Kirchner nannte den Streik der letzten Tage überzogen. Dass Weselsky ihn nun als Geste der Versöhnung beendet habe, liege auch daran, dass die Unterstützung bei den Beschäftigten und der Bevölkerung nicht mehr da gewesen sei. "Ich hoffe, dass es innerhalb der GDL auch neben ihm Menschen gibt, die realisieren, dass es so nicht weitergehen kann", sagte Kirchner weiter. Er warf der Lokführer-Gewerkschft vor: "Wir haben unsere Position, wer diese nicht einnimmt, den bedrohen wir mit Streik." Bei dieser Haltung sei mit weiteren Streiks zu rechnen.
"Wir halten es für falsch, dass wir für die gleiche Beschäftigungsgruppe in einem Betrieb unterschiedliche Tarifverträge bestehen", sagte Kirchner im Hinblick auf den Konflikt seiner Gewerkschaft mit der GDL. "Wir haben angeboten, eine vernünftige Kooperation einzugehen, wo er (Weselsky) für die Lokführer das Sagen haben soll und demografische. Mehrheitsentscheidungen stehen. Das hat er bisher abgelehnt. Wir hoffen, dass er hier einlenkt und sieht, dass das der richtige Weg ist und wir dazu kommen."
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Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Danke schön, Claus Weselsky! Am Freitag hat der GDL-Vorsitzende ein Zeichen der Versöhnung gesetzt. So beschreibt er jedenfalls selbst den Abbruch des sechsten Lokführerstreiks in Folge binnen weniger Wochen. Der sollte eigentlich erst heute früh zu Ende gehen. Dank Weselsky war aber schon Samstagabend Schluss. Übers Wochenende hatte die Bahn also Gelegenheit, den Zugverkehr allmählich wieder zu normalisieren. Der Tarifkonflikt ist damit aber noch lange nicht zu Ende, und an dem sind nicht nur die GDL und die Deutsche Bahn beteiligt, sondern auch die Eisenbahnergewerkschaft EVG, deren Vorsitzenden ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Alexander Kirchner.
Alexander Kirchner: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Sie fahren gleich mit dem Zug von Frankfurt nach Berlin. Hegen Sie irgendeinen Zweifel daran, dass dieser Zug wirklich fährt?
Kirchner: Nein. Ich glaube, er fährt. Zumindest nach der Anzeige ist er da.
Heuer: Claus Weselsky hat ja das Streikende als Geste der Versöhnung bezeichnet. Wie versöhnungsbereit erleben Sie denn den GDL-Vorsitzenden?
Kirchner: Ja gut, die Auseinandersetzungen der letzten Tage waren schon sehr heftig, und ich glaube, dass er gesehen hat, dass dieser Streik an der Stelle überzogen war und die Unterstützung auch in der Bevölkerung und der Beschäftigten nicht mehr da war, und deshalb es wirklich ein Zeichen der Versöhnung hoffentlich ist und er jetzt bereit ist, wieder ernsthaft zu verhandeln.
Heuer: Sie glauben, der Druck der Öffentlichkeit und der Politik hat Claus Weselsky in die Knie gezwungen?
Kirchner: Nein! Das glaube ich nicht, dass er in die Knie gezwungen worden ist, und es ist nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch bei den Beschäftigten ist die Unterstützung nicht mehr so da, wie das er vielleicht geglaubt hat zu Beginn des Streikes.
"Beschäftigte sind zunehmend polarisiert"
Heuer: Wie erleben Sie denn die Stimmung bei den Bahnmitarbeitern?
Kirchner: Sehr angespannt. Einerseits haben wir schon die letzten Streiks gesehen, dass es zu einer zunehmenden Polarisierung der Beschäftigten kommt, zwischen denen, die streiken, und denen, die nicht streiken. Zum anderen sind natürlich alle sehr gefrustet, weil natürlich die Auseinandersetzung auch mit den Reisenden sehr belastend ist, für diejenigen zumindest, die Dienst machen müssen.
Heuer: Jetzt, Herr Kirchner, geben sich beide Seiten verhandlungsbereit, aber keiner will zu Gesprächen einladen. Setzen die sich jetzt wirklich an einen Tisch?
Kirchner: Ich hoffe doch, dass die Bereitschaft nicht nur vorgespielt ist, sondern dass tatsächlich die Bereitschaft besteht, jetzt wieder vernünftig zu verhandeln, wobei die Kernthemen natürlich nicht gelöst sind.
Heuer: In der Tat. Wer muss einladen zu diesem Gespräch?
