnittene Gewerkschaften. Insofern, denke ich, ist auch die These, die Sie gerade genannt haben, wahrscheinlich so nicht mehr haltbar. Man wird sich dort auf Veränderungen einstellen müssen.
Heinemann: Harald Baumann-Hasske, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.
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