Solche Arbeitszeitmodelle seien notwendig, um die Branche in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiv zu machen. Hofmann betonte, dies ginge auch nicht zulasten anderer Arbeitnehmer. Derzeit erlaube sich die Metallbranche, vier Prozent Leiharbeiter zu beschäftigen, zudem stagniere die Ausbildungsquote und die Zahl der prekär Beschäftigten steige. Es gebe also genügend Möglichkeiten, ausreichend Personal zu finden, erklärte der Gewerkschafts-Chef. Die IG Metall hat ihre Mitglieder für heute zu Warnstreiks aufgerufen.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Schon in der vergangenen Woche gab es die ersten Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie. Ab heute werden sie deutlich ausgeweitet, um vor der nächsten Verhandlungsrunde am Donnerstag die Daumenschrauben noch mal anzuziehen.
Die IG Metall fordert für die 3,9 Millionen Beschäftigten sechs Prozent mehr Lohn und die Gewerkschaft will Arbeitszeitmodelle flexibler gestalten. So sollen Beschäftigte in Zukunft für zwei Jahre ihre Arbeitszeit reduzieren können auf 28 Wochenstunden statt der regulären 35 Stunden. Und wer Schicht arbeitet, Kinder betreut oder Angehörige pflegt, der soll dafür sogar einen Lohnausgleich bekommen.
Die Arbeitgeber raufen sich deshalb die Haare. Sie sagen, in Zeiten des Fachkräftemangels sei das kaum zu schaffen und ein Lohnausgleich nicht gerecht. – Darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Vorsitzenden der IG Metall, mit Jörg Hofmann. Guten Morgen!
Jörg Hofmann: Guten Morgen.
Büüsker: Herr Hofmann, der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Oliver Zander, der sprach hier im Deutschlandfunk von einer Stilllegeprämie für Fachkräfte. Können Sie die Sorgen nachvollziehen?
Hofmann: In keiner Weise. Ich halte das, diesen Begriff von Stilllegeprämie, für schlicht und einfach zynisch. Wenn Beschäftigte sich um Kinder sorgen, wenn Beschäftigte Pflegeleistungen erbringen gegenüber Familienangehörigen, oder wenn sie notwendigerweise ihre Gesundheit erhalten, weil Arbeitgeber sie in restriktive Schichtsysteme zwängen, dann geht es nicht um Stilllegeprämie, sondern dann geht es um Erhalt von Fachkräften, die dadurch auch weiter am Erwerbsleben in vollem Umfang teilhaben können.
Büüsker: Und trotzdem müssen ja die Unternehmen ihre Arbeit doch irgendwie getan bekommen. Gesamtmetall geht davon aus, dass das Interesse an dieser reduzierten Arbeit groß sein könnte und letztlich dann auch dazu führen könnte, dass in der Summe die Arbeitskraft von 200.000 Vollzeitstellen fehlt. Halten Sie diese Zahl für realistisch?
Hofmann: Ich halte das für eine ziemliche Horrorzahl, die hier von Gesamtmetall in die Welt gesetzt wird. Wir haben die Beschäftigten befragt. Wir kennen die Anteile derer, die Kinder haben unter 14, die Familienangehörige pflegen müssen, und wir kennen die Inanspruchnahme-Quote. Wir meinen, dass gerade ein Modell, das dazu beiträgt, partnerschaftlich das Thema Pflege anzugehen – und das ist das Ziel unserer Tarifregelung -, eines ist, das in die Zeit passt und die Branche attraktiv macht – eine Branche, die sich bis heute erlaubt, dass nur 20 Prozent der Beschäftigten Frauen sind. Das ist das Manko, wenn man über die Fachkräftesicherung nach vorne denkt.
Reduzierte Arbeitszeit nur für wenige Prozent?
Büüsker: Was glauben Sie denn, beziehungsweise Sie haben die Befragung angesprochen. Mit was für Zahlen rechnen Sie? Wer wird das in Anspruch nehmen?
Hofmann: Da tappen wir alle etwas im Dunkeln. Ich sage, wir haben ungefähr 20 Prozent der Beschäftigten, die heute im Prinzip Kinder unter 14 im Haushalt haben. Für zwei Jahre in Anspruch genommen relativiert sich das natürlich schon mal. Und wie viele dann im Ergebnis diese Option in Anspruch nehmen, da können wir heute keine sicheren Zahlen liefern, sondern ich denke mir sehr wohl, wir werden das mal beobachten müssen, wenn wir diese tarifliche Regelung finden, wie dies auch angenommen wird.
