"N'Abend, einfach gucken, wo Sie noch einen Platz kriegen, ja? … Hi! …"
Hubert steht vorne am Eisentor und schickt die Leute durch in den Kirchgarten, wo es an überdachten Holztresen Getränke und kleine Speisen gibt. Hubert macht Security - und hat schon um Viertel vor acht Sorge, dass sie Leute wieder wegschicken müssen.
"Tatort ist immer rappelvoll."
Den unkonventionellen Ansatz ihres Pfarrers finden Hubert und die anderen Ehrenamtlichen prima.
"Weil viele Kirchen machen das nicht so. Und hier, muss man ehrlich sagen, hier versucht er die Kirche irgendwie auf dem Damm zu halten, zu retten … und das ist schön, dass man so einen Pfarrer hat, wo auch mal so Veranstaltungen und alles ist", sagt Hubert.
"Wie kriegt man Leute in die Kirche? Durch Tatort, durch Konzerte, durch Lesungen, durch … Veranstaltungen … Funktioniert", sagt Security Heike. "Hier ist die Bude immer voll!"
Gut 100 Ehrenamtliche machen mit. Kasse, Tresen, in der Technik, als Security, beim Planen - davon träumen andere Pfarrer. Gezeigt wird der Dortmund-Tatort in sakraler Umgebung.
Zwei Zuschauerinnen vor der Vorstellung: "Der Widerspruch ist natürlich anziehend." - "Wir sind gespannt, wie das so rüberkommt …" - "Es gibt bessere Tatorte, sage ich ganz ehrlich, aber jetzt mal dieses Event hier in der Kirche, deswegen gucke ich mir den auch an."
"Ja, natürlich ist das ungewöhnlich, das gefällt mir ja gerade", sagt Frauke aus Gelsenkirchen. "Aber es passt, so ist das Leben."
Besucher auch aus der umliegenden Region
Die Pauluskirche, Baujahr 1894, steht in der Nordstadt, dem alten Arbeiterviertel - Dortmunds vitalster Stadtteil. Aber auch der mit den meisten Problemen. Der Migrantenanteil ist hoch, viele Studenten wohnen hier. Tatort-Schmuddelszenen werden meist in der Nordstadt gedreht. Frauke findet sie cool:
"Mag ich, ja, wenn man aus Gelsenkirchen kommt, dann findet man solche Ecken auch gut hier."
Auch das Presbyterium, der Kirchenvorstand, und die Ehrenamtlichen sind keineswegs alle nur aus dem Stadtteil.
"Es gibt natürlich Leute, die uns hier auch vor Ort hier ganz gerne besuchen und begeistert sind von dem, was wir machen, und sich einbringen, aber längst nicht nur. Es sind also auch Mitarbeitende, die aus Castrop-Rauxel und Recklinghausen und Hagen hier regelmäßig zu uns kommen und hier mitmachen. Genauso ist es bei den Besuchern, das hängt von dem Angebot ab, was wir machen", erklärt Pfarrer Friedrich Laker in der Sakristei.
Die Pauluskirche als Kulturkirche
Pfarrer Laker und seine Frau teilen sich seit 14 Jahren die Pfarrstelle. Nach und nach machten sie die Pauluskirche zur Kulturkirche. Zuerst mit vier Konzerten im Jahr. Singer-Songwriter, Weltmusik, Independent. Nun sind es 50. Ungewöhnliches wie der Tierkirchentag oder ein regelmäßiger philosophischer Talk, an dem auch Atheisten gern und begeistert teilnehmen, kamen hinzu. Mit jährlich 12.000 Besuchern, aus Dortmund – und der umliegenden Region.
"Das ist durchaus etwas, was wir auch wollen, was wir auch für die Zukunft hier brauchen. Denn hier im Stadtteil wird es nicht so leicht sein, den kirchlichen Bestand zu halten, also in dem Sinne von Gemeindemitgliedern, von Finanzen, von Gebäuden und so weiter. Umso mehr brauchen wir eben die Unterstützung von außen … Das stärkt uns, das stützt uns, und das ist dann eben auch gut für den Stadtteil hier."
Hauptsache, die Kirche ist voll?
Die Frage liegt allerdings nahe, wo denn da die Botschaft bleibt und ob es reicht zu sagen, Hauptsache, die Kirche ist voll. Doch auch bei Superintendent Ulf Schlüter, dem leitenden Geistlichen des Kirchenkreises, hat sich bisher noch niemand beschwert:
"Man kann sich natürlich vorstellen, dass es Menschen gibt, etwa traditionelle Protestanten, die sagen, Krimi in der Kirche, was soll das denn? … mir begegnen diese Leute nicht, und das hat damit zu tun, dass die Dortmunder Nordstadt wirklich ein sehr besonderer Kontext ist, da sind solche, ich sag mal, Traditionalisten nicht mehr anzutreffen, die wohnen da nicht mehr."
Aber Menschen, die sich schon lange nicht mehr kirchengebunden fühlen. Und die spricht das Programm an. Die Idee zum Tatort in der Kirche hatte Claudia Weisskopf - im normalen Leben, wie sie das nennt, ist sie Steuerberaterin, lebt mit dem Organisten der Kirche zusammen und hat einfach nur pragmatische Schlüsse gezogen.
"Ich glaub' trotzdem, wenn ich die Idee nicht gehabt hätte, hätte sie jemand anders gehabt", sagt Weisskopf. "Also es passt hier einfach gut hin. Und ich bin froh, dass das so ein Selbstläufer geworden ist. Ich hab nur gemerkt, der Pfarrer will die Leute, egal, wie auch immer, in die Kirche bekommen. Und wenn man schon eine Fußballweltmeisterschaft zeigen kann auf Großleinwand, hab ich nur gedacht, kann man auch einen Tatort zeigen. Deshalb passt erst mal alles hierhin - auch der Tatort."
Joachim Starke, auch im Presbyterium und Veranstaltungsleiter, findet das auch:
"Für mich passt es, weil es zu den Angeboten der Kulturkirche dazugehört … und weil es zum Leben dazugehört, nicht Mord und Totschlag, aber Tod, gehört zum Leben dazu, genau wie Geburt."
"Zahltag", der neunte Tatort in der Pauluskirche, passt perfekt: erbitterter Ärger im Ermittler-Team und Rocker, die einander gar nicht grün sind.
Kultur für alle
Filme in der Kirche, das gibt es ja schon länger. Meist mit einer Predigt oder Worten von Filmexperten dazu. In der Pauluskirche hingegen fahren sie mit dem Tatort wie auch sonst einen strikten Pop-Ansatz: Kultur für alle. Das kommt an.
"Ja sicher, haben wir gerade gesagt, das ist echt anders, als wenn man das zu Hause auf seinem Sessel, in der Couch guckt, was ganz anderes", sagt Frauke.
Was Pfarrer Laker gerne hören wird.
"Die Leute sollen Spaß haben beim Tatortgucken und jeder kann genauso auch wieder gehen, wie er gekommen ist", sagt Laker. "Und … wer mehr möchte, dann sind wir natürlich auch da." -
"Einfach gucken, wo ihr jetzt noch einen Platz kriegt, versucht euer Glück, ist voll."