Kirchner: Ich weiß zumindest, dass es ein Schreiben gibt der Bahn vom Freitag, glaube ich, wo konkret noch mal ein Vorschlag gemacht worden ist, wie auch die Verhandlungen jetzt weiter ablaufen können. Da sind wir auch einbezogen in diesem Schreiben. Wir haben zurückgeantwortet und haben gesagt, was unsere Voraussetzungen sind, und ich hoffe, dass die GDL jetzt genauso konstruktiv versucht, jetzt zu einer vernünftigen Lösung zu kommen und Ja sagt.
"Wir brauchen eine vernünftige Kooperation der beiden Gewerkschaften"
Heuer: Die Kernthemen, sagen Sie, haben sich ja nicht geändert, sind nicht vom Tisch, und da spielen Sie auch eine Rolle, die EVG. Wieso kommen Sie zu einem solchen Treffen nicht gleich dazu, Herr Kirchner?
Kirchner: Ja gut, die Voraussetzungen, die Herr Weselsky dafür macht, sind ja andere als die, die wir haben. Wir sagen, dass wir es für falsch halten, dass für ein und die gleiche Beschäftigtengruppe in einem Betrieb sogar unterschiedliche Tarifverträge bestehen, und deshalb brauchen wir eigentlich eine vernünftige Kooperation der beiden Gewerkschaften und das haben wir mehrfach angeboten. Bis dato war er dazu nicht bereit, sondern will völlig eigenständig einen eigenen Tarifvertrag verhandeln, der dann dazu führt, dass für gleiche Arbeit nicht mehr gleicher Lohn bezahlt wird.
Heuer: Und an dieser Stelle haken ja alle Verhandlungen. Sie beschreiben es ganz richtig: Im Grunde geht es ja um eine Auseinandersetzung zwischen der EVG und der GDL. Wieso lösen Sie das nicht endlich untereinander?
Kirchner: Erstens ist es nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen GDL und EVG, sondern natürlich auch dem Arbeitgeber.
Heuer: Aber zu den Inhalten mehr Lohn und bessere Arbeitszeiten kommt man ja gar nicht, weil man immer wieder an diesem Punkt stecken bleibt.
Kirchner: Genau. Claus Weselsky will mit aller Macht Tarifpluralität durchsetzen. Das heißt, er möchte gerne, dass es in dem Betrieb oder im Unternehmen verschiedene Tarifverträge für die gleichen Beschäftigten gibt, während wir das für völlig falsch halten. Wir sagen, es kann nicht sein, dass wir Jahrzehnte dafür kämpfen, dass die Menschen gleich bezahlt werden, gleich behandelt werden und jetzt die Spaltung der Belegschaft erfolgt. Wir haben ihm angeboten, mehrfach angeboten, eine vernünftige Kooperation, bei der er sogar für die Lokführer, wo er die Mehrheit der Mitglieder hat, das Sagen haben soll und für die Berufsgruppen, wo er nicht die Mehrheit hat, das sind alle anderen Berufsgruppen, dennoch mit verhandeln kann, seine Interessen anbringt und am Ende demokratische Mehrheitsentscheidungen stehen. Das sollen die Beschäftigten, die davon betroffen sind, also die Summe der Zugbegleiter, dann natürlich entscheiden, was für einen Tarifvertrag wollen wir. Das hat er bisher abgelehnt. Ich hoffe, dass er da einlenkt und bereit wird, langsam zu sehen, dass das der richtige Weg ist, und wir dann zu einer vernünftigen Kooperation auch kommen.
Heuer: Haben Sie persönlich denn Anzeichen dafür, dass Weselsky sich nun doch bewegen möchte in die Richtung, die Sie gerade beschreiben?
"GDL muss realisieren, dass es so nicht weitergeht"
Kirchner: Außer das, was ich auch im Fernsehen gesehen habe, wie er doch auch angespannt dort in den Verhandlungen war und dann diese Erklärung abgegeben hat, habe ich da keine Anzeichen dafür. Aber noch mal: Auch am Freitag haben wir gesagt und erklärt, unter diesen fairen Bedingungen sind wir zu jeder Zeit zu Gesprächen bereit, und damit wäre der Konflikt auch zu lösen.
Heuer: Aber wenn Claus Weselsky diesen Weg nicht beschreiten möchte, dann gibt es nur eine Lösung, wenn Claus Weselsky abtritt, oder?
Kirchner: Das weiß ich nicht, ob er abtreten muss, aber ich hoffe, dass auch innerhalb der GDL es neben ihm noch Menschen gibt, die realisieren, dass es so nicht weitergehen kann, und irgendwann versuchen, einzulenken.