Büüsker: Herr Hofmann, wenn ich ganz kurz einhaken darf? – Sie stellen als Gewerkschaft eine Forderung. Sie werden ja wohl eine grobe Schätzung haben, wie viele das in Anspruch nehmen würden.
Hofmann: Ja. Die grobe Schätzung sagt ungefähr, dass wir damit rechnen, dass wir vier bis fünf Prozent maximale Inanspruchnahme haben, bezogen auf die Gesamtbeschäftigtenzahl.
Büüsker: Und Sie glauben nicht, dass das die Arbeitgeber vor Probleme stellen würde?
Hofmann: Nein! Es gibt selbstverständlich die Möglichkeit, dass Arbeitgeber über flexible Arbeitszeitmodelle auch an dieser Stelle agieren. Sie zeigen Flexibilität, wenn der Kunde es will. Sie zeigen Flexibilität, wenn die Kapitalnutzung erhöht werden soll. Und wir meinen, sie sollen auch Flexibilität zeigen dann, wenn es um die Interessen der Beschäftigten geht.
"Wir haben ein deutliches Zuviel an Flexibilität"
Büüsker: Gesamtmetall verweist ja darauf, dass es auch Menschen gibt, die gerne mehr arbeiten möchten. Wäre das vielleicht ein Kompromiss, 28 Stunden für die einen, die das wollen, und vielleicht 40 Stunden für die anderen, die mehr arbeiten möchten?
Hofmann: Ach wissen Sie, die durchschnittliche Arbeitszeit in der Metall- und Elektroindustrie beträgt heute 39,3 Stunden. Wir haben heute über die ganzen Flexibilisierungsmaßnahmen schon deutlich mehr Arbeitsvolumen in der Hochkonjunktur als das, was die tarifliche Arbeitszeit abgibt. Wir haben das heute in der Regel über Arbeitszeitkonten und das halte ich auch für den schlauen Weg, die bei guten Auftragslagen sich füllen und bei schlechten Auftragslagen sich entleeren und damit auch Beschäftigung sichern. Ich sehe darüber hinaus keine Notwendigkeit, das Arbeitsvolumen weiter auszudehnen.
Büüsker: Mehrarbeit ist für Sie kein grundsätzliches Problem, aber in dieser Diskussion fehl am Platz?
Hofmann: In dieser Diskussion, vor allem über diese Methode des reinen Auszahlens fehl am Platz.
Büüsker: Und wie wollen Sie dann die von den Arbeitgebern ja geforderte Flexibilität sicherstellen?
Hofmann: Die Flexibilität ist ja in hohem Maße heute schon vorhanden. Wir haben die Möglichkeit, dass wir gerade mit Arbeitszeitkonten flexibel agieren. Wir haben die Möglichkeit, dass die Betriebe über die Lage der Arbeitszeit heute ja fast alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ein 24-Stunden-Tag mit sich bringt, einschließlich des Wochenendes. Im Gegenteil: Wir haben eher ein deutliches Zuviel an Flexibilität, wenn es darum geht, Arbeit und Leben noch zusammenzubekommen und damit auch Fachkräfte noch vorne zu halten.
"Lebenslagen, wo solidarische Unterstützung nötig ist"
Büüsker: Das was die Arbeitgeber insbesondere an den Forderungen der IG Metall ja stört, ist der Lohnausgleich für die reduzierte Arbeit. Der soll möglich werden für Schichtarbeiter, für diejenigen, die Erziehung leisten, und diejenigen, die Angehörige pflegen. Die können zwei Jahre auf 28 Stunden reduzieren und bekommen aber einen Lohnausgleich. Ist das nicht unfair gegenüber denen, die reguläre Teilzeit machen?
Hofmann: Ich glaube, es besteht ein großes Verständnis – das zeigt ja auch unsere Befragung aller Beschäftigten –, dass es Lebenslagen gibt, wo solidarische Unterstützung notwendig ist. Sie haben gerade diese drei Optionen angesprochen, die wir da im Auge haben. Ich sehe da ganz klar die Notwendigkeit von Gewerkschaften, dass sie nicht nur die Möglichkeit der Arbeitszeitreduzierung eröffnen, sondern das auch vor allem möglich machen und gerade auch für die mit niedrigeren Einkommen. Deswegen wollen wir diesen Entgeltzuschuss, damit dies durchsetzbar ist, und wir wollen damit auch ein bisschen mehr Gerechtigkeit, weil heute, was wir an flexiblen Arbeitszeitmodellen in Unternehmen kennen, werden die, soweit es um Arbeitszeitreduzierung geht, im Wesentlichen von denen genutzt, die relativ gute Verdienste haben.
Büüsker: Die Arbeit muss ja dann aber letztlich trotzdem von irgendwem gemacht werden, und wenn die einen die Möglichkeit haben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, dafür auch einen Lohnausgleich bekommen, die Arbeit bleibt da, irgendwer muss sie machen. Vielleicht bleibt sie dann an denjenigen hängen, die letztlich noch Vollzeit arbeiten. Ist das dann nicht unfair?
Hofmann: Wissen Sie, eine Branche, die sich bis heute erlaubt, über vier Prozent Leiharbeiter zu beschäftigen, die Werkvertragsbeschäftigte unter prekären Bedingungen heute nutzt, die hat deutlich Potenzial, über Personaleinstellung diese Personaldecke so zu erhöhen, dass dies nicht zu Lasten der anderen Beschäftigten geht. Ich finde, es ist ein bisschen scheinheilig zu sagen, wir kommen an der Stelle nicht weiter. Wenn man gleichzeitig es sich erlaubt, dass die Ausbildungsquoten stagnieren oder nach unten gehen und diese prekäre Beschäftigung eher steigt als sinkt, hat die Branche genügend Reaktionsmöglichkeiten, was die Frage der Personaldecke angeht.
Vollzeit + Überstunden + Flexibilität + Leistungsdruck
Büüsker: Wenn ich Ihnen so zuhöre, dann klingt das für mich, als würde die Branche gerade sehr viel verschlafen.
Hofmann: Ja! Sie verschläft ihre Zukunft, wenn sie nicht schnell umsteuert. Und die Zukunft heißt, attraktiv zu sein für die Fachkräfte von morgen. Das heißt, Arbeitszeitmodelle anzubieten, die diese Branche attraktiv machen und nicht wie heute in der Regel abschrecken, weil dort immer noch das Bild beherrschend ist von Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus Leistungsdruck. Da suchen die Menschen gerade auch attraktivere Arbeitsplätze als die.
Büüsker: Warum wird jetzt noch mal gestreikt? Sie setzen sich doch am Donnerstag noch mal wieder mit den Arbeitgebern zusammen. Das müsste doch jetzt eigentlich gar nicht sein.
Hofmann: Es muss deswegen sein, offensichtlich, weil die Arbeitgeber bis heute zu dem Thema Arbeitszeit sich nicht eingelassen haben, am Verhandlungstisch zu reden, konstruktiv zu reden. Es muss deswegen sein, weil das Angebot, auch was das Entgelt angeht, vollkommen unzureichend ist. Deswegen werden wir mit den Möglichkeiten, die Gewerkschaften haben, agieren, nämlich deutlich zu zeigen, dass die Beschäftigten mit dieser Verhandlungsstrategie nicht einverstanden sind und die IG Metall in der Forderung unterstützen, am Verhandlungstisch möglichst schnell – das sage ich auch – zu Ergebnissen zu kommen.
"Wir werden schauen, wie wir Ende Januar stehen"
Büüsker: Und wenn Sie nicht zu Ergebnissen kommen, werden Sie das neue Mittel des 24-Stunden-Streiks nutzen?
Hofmann: Wir werden schauen, wie wir am Ende des Monats Januar stehen. Wenn der Eindruck sich verfestigen würde, wir würden ohne weitere Eskalation des Arbeitskonfliktes kein Ergebnis erzielen, dann werden wir entweder über die Möglichkeit eines 24-Stunden-Streiks, oder unmittelbar über einen Flächenstreik mit Urabstimmung nachdenken.
Büüsker: … sagt Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall. Wir haben gesprochen über die Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie. Vielen Dank, Herr Hofmann!
Hofmann: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.