Heuer: Auf wen setzen Sie da Ihre Hoffnungen?
Kirchner: Es gibt da Stellvertreter, es gibt einen Vorstand. Auch in meiner Organisation ist es so, gerade in meiner, dass die Arbeit verteilt ist und dass wir auch in unserem Vorstand sehr kontrovers manchmal zu Themen diskutieren und dann eine gemeinsame Entscheidung treffen. Leider ist es so, dass wohl innerhalb der GDL sich alles sehr stark an dem Vorsitzenden orientiert und wir nicht wissen, ob es da noch Kräfte gibt, die auch bereit sind, mal zu sagen, Stopp, jetzt ist es genug.
Heuer: Können Sie denn der GDL noch mehr anbieten als bisher, um den Konflikt aufzulösen?
Kirchner: Was sollen wir denen noch mehr anbieten, als zu sagen, kommt, lasst uns an einen Tisch setzen und vernünftig miteinander reden? Was sollen wir noch mehr anbieten, als zu sagen, überall dort, wo ihr Mitglieder habt, könnt ihr mit verhandeln und nach demokratischen Grundsätzen könnt ihr natürlich dort, wo ihr Mehrheiten habt, auch die Federführung übernehmen? Was können wir da noch mehr anbieten?
Heuer: Ich weiß es nicht. Ich frage Sie, ob Ihnen noch was einfällt.
Kirchner: Nein. Mir fällt dazu nichts mehr ein.
"GDL streikt, um Machtbereich auszudehnen"
Heuer: Die ersten GDL-Bezirksvorsitzenden, die kündigen ja schon neue Streiks an, wenn die Bahn nicht auf voller Linie einschwenkt auf die Linie der Lokführergewerkschaft. Wann, Herr Kirchner, glauben Sie, stehen die Räder wieder still?
Kirchner: Ja, das ist auch so ein Punkt. Tarifverhandlungen - ich habe die mehrere Jahre gemacht in der EVG - sind immer Verhandlungen, wo es eigentlich darum geht, Kompromisse zu finden, und die Position der GDL ist, wir haben unsere Position und wer nicht unsere Position einnimmt, oder bereit ist, die letztendlich voll umzusetzen, den bedrohen wir mit Streik beziehungsweise da sind wir nicht bereit, unsererseits einen Schritt nach vorne zu gehen. Ich befürchte, wenn diese Haltung weiterhin so besteht, dass es natürlich dann auch zu weiteren Streiks kommen wird. Ob das in dieser Woche passiert oder wie auch immer, da müssen Sie Herrn Weselsky fragen.
Heuer: Machen wir bei nächster Gelegenheit. - Sie, Herr Kirchner, drohen auch mit Streiks im Falle, dass Sie in der Sache nicht weiterkommen mit der Deutschen Bahn. Streiken Sie dann am Ende Seit an Seit mit der GDL?
Kirchner: Erst mal: Streiks sind natürlich legitimes Recht. Deshalb haben wir auch scharf kritisiert, das was die Bahn dort gemacht hat mit der Klage. Das halten wir für völlig falsch. Wir halten diesen Streik, den die GDL bisher betrieben hat, für falsch, weil er sich nicht in der Sache um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen dreht, sondern um den Machtbereich auszudehnen. Wir würden natürlich, auch wenn die Bahn sich verweigert - wir haben eine Forderung und bisher noch kein ausreichendes Angebot in der Sache bekommen -, das auch nicht ausschließen. Aber nur weil die GDL streikt, werden wir nicht streiken, und vor allen Dingen würde es in der Sache um einen Streik gehen, wo es um das Geld und um unsere Forderung geht, und das ist nicht Seit an Seit mit der GDL.
Heuer: Und wer an Weihnachten verreisen will, der sollte jetzt schleunigst Flüge buchen statt Bahntickets kaufen?
Kirchner: Das sage ich nicht. Ich hoffe ja, dass diese Auseinandersetzung bis Weihnachten geklärt ist. Es ist weder für das Unternehmen, noch für die Öffentlichkeit und natürlich erst recht auch für die Beschäftigten nicht gut, wenn eine solche Auseinandersetzung sich so lange hinzieht. Die Menschen wollen auch jetzt mal Klarheit haben und von daher sollten alle Parteien versuchen, möglichst zügig zu einem Ergebnis zu kommen.
Heuer: Alexander Kirchner, der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft EVG. Haben Sie vielen Dank für das Interview, Herr Kirchner.
Kirchner: Vielen Dank, Frau Heuer.
Heuer: Und gute Reise.
Kirchner: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.